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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der britische Staawhaushalt

nicht zu schwer belastet. Dagegen könnte man wünschen, daß die Grenze der
Steuerfreiheit tiefer gelegt wäre, sodaß das Gefühl der Verantwortlichkeit,
das eine direkte Steuer erweckt, auch breitern Volksschichten mitgeteilt würde,
die bei der bestehenden Verfassung ausschlaggebend sind. Aber bei dem Wett¬
kriechen der beiden großen Parteien um die Gunst der Wählermassen hat ein
so unvolkstümlicher Schritt wenig Aussicht.

Bei der Ansammlung großer Vermögen in wenig Händen ist es natürlich
ganz gerechtfertigt, daß die Wohlhabenden stark besteuert werden, und die auch
nach englischen Begriffen wirklich reichen Leute könnten ganz gut auch noch
mehr leisten, ohne es zu merken. Wenn man aber den radikalen Wortführern
glauben soll, dann muß das arme Volk für alles aufkommen, und die Reichen
gehn ganz frei aus. Für jeden, der auch nur ein ganz klein wenig denken
kann, liegt der Unsinn offen zutage. Doch leider ist gerade das Denken eine
Kunst, die der Mann auf der Straße nicht versteht. Er bezieht seine Ansichten
und Überzeugungen fertig aufgebügelt aus der Druckerei seiner Zeitung.

In Wirklichkeit drückt die Steuerlast den kleinen Mann gar nicht so stark,
jedenfalls nicht so stark, daß er sich deswegen auch nur ein Glas Bier oder
eine Pfeife Tabak versagen müßte. Um zu sehen, wie die Abgaben verteilt
sind, haben wir zunächst die Staatseinnahmen aus den Kronländereien, aus
den Suezkanalanteilen, aus Post und Telegraphie sowie aus dem Kohlen¬
ausfuhrzoll auszuscheiden, sodaß für 1903/04 bloß noch 117298347^ übrig
bleiben. Hiervon werden ausschließlich von den begüterten Klassen beigetragen:

Einkommensteuer30800000 -5
Erbschaftssteuer13000000 "
Stempelgebühren7 500000 "
Landsteuer . .725000 "
Haussteuer >1925000 "
Luxussteuern1087000 "
55037000

So decken die Wohlhabenden von dem ganzen durch Abgaben aufge¬
brachten Betrage vorweg schon 47,77 Prozent. Der kleine Mann wird nur
durch die Zölle und die Verbrauchsabgaben herangezogen, und an den Ein¬
nahmen aus diesen Quellen sind auch die Wohlhabenden mit den zu ihrem
Haushalte gehörenden, oft recht zahlreichen Personen in einem bedeutenden,
aber kaum näher festzustellenden Maße beteiligt. Als sicher kann man an¬
nehmen, daß die Masse des Volks weit weniger als 50 Prozent beiträgt, und
der größte Teil dieses Beitrags wird geleistet beim Einkauf von Dingen, die
zur Erhaltung des Lebens nicht nötig sind. Von den nach Abzug der Er¬
träge aus Tabak, Bier, Wein und Schnaps übrig bleibenden Einnahmen aus
Tee, Kaffee, Zucker usw. fallen bloß 6 su. 8 ä. auf den Kopf.

Wenn man nun gedankenlos urteilen wollte, könnte man mit einigem
Aufwand unanfechtbarer Zahlen einen Vergleich mit den Summen anstellen,
die etwa ein Preuße für die Kasse seines Königreichs und die des Deutschen
Reichs aufzubringen hat. Der Vergleich würde jedoch so gewaltig hinken,
daß er allen Wert verlöre. Denn die Verhältnisse sind gar zu verschieden,


Grenzboten III 1305 44
Der britische Staawhaushalt

nicht zu schwer belastet. Dagegen könnte man wünschen, daß die Grenze der
Steuerfreiheit tiefer gelegt wäre, sodaß das Gefühl der Verantwortlichkeit,
das eine direkte Steuer erweckt, auch breitern Volksschichten mitgeteilt würde,
die bei der bestehenden Verfassung ausschlaggebend sind. Aber bei dem Wett¬
kriechen der beiden großen Parteien um die Gunst der Wählermassen hat ein
so unvolkstümlicher Schritt wenig Aussicht.

Bei der Ansammlung großer Vermögen in wenig Händen ist es natürlich
ganz gerechtfertigt, daß die Wohlhabenden stark besteuert werden, und die auch
nach englischen Begriffen wirklich reichen Leute könnten ganz gut auch noch
mehr leisten, ohne es zu merken. Wenn man aber den radikalen Wortführern
glauben soll, dann muß das arme Volk für alles aufkommen, und die Reichen
gehn ganz frei aus. Für jeden, der auch nur ein ganz klein wenig denken
kann, liegt der Unsinn offen zutage. Doch leider ist gerade das Denken eine
Kunst, die der Mann auf der Straße nicht versteht. Er bezieht seine Ansichten
und Überzeugungen fertig aufgebügelt aus der Druckerei seiner Zeitung.

In Wirklichkeit drückt die Steuerlast den kleinen Mann gar nicht so stark,
jedenfalls nicht so stark, daß er sich deswegen auch nur ein Glas Bier oder
eine Pfeife Tabak versagen müßte. Um zu sehen, wie die Abgaben verteilt
sind, haben wir zunächst die Staatseinnahmen aus den Kronländereien, aus
den Suezkanalanteilen, aus Post und Telegraphie sowie aus dem Kohlen¬
ausfuhrzoll auszuscheiden, sodaß für 1903/04 bloß noch 117298347^ übrig
bleiben. Hiervon werden ausschließlich von den begüterten Klassen beigetragen:

Einkommensteuer30800000 -5
Erbschaftssteuer13000000 „
Stempelgebühren7 500000 „
Landsteuer . .725000 „
Haussteuer >1925000 „
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55037000

So decken die Wohlhabenden von dem ganzen durch Abgaben aufge¬
brachten Betrage vorweg schon 47,77 Prozent. Der kleine Mann wird nur
durch die Zölle und die Verbrauchsabgaben herangezogen, und an den Ein¬
nahmen aus diesen Quellen sind auch die Wohlhabenden mit den zu ihrem
Haushalte gehörenden, oft recht zahlreichen Personen in einem bedeutenden,
aber kaum näher festzustellenden Maße beteiligt. Als sicher kann man an¬
nehmen, daß die Masse des Volks weit weniger als 50 Prozent beiträgt, und
der größte Teil dieses Beitrags wird geleistet beim Einkauf von Dingen, die
zur Erhaltung des Lebens nicht nötig sind. Von den nach Abzug der Er¬
träge aus Tabak, Bier, Wein und Schnaps übrig bleibenden Einnahmen aus
Tee, Kaffee, Zucker usw. fallen bloß 6 su. 8 ä. auf den Kopf.

Wenn man nun gedankenlos urteilen wollte, könnte man mit einigem
Aufwand unanfechtbarer Zahlen einen Vergleich mit den Summen anstellen,
die etwa ein Preuße für die Kasse seines Königreichs und die des Deutschen
Reichs aufzubringen hat. Der Vergleich würde jedoch so gewaltig hinken,
daß er allen Wert verlöre. Denn die Verhältnisse sind gar zu verschieden,


Grenzboten III 1305 44
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[0353] Der britische Staawhaushalt nicht zu schwer belastet. Dagegen könnte man wünschen, daß die Grenze der Steuerfreiheit tiefer gelegt wäre, sodaß das Gefühl der Verantwortlichkeit, das eine direkte Steuer erweckt, auch breitern Volksschichten mitgeteilt würde, die bei der bestehenden Verfassung ausschlaggebend sind. Aber bei dem Wett¬ kriechen der beiden großen Parteien um die Gunst der Wählermassen hat ein so unvolkstümlicher Schritt wenig Aussicht. Bei der Ansammlung großer Vermögen in wenig Händen ist es natürlich ganz gerechtfertigt, daß die Wohlhabenden stark besteuert werden, und die auch nach englischen Begriffen wirklich reichen Leute könnten ganz gut auch noch mehr leisten, ohne es zu merken. Wenn man aber den radikalen Wortführern glauben soll, dann muß das arme Volk für alles aufkommen, und die Reichen gehn ganz frei aus. Für jeden, der auch nur ein ganz klein wenig denken kann, liegt der Unsinn offen zutage. Doch leider ist gerade das Denken eine Kunst, die der Mann auf der Straße nicht versteht. Er bezieht seine Ansichten und Überzeugungen fertig aufgebügelt aus der Druckerei seiner Zeitung. In Wirklichkeit drückt die Steuerlast den kleinen Mann gar nicht so stark, jedenfalls nicht so stark, daß er sich deswegen auch nur ein Glas Bier oder eine Pfeife Tabak versagen müßte. Um zu sehen, wie die Abgaben verteilt sind, haben wir zunächst die Staatseinnahmen aus den Kronländereien, aus den Suezkanalanteilen, aus Post und Telegraphie sowie aus dem Kohlen¬ ausfuhrzoll auszuscheiden, sodaß für 1903/04 bloß noch 117298347^ übrig bleiben. Hiervon werden ausschließlich von den begüterten Klassen beigetragen: Einkommensteuer30800000 -5 Erbschaftssteuer13000000 „ Stempelgebühren7 500000 „ Landsteuer . .725000 „ Haussteuer >1925000 „ Luxussteuern1087000 „ 55037000 So decken die Wohlhabenden von dem ganzen durch Abgaben aufge¬ brachten Betrage vorweg schon 47,77 Prozent. Der kleine Mann wird nur durch die Zölle und die Verbrauchsabgaben herangezogen, und an den Ein¬ nahmen aus diesen Quellen sind auch die Wohlhabenden mit den zu ihrem Haushalte gehörenden, oft recht zahlreichen Personen in einem bedeutenden, aber kaum näher festzustellenden Maße beteiligt. Als sicher kann man an¬ nehmen, daß die Masse des Volks weit weniger als 50 Prozent beiträgt, und der größte Teil dieses Beitrags wird geleistet beim Einkauf von Dingen, die zur Erhaltung des Lebens nicht nötig sind. Von den nach Abzug der Er¬ träge aus Tabak, Bier, Wein und Schnaps übrig bleibenden Einnahmen aus Tee, Kaffee, Zucker usw. fallen bloß 6 su. 8 ä. auf den Kopf. Wenn man nun gedankenlos urteilen wollte, könnte man mit einigem Aufwand unanfechtbarer Zahlen einen Vergleich mit den Summen anstellen, die etwa ein Preuße für die Kasse seines Königreichs und die des Deutschen Reichs aufzubringen hat. Der Vergleich würde jedoch so gewaltig hinken, daß er allen Wert verlöre. Denn die Verhältnisse sind gar zu verschieden, Grenzboten III 1305 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/353>, abgerufen am 27.09.2024.