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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

wonach der mittelalterliche Ödipus siebzehn Jahre lang ans einer Klippe ange¬
schmiedet saß, um Buße zu tun.

Aber allmählich wurde es eine Auszeichnung, auf einem solchen Stein zu
sitzen. Die Steine hatten etwas für sich, sie schienen den Inhaber zu erhöhen:
der erhabne Ruhesitz gab Würde, gab Autorität; keine offizielle Persönlichkeit, die
etwas auf sich hielt, durfte mehr auf der bloßen Erde hocken. Der König saß auf
seinem heiligen, mit Öl gesalbten Steine, wenn alles um ihn kniete und kauerte;
hoch und majestätisch saß er wie Nestor, in der Rechten den langen Stab, die
Füße auf einen vorgeschobnen niedrigen Stein gestützt, so oft er Audienzen erteilte
oder Huldigungen entgegennahm, namentlich so oft er Recht sprach. Und das Volk
hob ihn auf diesen Stein, wenn er König geworden war, zum Zeichen, daß er
über ihm schwebe und sein Herr sei -- es inthronisierte seinen König wie in
Stuhlweißenburg, den Kiraly auf den Stuhl seiner Vorfahren erhebend.

Wir haben in Deutschland verschiedene Königs- und Kaiserstuhle, meist Basalte;
der berühmteste ist der am Rhein, unterhalb Rhens. Ein achteckiger, von alten
Nußbäumen beschatteter Rasenplatz, zu dem eine Treppe hinaufführt; rundherum
läuft eine gemauerte Bank mit acht Sitzen, die durch Steinplatten bezeichnet sind.
Hier versammelten sich die Kurfürsten von alters her, um über deutsche Retchs-
angelegenheiten zu beraten und um den König zu küren, der dann den Hochsitz
einnahm. Das Gebäude wurde erst nachträglich aufgeführt. Solche Königsstuhle,
oft bloß einfache Felskuppen, standen auch anderwärts, bei Heidelberg und im
Breisgau, in Schweden einer bet Upsala, in Schottland einer bei Edinburg
(Arthur's Seal); wahrscheinlich ist auch der sogenannte Altvater in den Sudeten
und der herrliche Gipfel auf der böhmischen Seite des Riesengebirges, der den
Namen Großvaterstuhl trägt, als ein alter Köntgsstuhl anzusehen. Die Götter
selbst ließ man auf solchen Steinen thronen: auf einen Berg steigt der Mensch,
wie das Kind ans einen Stuhl, um näher am Angesicht der unendlichen Mutter
zu stehn und sie zu erlangen mit seiner kleinen Umarmung.

In den römischen Basiliken, auf den wunderbaren Mosaiken der altchristlichen
Tribünen sieht man gewöhnlich das Lamm zwischen den sieben Leuchtern auf dem
mit Edelsteinen geschmückten Stuhle, vor dem die vierundzwanzig Ältesten ihre
Kronen niederlegen. Mitunter steht es auch aufrecht auf einem Berge, dem die
vier Paradiesesströme entspringen, wie der Apollo des Bathykles, der ebenfalls auf
seinem Throne stand.

Die Folge war, daß nun auch jedermann in seinem Interieur eines primitiven
Gestühls bedürfte, um den Austand zu wahren und der Familie zu imponieren --
und zwar nicht bloß der Vater, sondern der König selbst. Alle diese Stühle standen
ja draußen unter Gottes freiem Himmel, auf Anhöhen oder Wiesen vor den Toren,
oder wo man immer nach den alten Bräuchen tagte; nun man tagte doch nicht
fortwährend. Wie machten es nun die Menschen, wenn sie nach Hause kamen, um
auch hier einen Hochsitz einzunehmen und nicht auf der Erde zu liegen wie die
Hunde? Pah! Sie staffierten ihre Wohnung wieder mit Steinen aus, sie machten
es wie König Eduard der Erste, der den Krönungsstein der schottischen Könige,
den Saone, in seine Westminsterabtei schaffen ließ, um bei seiner eignen Krönung
darauf zu sitzen; oder wie die alten Deutschen, die in den Fensternischen Stein¬
barke und rechts und links von der Haustür einen Steinsitz anzubringen liebten.
Man sieht solche steinerne Sitze noch an alten Häusern, zum Beispiel an den alten
Predigerhäusern der Stadt Leipzig; in Florenz wird der Sasso ti Dante noch ge¬
zeigt, auf dem der Dichter vor seiner Verbannung zu sitzen pflegte. Aber wer
konnte immer gleich Berge versetzen und Felsblöcke in seine Höhle rollen, wie ein
Polyphem! Mein Gott, die Menschen nahmen überhaupt nur ausnahmsweise Steine,
sie hielten sich gewöhnlich an die Klötze. Sie gingen ins Holz, fällten einen Baum
und röteten den Stubben: den postierten sie an den Herd. Auf dem konnten sie
wieder sitzen und im Familienkreise thronen wie ein Götzenbild oder Wie ein Mikado.

In den norwegischen Bauernhäusern sieht man einen originellen Stuhl, den


Maßgebliches und Unmaßgebliches

wonach der mittelalterliche Ödipus siebzehn Jahre lang ans einer Klippe ange¬
schmiedet saß, um Buße zu tun.

Aber allmählich wurde es eine Auszeichnung, auf einem solchen Stein zu
sitzen. Die Steine hatten etwas für sich, sie schienen den Inhaber zu erhöhen:
der erhabne Ruhesitz gab Würde, gab Autorität; keine offizielle Persönlichkeit, die
etwas auf sich hielt, durfte mehr auf der bloßen Erde hocken. Der König saß auf
seinem heiligen, mit Öl gesalbten Steine, wenn alles um ihn kniete und kauerte;
hoch und majestätisch saß er wie Nestor, in der Rechten den langen Stab, die
Füße auf einen vorgeschobnen niedrigen Stein gestützt, so oft er Audienzen erteilte
oder Huldigungen entgegennahm, namentlich so oft er Recht sprach. Und das Volk
hob ihn auf diesen Stein, wenn er König geworden war, zum Zeichen, daß er
über ihm schwebe und sein Herr sei — es inthronisierte seinen König wie in
Stuhlweißenburg, den Kiraly auf den Stuhl seiner Vorfahren erhebend.

Wir haben in Deutschland verschiedene Königs- und Kaiserstuhle, meist Basalte;
der berühmteste ist der am Rhein, unterhalb Rhens. Ein achteckiger, von alten
Nußbäumen beschatteter Rasenplatz, zu dem eine Treppe hinaufführt; rundherum
läuft eine gemauerte Bank mit acht Sitzen, die durch Steinplatten bezeichnet sind.
Hier versammelten sich die Kurfürsten von alters her, um über deutsche Retchs-
angelegenheiten zu beraten und um den König zu küren, der dann den Hochsitz
einnahm. Das Gebäude wurde erst nachträglich aufgeführt. Solche Königsstuhle,
oft bloß einfache Felskuppen, standen auch anderwärts, bei Heidelberg und im
Breisgau, in Schweden einer bet Upsala, in Schottland einer bei Edinburg
(Arthur's Seal); wahrscheinlich ist auch der sogenannte Altvater in den Sudeten
und der herrliche Gipfel auf der böhmischen Seite des Riesengebirges, der den
Namen Großvaterstuhl trägt, als ein alter Köntgsstuhl anzusehen. Die Götter
selbst ließ man auf solchen Steinen thronen: auf einen Berg steigt der Mensch,
wie das Kind ans einen Stuhl, um näher am Angesicht der unendlichen Mutter
zu stehn und sie zu erlangen mit seiner kleinen Umarmung.

In den römischen Basiliken, auf den wunderbaren Mosaiken der altchristlichen
Tribünen sieht man gewöhnlich das Lamm zwischen den sieben Leuchtern auf dem
mit Edelsteinen geschmückten Stuhle, vor dem die vierundzwanzig Ältesten ihre
Kronen niederlegen. Mitunter steht es auch aufrecht auf einem Berge, dem die
vier Paradiesesströme entspringen, wie der Apollo des Bathykles, der ebenfalls auf
seinem Throne stand.

Die Folge war, daß nun auch jedermann in seinem Interieur eines primitiven
Gestühls bedürfte, um den Austand zu wahren und der Familie zu imponieren —
und zwar nicht bloß der Vater, sondern der König selbst. Alle diese Stühle standen
ja draußen unter Gottes freiem Himmel, auf Anhöhen oder Wiesen vor den Toren,
oder wo man immer nach den alten Bräuchen tagte; nun man tagte doch nicht
fortwährend. Wie machten es nun die Menschen, wenn sie nach Hause kamen, um
auch hier einen Hochsitz einzunehmen und nicht auf der Erde zu liegen wie die
Hunde? Pah! Sie staffierten ihre Wohnung wieder mit Steinen aus, sie machten
es wie König Eduard der Erste, der den Krönungsstein der schottischen Könige,
den Saone, in seine Westminsterabtei schaffen ließ, um bei seiner eignen Krönung
darauf zu sitzen; oder wie die alten Deutschen, die in den Fensternischen Stein¬
barke und rechts und links von der Haustür einen Steinsitz anzubringen liebten.
Man sieht solche steinerne Sitze noch an alten Häusern, zum Beispiel an den alten
Predigerhäusern der Stadt Leipzig; in Florenz wird der Sasso ti Dante noch ge¬
zeigt, auf dem der Dichter vor seiner Verbannung zu sitzen pflegte. Aber wer
konnte immer gleich Berge versetzen und Felsblöcke in seine Höhle rollen, wie ein
Polyphem! Mein Gott, die Menschen nahmen überhaupt nur ausnahmsweise Steine,
sie hielten sich gewöhnlich an die Klötze. Sie gingen ins Holz, fällten einen Baum
und röteten den Stubben: den postierten sie an den Herd. Auf dem konnten sie
wieder sitzen und im Familienkreise thronen wie ein Götzenbild oder Wie ein Mikado.

In den norwegischen Bauernhäusern sieht man einen originellen Stuhl, den


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[0343] Maßgebliches und Unmaßgebliches wonach der mittelalterliche Ödipus siebzehn Jahre lang ans einer Klippe ange¬ schmiedet saß, um Buße zu tun. Aber allmählich wurde es eine Auszeichnung, auf einem solchen Stein zu sitzen. Die Steine hatten etwas für sich, sie schienen den Inhaber zu erhöhen: der erhabne Ruhesitz gab Würde, gab Autorität; keine offizielle Persönlichkeit, die etwas auf sich hielt, durfte mehr auf der bloßen Erde hocken. Der König saß auf seinem heiligen, mit Öl gesalbten Steine, wenn alles um ihn kniete und kauerte; hoch und majestätisch saß er wie Nestor, in der Rechten den langen Stab, die Füße auf einen vorgeschobnen niedrigen Stein gestützt, so oft er Audienzen erteilte oder Huldigungen entgegennahm, namentlich so oft er Recht sprach. Und das Volk hob ihn auf diesen Stein, wenn er König geworden war, zum Zeichen, daß er über ihm schwebe und sein Herr sei — es inthronisierte seinen König wie in Stuhlweißenburg, den Kiraly auf den Stuhl seiner Vorfahren erhebend. Wir haben in Deutschland verschiedene Königs- und Kaiserstuhle, meist Basalte; der berühmteste ist der am Rhein, unterhalb Rhens. Ein achteckiger, von alten Nußbäumen beschatteter Rasenplatz, zu dem eine Treppe hinaufführt; rundherum läuft eine gemauerte Bank mit acht Sitzen, die durch Steinplatten bezeichnet sind. Hier versammelten sich die Kurfürsten von alters her, um über deutsche Retchs- angelegenheiten zu beraten und um den König zu küren, der dann den Hochsitz einnahm. Das Gebäude wurde erst nachträglich aufgeführt. Solche Königsstuhle, oft bloß einfache Felskuppen, standen auch anderwärts, bei Heidelberg und im Breisgau, in Schweden einer bet Upsala, in Schottland einer bei Edinburg (Arthur's Seal); wahrscheinlich ist auch der sogenannte Altvater in den Sudeten und der herrliche Gipfel auf der böhmischen Seite des Riesengebirges, der den Namen Großvaterstuhl trägt, als ein alter Köntgsstuhl anzusehen. Die Götter selbst ließ man auf solchen Steinen thronen: auf einen Berg steigt der Mensch, wie das Kind ans einen Stuhl, um näher am Angesicht der unendlichen Mutter zu stehn und sie zu erlangen mit seiner kleinen Umarmung. In den römischen Basiliken, auf den wunderbaren Mosaiken der altchristlichen Tribünen sieht man gewöhnlich das Lamm zwischen den sieben Leuchtern auf dem mit Edelsteinen geschmückten Stuhle, vor dem die vierundzwanzig Ältesten ihre Kronen niederlegen. Mitunter steht es auch aufrecht auf einem Berge, dem die vier Paradiesesströme entspringen, wie der Apollo des Bathykles, der ebenfalls auf seinem Throne stand. Die Folge war, daß nun auch jedermann in seinem Interieur eines primitiven Gestühls bedürfte, um den Austand zu wahren und der Familie zu imponieren — und zwar nicht bloß der Vater, sondern der König selbst. Alle diese Stühle standen ja draußen unter Gottes freiem Himmel, auf Anhöhen oder Wiesen vor den Toren, oder wo man immer nach den alten Bräuchen tagte; nun man tagte doch nicht fortwährend. Wie machten es nun die Menschen, wenn sie nach Hause kamen, um auch hier einen Hochsitz einzunehmen und nicht auf der Erde zu liegen wie die Hunde? Pah! Sie staffierten ihre Wohnung wieder mit Steinen aus, sie machten es wie König Eduard der Erste, der den Krönungsstein der schottischen Könige, den Saone, in seine Westminsterabtei schaffen ließ, um bei seiner eignen Krönung darauf zu sitzen; oder wie die alten Deutschen, die in den Fensternischen Stein¬ barke und rechts und links von der Haustür einen Steinsitz anzubringen liebten. Man sieht solche steinerne Sitze noch an alten Häusern, zum Beispiel an den alten Predigerhäusern der Stadt Leipzig; in Florenz wird der Sasso ti Dante noch ge¬ zeigt, auf dem der Dichter vor seiner Verbannung zu sitzen pflegte. Aber wer konnte immer gleich Berge versetzen und Felsblöcke in seine Höhle rollen, wie ein Polyphem! Mein Gott, die Menschen nahmen überhaupt nur ausnahmsweise Steine, sie hielten sich gewöhnlich an die Klötze. Sie gingen ins Holz, fällten einen Baum und röteten den Stubben: den postierten sie an den Herd. Auf dem konnten sie wieder sitzen und im Familienkreise thronen wie ein Götzenbild oder Wie ein Mikado. In den norwegischen Bauernhäusern sieht man einen originellen Stuhl, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/343>, abgerufen am 27.09.2024.