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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die Gauchos und die deutsche Auswandrung

steht Wie das dünne Schilfdach. Diese traurigen Behausungen schwanken bei
jedem Windhauch hin und her und wimmeln von Flöhen; aber in den holz-
und steinarmen La-Plataländern sind Bauten aus solidern Material ein Luxus,
den sich nicht jedermann erlauben kann. Die Wohlhabenden haben ganz ordent¬
liche Betten, die weniger Bemittelten schlafen dagegen auf Matten oder Schaf¬
fellen am Boden, wobei meist der Sattel als Kopfkissen und der Poncho als
Decke benutzt wird. Die Kost ist höchst einförmig, und das viele Fleischessen
auf die Dauer entschieden gesundheitsschädlich. Fleischbrühe, gekochtes Rind¬
fleisch mit gekochtem oder geröstetem Kürbis, geröstetes Schaffleisch und Mais¬
brei, das sind die Hauptteile des Gauchomenüs. Ab und zu bringt wohl ein
Huhn oder ein Schwein etwas Abwechslung in diese geiht- und magentötende
Speisekarte; aber immer ist es Fleisch und nichts als Fleisch. Auch Paraguay¬
tee wird in unglaublichen Mengen konsumiert. Früh, wenn die Hähne krähn,
brodelt schon der Kessel über dem Feuer, und das Mätetrinken beginnt und
wird mit kurzen Pausen bis zum Abend fortgesetzt. Brot kennt der Gaucho
nicht oder hat es wenigstens nicht in seinem Hause, weil seine Weiber zum
Backen zu faul sind. An Stelle des Brotes hat er die Galleta, eine Art Schiffs-
zwieback, die in Säcken aus den nächsten Kampstädtchen geholt wird und so hart
ist, daß man sie in Wasser oder Milch auflösen muß, um sie zu genießen. Alle
Gauchos männlichen Geschlechts sind leidenschaftliche Raucher, ein rauchendes Weib
ist mir dagegen während eines mehrjährigen Aufenthalts in Argentinien nicht
zu Gesicht gekommen. In sittlicher Hinsicht stelle ich die Ganesa sehr hoch, das
einzige, was man ihr nachsagen kann, wäre, daß sie maßlos faul und häßlich ist.

Fassen wir unsre Ausführungen zusammen, so sind die Gauchos ein durchaus
kulturfähiges, gutbegabtes Volk, mit dem sich leben und arbeiten läßt, wenn
man es nur recht anzufassen versteht. Die Gauchos im Süden der Provinzen
Santa Fe, Cordoba, Euere Rios sowie im nördlichen und im zentralen Teil der
Provinz Buenos Aires sind schon jetzt so weit zivilisiert, daß es keiner besondern
Sittenstudien bedarf, wenn man mit ihnen gut auskommen will. Die genannten
Gebiete lassen sich darum auch schon heute der deutschen Auswandrung als
Ziel empfehlen, zumal da Boden und Klima dort durchweg gut sind, und dort
auch zahlreiche große deutsche und schweizerische Kolonien liegen. Ob aber die
übrigen Teile der Republik für unsre Auswandrung in Betracht kommen werden,
das hängt von der Zivilisierung der wilden Gauchos ab. Der vorige Präsident
der Republik, General I. Rom. hat in dieser Beziehung viel getan, ihm ist es
auch zu danken, daß Argentinien mit Mexiko, was Sicherheit des Lebens und
Eigentums anlangt, an der Spitze aller amerikanischen Staaten steht, und
auch Manuel Quintana, der jetzt die Geschicke Argentiniens lenkt, scheint ein
energischer fortschrittlich gesinnter Mann zu sein. Wir glauben, daß dieses
schöne fruchtbare Land, das sich wie kaum ein zweites dazu eignet, in abseh¬
barer Zeit ein Hauptziel der deutschen Auswandrung sein wird.




Die Gauchos und die deutsche Auswandrung

steht Wie das dünne Schilfdach. Diese traurigen Behausungen schwanken bei
jedem Windhauch hin und her und wimmeln von Flöhen; aber in den holz-
und steinarmen La-Plataländern sind Bauten aus solidern Material ein Luxus,
den sich nicht jedermann erlauben kann. Die Wohlhabenden haben ganz ordent¬
liche Betten, die weniger Bemittelten schlafen dagegen auf Matten oder Schaf¬
fellen am Boden, wobei meist der Sattel als Kopfkissen und der Poncho als
Decke benutzt wird. Die Kost ist höchst einförmig, und das viele Fleischessen
auf die Dauer entschieden gesundheitsschädlich. Fleischbrühe, gekochtes Rind¬
fleisch mit gekochtem oder geröstetem Kürbis, geröstetes Schaffleisch und Mais¬
brei, das sind die Hauptteile des Gauchomenüs. Ab und zu bringt wohl ein
Huhn oder ein Schwein etwas Abwechslung in diese geiht- und magentötende
Speisekarte; aber immer ist es Fleisch und nichts als Fleisch. Auch Paraguay¬
tee wird in unglaublichen Mengen konsumiert. Früh, wenn die Hähne krähn,
brodelt schon der Kessel über dem Feuer, und das Mätetrinken beginnt und
wird mit kurzen Pausen bis zum Abend fortgesetzt. Brot kennt der Gaucho
nicht oder hat es wenigstens nicht in seinem Hause, weil seine Weiber zum
Backen zu faul sind. An Stelle des Brotes hat er die Galleta, eine Art Schiffs-
zwieback, die in Säcken aus den nächsten Kampstädtchen geholt wird und so hart
ist, daß man sie in Wasser oder Milch auflösen muß, um sie zu genießen. Alle
Gauchos männlichen Geschlechts sind leidenschaftliche Raucher, ein rauchendes Weib
ist mir dagegen während eines mehrjährigen Aufenthalts in Argentinien nicht
zu Gesicht gekommen. In sittlicher Hinsicht stelle ich die Ganesa sehr hoch, das
einzige, was man ihr nachsagen kann, wäre, daß sie maßlos faul und häßlich ist.

Fassen wir unsre Ausführungen zusammen, so sind die Gauchos ein durchaus
kulturfähiges, gutbegabtes Volk, mit dem sich leben und arbeiten läßt, wenn
man es nur recht anzufassen versteht. Die Gauchos im Süden der Provinzen
Santa Fe, Cordoba, Euere Rios sowie im nördlichen und im zentralen Teil der
Provinz Buenos Aires sind schon jetzt so weit zivilisiert, daß es keiner besondern
Sittenstudien bedarf, wenn man mit ihnen gut auskommen will. Die genannten
Gebiete lassen sich darum auch schon heute der deutschen Auswandrung als
Ziel empfehlen, zumal da Boden und Klima dort durchweg gut sind, und dort
auch zahlreiche große deutsche und schweizerische Kolonien liegen. Ob aber die
übrigen Teile der Republik für unsre Auswandrung in Betracht kommen werden,
das hängt von der Zivilisierung der wilden Gauchos ab. Der vorige Präsident
der Republik, General I. Rom. hat in dieser Beziehung viel getan, ihm ist es
auch zu danken, daß Argentinien mit Mexiko, was Sicherheit des Lebens und
Eigentums anlangt, an der Spitze aller amerikanischen Staaten steht, und
auch Manuel Quintana, der jetzt die Geschicke Argentiniens lenkt, scheint ein
energischer fortschrittlich gesinnter Mann zu sein. Wir glauben, daß dieses
schöne fruchtbare Land, das sich wie kaum ein zweites dazu eignet, in abseh¬
barer Zeit ein Hauptziel der deutschen Auswandrung sein wird.




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[0322] Die Gauchos und die deutsche Auswandrung steht Wie das dünne Schilfdach. Diese traurigen Behausungen schwanken bei jedem Windhauch hin und her und wimmeln von Flöhen; aber in den holz- und steinarmen La-Plataländern sind Bauten aus solidern Material ein Luxus, den sich nicht jedermann erlauben kann. Die Wohlhabenden haben ganz ordent¬ liche Betten, die weniger Bemittelten schlafen dagegen auf Matten oder Schaf¬ fellen am Boden, wobei meist der Sattel als Kopfkissen und der Poncho als Decke benutzt wird. Die Kost ist höchst einförmig, und das viele Fleischessen auf die Dauer entschieden gesundheitsschädlich. Fleischbrühe, gekochtes Rind¬ fleisch mit gekochtem oder geröstetem Kürbis, geröstetes Schaffleisch und Mais¬ brei, das sind die Hauptteile des Gauchomenüs. Ab und zu bringt wohl ein Huhn oder ein Schwein etwas Abwechslung in diese geiht- und magentötende Speisekarte; aber immer ist es Fleisch und nichts als Fleisch. Auch Paraguay¬ tee wird in unglaublichen Mengen konsumiert. Früh, wenn die Hähne krähn, brodelt schon der Kessel über dem Feuer, und das Mätetrinken beginnt und wird mit kurzen Pausen bis zum Abend fortgesetzt. Brot kennt der Gaucho nicht oder hat es wenigstens nicht in seinem Hause, weil seine Weiber zum Backen zu faul sind. An Stelle des Brotes hat er die Galleta, eine Art Schiffs- zwieback, die in Säcken aus den nächsten Kampstädtchen geholt wird und so hart ist, daß man sie in Wasser oder Milch auflösen muß, um sie zu genießen. Alle Gauchos männlichen Geschlechts sind leidenschaftliche Raucher, ein rauchendes Weib ist mir dagegen während eines mehrjährigen Aufenthalts in Argentinien nicht zu Gesicht gekommen. In sittlicher Hinsicht stelle ich die Ganesa sehr hoch, das einzige, was man ihr nachsagen kann, wäre, daß sie maßlos faul und häßlich ist. Fassen wir unsre Ausführungen zusammen, so sind die Gauchos ein durchaus kulturfähiges, gutbegabtes Volk, mit dem sich leben und arbeiten läßt, wenn man es nur recht anzufassen versteht. Die Gauchos im Süden der Provinzen Santa Fe, Cordoba, Euere Rios sowie im nördlichen und im zentralen Teil der Provinz Buenos Aires sind schon jetzt so weit zivilisiert, daß es keiner besondern Sittenstudien bedarf, wenn man mit ihnen gut auskommen will. Die genannten Gebiete lassen sich darum auch schon heute der deutschen Auswandrung als Ziel empfehlen, zumal da Boden und Klima dort durchweg gut sind, und dort auch zahlreiche große deutsche und schweizerische Kolonien liegen. Ob aber die übrigen Teile der Republik für unsre Auswandrung in Betracht kommen werden, das hängt von der Zivilisierung der wilden Gauchos ab. Der vorige Präsident der Republik, General I. Rom. hat in dieser Beziehung viel getan, ihm ist es auch zu danken, daß Argentinien mit Mexiko, was Sicherheit des Lebens und Eigentums anlangt, an der Spitze aller amerikanischen Staaten steht, und auch Manuel Quintana, der jetzt die Geschicke Argentiniens lenkt, scheint ein energischer fortschrittlich gesinnter Mann zu sein. Wir glauben, daß dieses schöne fruchtbare Land, das sich wie kaum ein zweites dazu eignet, in abseh¬ barer Zeit ein Hauptziel der deutschen Auswandrung sein wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/322>, abgerufen am 27.09.2024.