Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.Herrenmenschen Man brachte ihn zum Schulzen und berichtete, was geschehen war. Der Er öffnete das Gefängnis und führte Heinemann hinein. Im Hintergrunde Eva und der Doktor wanderten zusammen zum preußischen Schlößchen. Eva Tauenden hatte den Schuß gehört und stand im Tor des Hofes in schweren Tauenden, sagte Eva leise und glücklich, nachdem man sich begrüßt und mit¬ Was ist Schwindel, Eva? fragte der Doktor. Das ganze Herrentum ist Schwindel. Das heißt, fügte sie hinzu, als sie Onkel Heinz, sagte nach einiger Zeit Wolf, der den Vorgang mit großer Groppoff verlebte einen unruhigen Nachmittag und Abend. Er ging in zahl¬ Grvppoff trat ans Fenster. Da stand die Arte Beit mitten in einem Schwarm Herrenmenschen Man brachte ihn zum Schulzen und berichtete, was geschehen war. Der Er öffnete das Gefängnis und führte Heinemann hinein. Im Hintergrunde Eva und der Doktor wanderten zusammen zum preußischen Schlößchen. Eva Tauenden hatte den Schuß gehört und stand im Tor des Hofes in schweren Tauenden, sagte Eva leise und glücklich, nachdem man sich begrüßt und mit¬ Was ist Schwindel, Eva? fragte der Doktor. Das ganze Herrentum ist Schwindel. Das heißt, fügte sie hinzu, als sie Onkel Heinz, sagte nach einiger Zeit Wolf, der den Vorgang mit großer Groppoff verlebte einen unruhigen Nachmittag und Abend. Er ging in zahl¬ Grvppoff trat ans Fenster. Da stand die Arte Beit mitten in einem Schwarm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297844"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1492"> Man brachte ihn zum Schulzen und berichtete, was geschehen war. Der<lb/> Schulze stellte sich breitbeinig vor Heinemann hin, blickte ihn mitleidig an und<lb/> sagte: Heinemann, unser Herr Jesus Christus sagt Matthäi am sechsten: Wer seinem<lb/> Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig. Wird nicht Gott am jüngsten Tage<lb/> zu dir sagen, du Schweinehund, stoßt ihn in die äußerste Finsternis? Und dieses-<lb/> mal sollst du nicht wieder davonkommen wie das vorigemal, wo der Amtshaupt¬<lb/> mann den Schlüssel hatte, darauf gebe ich dir mein Wort.</p><lb/> <p xml:id="ID_1493"> Er öffnete das Gefängnis und führte Heinemann hinein. Im Hintergrunde<lb/> auf einer Schütte Stroh saß Kondrot, ein Bild des Jammers. Bis morgen,<lb/> Kondrot, bloß bis morgen, sagte der Schulze, ihm zunickend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1494"> Eva und der Doktor wanderten zusammen zum preußischen Schlößchen. Eva<lb/> hängte sich ihrem Heinz an den Arm und war so glücklich wie noch nie in ihrem<lb/> Leben. Sie hatte die alte dumme Walkürenrüstung, die ihr übrigens nie recht<lb/> gepaßt hatte, ausgezogen und von sich geworfen und fühlte es als einen seligen<lb/> Gewinn, folgen zu können, wo ein andrer vorausging.</p><lb/> <p xml:id="ID_1495"> Tauenden hatte den Schuß gehört und stand im Tor des Hofes in schweren<lb/> Sorgen. Als sie ihren Doktor und ihre Eva einträchtig die Straße kommen sah,<lb/> faltete sie die Hände und sprach ein lautloses und vielleicht auch wortloses Dankgebet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1496"> Tauenden, sagte Eva leise und glücklich, nachdem man sich begrüßt und mit¬<lb/> geteilt hatte, was geschehen war, ich habe es gekonnt. Ich habe ihm gesagt, daß<lb/> ich im Unrecht war. Und ich sehe es jetzt auch ein, das ganze Herrentum ist<lb/> Schwindel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1497"> Was ist Schwindel, Eva? fragte der Doktor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1498"> Das ganze Herrentum ist Schwindel. Das heißt, fügte sie hinzu, als sie<lb/> merkte, daß ihr Heinz dieser ihrer neuesten Sentenz doch nicht ganz zustimmte, das<lb/> heißt, was mich angeht. Dir will ich nicht dreinreden. Und du sollst auch immer<lb/> Recht haben. Aber ich — Heinz, ich gebe für mein Herrentum kein Dittchen. Ich<lb/> bin zufrieden, wenn du mich lieb hast, und wenn ich dich lieb haben darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1499"> Onkel Heinz, sagte nach einiger Zeit Wolf, der den Vorgang mit großer<lb/> Aufmerksamkeit beobachtet hatte, weißt du was? Eva ist jetzt ganz anders, als<lb/> sie erst war. Ich glaube, sie wird nun.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1500"> Groppoff verlebte einen unruhigen Nachmittag und Abend. Er ging in zahl¬<lb/> losen Gängen durch sein Zimmer, er suchte das ganze Haus ab. Niemand war<lb/> da, er hatte ja die Mägde und die alte Magdalene weggeschickt, und Eva war<lb/> davongegangen, um nicht wiederzukehren. Dann setzte er sich in seinen alten leder¬<lb/> gepolsterten Lehnstuhl und dachte nach: Sich nur keine Gewissensbisse machen!<lb/> Gewissensbisse sind ein heilloser Unsinn, den die Pfaffen erdacht haben, um das<lb/> dumme Volk damit zu knechten. Wie hatte doch der Doktor gesagt? Wer sein<lb/> Gewissen dressiert, den beißt es. Sehr gut. Bissige Hunde hält man sich vom<lb/> Leibe. Und wenn sie doch kommen, so gibt man ihnen einen Tritt. Und hier in<lb/> dem Buche steht es geschrieben. — Es ist eine sehr gute Sache, daß das alles wissen¬<lb/> schaftlich bewiesen ist. Die Wissenschaft hat Recht. Die Wissenschaft hat immer<lb/> Recht. — Aber die Nerven! Was hilft alle Wissenschaft, wenn die Nerven die<lb/> Spannung nicht aushalten. Was helfen Gründe, wenn das Blut in den Kopf<lb/> steigt, als wollte es den Schädel sprengen. — Ohs denn heute gar nicht Nacht<lb/> werden will? — Wer singt denn da draußen? — Erst einmal geschlafen haben<lb/> und wissen, daß Heinemann über die Grenze und Madüe auf See ist, dann sieht<lb/> die Welt wieder anders aus. — Donnerwetter! wer singt denn da draußen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Grvppoff trat ans Fenster. Da stand die Arte Beit mitten in einem Schwarm<lb/> von Haffmücken und saug: Zu Schiffern gehn wir, gehn zu Schiffern, und dabei<lb/> blickte sie starr auf das Fenster von Gropposfs Stube. Groppoff wollte sie mit<lb/> zorniger Gebärde wegscheuchen, aber sie ging nicht. Mochte sie stehn bleiben, was</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Herrenmenschen
Man brachte ihn zum Schulzen und berichtete, was geschehen war. Der
Schulze stellte sich breitbeinig vor Heinemann hin, blickte ihn mitleidig an und
sagte: Heinemann, unser Herr Jesus Christus sagt Matthäi am sechsten: Wer seinem
Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig. Wird nicht Gott am jüngsten Tage
zu dir sagen, du Schweinehund, stoßt ihn in die äußerste Finsternis? Und dieses-
mal sollst du nicht wieder davonkommen wie das vorigemal, wo der Amtshaupt¬
mann den Schlüssel hatte, darauf gebe ich dir mein Wort.
Er öffnete das Gefängnis und führte Heinemann hinein. Im Hintergrunde
auf einer Schütte Stroh saß Kondrot, ein Bild des Jammers. Bis morgen,
Kondrot, bloß bis morgen, sagte der Schulze, ihm zunickend.
Eva und der Doktor wanderten zusammen zum preußischen Schlößchen. Eva
hängte sich ihrem Heinz an den Arm und war so glücklich wie noch nie in ihrem
Leben. Sie hatte die alte dumme Walkürenrüstung, die ihr übrigens nie recht
gepaßt hatte, ausgezogen und von sich geworfen und fühlte es als einen seligen
Gewinn, folgen zu können, wo ein andrer vorausging.
Tauenden hatte den Schuß gehört und stand im Tor des Hofes in schweren
Sorgen. Als sie ihren Doktor und ihre Eva einträchtig die Straße kommen sah,
faltete sie die Hände und sprach ein lautloses und vielleicht auch wortloses Dankgebet.
Tauenden, sagte Eva leise und glücklich, nachdem man sich begrüßt und mit¬
geteilt hatte, was geschehen war, ich habe es gekonnt. Ich habe ihm gesagt, daß
ich im Unrecht war. Und ich sehe es jetzt auch ein, das ganze Herrentum ist
Schwindel.
Was ist Schwindel, Eva? fragte der Doktor.
Das ganze Herrentum ist Schwindel. Das heißt, fügte sie hinzu, als sie
merkte, daß ihr Heinz dieser ihrer neuesten Sentenz doch nicht ganz zustimmte, das
heißt, was mich angeht. Dir will ich nicht dreinreden. Und du sollst auch immer
Recht haben. Aber ich — Heinz, ich gebe für mein Herrentum kein Dittchen. Ich
bin zufrieden, wenn du mich lieb hast, und wenn ich dich lieb haben darf.
Onkel Heinz, sagte nach einiger Zeit Wolf, der den Vorgang mit großer
Aufmerksamkeit beobachtet hatte, weißt du was? Eva ist jetzt ganz anders, als
sie erst war. Ich glaube, sie wird nun.
Groppoff verlebte einen unruhigen Nachmittag und Abend. Er ging in zahl¬
losen Gängen durch sein Zimmer, er suchte das ganze Haus ab. Niemand war
da, er hatte ja die Mägde und die alte Magdalene weggeschickt, und Eva war
davongegangen, um nicht wiederzukehren. Dann setzte er sich in seinen alten leder¬
gepolsterten Lehnstuhl und dachte nach: Sich nur keine Gewissensbisse machen!
Gewissensbisse sind ein heilloser Unsinn, den die Pfaffen erdacht haben, um das
dumme Volk damit zu knechten. Wie hatte doch der Doktor gesagt? Wer sein
Gewissen dressiert, den beißt es. Sehr gut. Bissige Hunde hält man sich vom
Leibe. Und wenn sie doch kommen, so gibt man ihnen einen Tritt. Und hier in
dem Buche steht es geschrieben. — Es ist eine sehr gute Sache, daß das alles wissen¬
schaftlich bewiesen ist. Die Wissenschaft hat Recht. Die Wissenschaft hat immer
Recht. — Aber die Nerven! Was hilft alle Wissenschaft, wenn die Nerven die
Spannung nicht aushalten. Was helfen Gründe, wenn das Blut in den Kopf
steigt, als wollte es den Schädel sprengen. — Ohs denn heute gar nicht Nacht
werden will? — Wer singt denn da draußen? — Erst einmal geschlafen haben
und wissen, daß Heinemann über die Grenze und Madüe auf See ist, dann sieht
die Welt wieder anders aus. — Donnerwetter! wer singt denn da draußen?
Grvppoff trat ans Fenster. Da stand die Arte Beit mitten in einem Schwarm
von Haffmücken und saug: Zu Schiffern gehn wir, gehn zu Schiffern, und dabei
blickte sie starr auf das Fenster von Gropposfs Stube. Groppoff wollte sie mit
zorniger Gebärde wegscheuchen, aber sie ging nicht. Mochte sie stehn bleiben, was
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