Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.Joachim Pecei und Antonelli feindlich gewesen war, und er hatte keinen ernsthaften Mit¬ Es war ihm beschieden, die römische Kirche mehr als ein Vierteljahr¬ Joachim Pecei und Antonelli feindlich gewesen war, und er hatte keinen ernsthaften Mit¬ Es war ihm beschieden, die römische Kirche mehr als ein Vierteljahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297818"/> <fw type="header" place="top"> Joachim Pecei</fw><lb/> <p xml:id="ID_1380" prev="#ID_1379"> und Antonelli feindlich gewesen war, und er hatte keinen ernsthaften Mit¬<lb/> bewerber; auch eine seltsame Weissagung seines Landsmannes, des Abts Gessi,<lb/> hatte ihm schon vor Jahrzehnten die päpstliche Tiara prophezeit. Als aber die<lb/> Wirklichkeit an ihn herantrat, da war er aufs tiefste erschüttert; seine Familie<lb/> glaubte kaum, daß er die Krönung (3. März) erleben werde, so schwach erschien<lb/> er in diesen Tagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1381" next="#ID_1382"> Es war ihm beschieden, die römische Kirche mehr als ein Vierteljahr¬<lb/> hundert zu leiten. Auch als Greis und als Papst hat er noch immer gelernt<lb/> und sich innerlich weiter entwickelt. Das zeigen vor allem seine zahlreichen in<lb/> fließendem, elegantem Latein geschriebnen Encykliken. Sie bewegen sich aller¬<lb/> dings überwiegend in abstrakten, theoretischen allgemeinen Wendungen, wie es<lb/> diese Stelle und der amtliche Charakter der Schriftstücke Wohl mit sich brachte,<lb/> aber auch in hohem Gedankenflug und in edeln Empfindungen. Sein Ziel<lb/> blieb die Versöhnung der Kirche mit der modernen Kultur, also auch mit dem<lb/> modernen Staate. Immer hat, so meinte er jetzt (1881), die Kirche den gött¬<lb/> lichen Ursprung auch des Staats gelehrt. Seine Aufgabe ist, „alles das zu<lb/> liefern und zu schützen, was dazu beitragen kann, die Bürger zu einem moralisch<lb/> tüchtigen Leben vorzubilden" (1893). Deshalb muß die Kirche nicht nur<lb/> Frieden mit dem Staate halten, sondern sie muß mit ihm zusammenarbeiten in<lb/> der Kulturpflege. Dabei ist der Staat freier als die Kirche, denn wenn diese<lb/> an ihre göttlichen Prinzipien gebunden ist, so kann der Staat manches dulden,<lb/> was weder wahr noch gerecht ist, um Übles zu vermeiden oder Gutes zu er¬<lb/> reichen. Dem hat sich dann auch die Kirche zu fügen (1888). An einer be¬<lb/> stimmten Staatsform hat die Kirche kein Interesse; sie kann auch, wie Nord¬<lb/> amerika ihm zeigte, die völlige Trennung von Staat und Kirche ertragen (die<lb/> Leo früher unbedingt verworfen hatte). Deshalb mahnte Leo die Katholiken,<lb/> auch überall gute Patrioten zu sein. Kirchlich politische Parteien lehnte er<lb/> noch 1885 ab, vielmehr sollten sich die Katholiken mit andern Elementen<lb/> zusammentun, und in politischen Fragen sollten sie völlig freies Urteil haben.<lb/> Das Zentrum des deutschen Reichstags erschien ihm, weil es in seiner poli¬<lb/> tischen Haltung von der kirchlichen Autorität frei sein will, als Muster einer<lb/> solchen Partei. Den Priestern aber verbot er, sich in den politischen Partei¬<lb/> kampf zu mischen: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist." Über das Grenz¬<lb/> gebiet sollten sich Staat und Kirche friedlich verständigen; eine Souveränität<lb/> des Staats über die Kirche als irdische Genossenschaft erkannte er also — be¬<lb/> greiflicherweise — prinzipiell nicht an, in dieser Beziehung beruht seine An¬<lb/> schauung doch auf der mittelalterlichen Theorie von den beiden Schwertern (so in<lb/> der Encyklika ImmortAls Asi 1885). Gemeinsam sollen nun beide Institutionen<lb/> arbeiten zunächst auf dem Gebiete der Schule. Leo würdigte die Berechtigung<lb/> der Staatsschule für die weltlichen Fächer durchaus, und er wies die „freien"<lb/> (katholischen) Schulen zur Unterwerfung unter die Staatsgesetze an. Als Grund¬<lb/> lage für den philosophisch-theologischen Unterricht schrieb er schon 1879 allge¬<lb/> mein das System des Thomas von Aquino vor, er ließ auch seine Werke<lb/> durch seineu gelehrten Bruder, den 1879 zum Kardinal erhobnen Joseph Pecei,<lb/> neu herausgeben. Ebenso sollten Staat und Kirche gemeinsam die sozialen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Joachim Pecei
und Antonelli feindlich gewesen war, und er hatte keinen ernsthaften Mit¬
bewerber; auch eine seltsame Weissagung seines Landsmannes, des Abts Gessi,
hatte ihm schon vor Jahrzehnten die päpstliche Tiara prophezeit. Als aber die
Wirklichkeit an ihn herantrat, da war er aufs tiefste erschüttert; seine Familie
glaubte kaum, daß er die Krönung (3. März) erleben werde, so schwach erschien
er in diesen Tagen.
Es war ihm beschieden, die römische Kirche mehr als ein Vierteljahr¬
hundert zu leiten. Auch als Greis und als Papst hat er noch immer gelernt
und sich innerlich weiter entwickelt. Das zeigen vor allem seine zahlreichen in
fließendem, elegantem Latein geschriebnen Encykliken. Sie bewegen sich aller¬
dings überwiegend in abstrakten, theoretischen allgemeinen Wendungen, wie es
diese Stelle und der amtliche Charakter der Schriftstücke Wohl mit sich brachte,
aber auch in hohem Gedankenflug und in edeln Empfindungen. Sein Ziel
blieb die Versöhnung der Kirche mit der modernen Kultur, also auch mit dem
modernen Staate. Immer hat, so meinte er jetzt (1881), die Kirche den gött¬
lichen Ursprung auch des Staats gelehrt. Seine Aufgabe ist, „alles das zu
liefern und zu schützen, was dazu beitragen kann, die Bürger zu einem moralisch
tüchtigen Leben vorzubilden" (1893). Deshalb muß die Kirche nicht nur
Frieden mit dem Staate halten, sondern sie muß mit ihm zusammenarbeiten in
der Kulturpflege. Dabei ist der Staat freier als die Kirche, denn wenn diese
an ihre göttlichen Prinzipien gebunden ist, so kann der Staat manches dulden,
was weder wahr noch gerecht ist, um Übles zu vermeiden oder Gutes zu er¬
reichen. Dem hat sich dann auch die Kirche zu fügen (1888). An einer be¬
stimmten Staatsform hat die Kirche kein Interesse; sie kann auch, wie Nord¬
amerika ihm zeigte, die völlige Trennung von Staat und Kirche ertragen (die
Leo früher unbedingt verworfen hatte). Deshalb mahnte Leo die Katholiken,
auch überall gute Patrioten zu sein. Kirchlich politische Parteien lehnte er
noch 1885 ab, vielmehr sollten sich die Katholiken mit andern Elementen
zusammentun, und in politischen Fragen sollten sie völlig freies Urteil haben.
Das Zentrum des deutschen Reichstags erschien ihm, weil es in seiner poli¬
tischen Haltung von der kirchlichen Autorität frei sein will, als Muster einer
solchen Partei. Den Priestern aber verbot er, sich in den politischen Partei¬
kampf zu mischen: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist." Über das Grenz¬
gebiet sollten sich Staat und Kirche friedlich verständigen; eine Souveränität
des Staats über die Kirche als irdische Genossenschaft erkannte er also — be¬
greiflicherweise — prinzipiell nicht an, in dieser Beziehung beruht seine An¬
schauung doch auf der mittelalterlichen Theorie von den beiden Schwertern (so in
der Encyklika ImmortAls Asi 1885). Gemeinsam sollen nun beide Institutionen
arbeiten zunächst auf dem Gebiete der Schule. Leo würdigte die Berechtigung
der Staatsschule für die weltlichen Fächer durchaus, und er wies die „freien"
(katholischen) Schulen zur Unterwerfung unter die Staatsgesetze an. Als Grund¬
lage für den philosophisch-theologischen Unterricht schrieb er schon 1879 allge¬
mein das System des Thomas von Aquino vor, er ließ auch seine Werke
durch seineu gelehrten Bruder, den 1879 zum Kardinal erhobnen Joseph Pecei,
neu herausgeben. Ebenso sollten Staat und Kirche gemeinsam die sozialen
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