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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

als Teutonen hinstellt! Dante, der kaum ein Christ gewesen sei, war sicher ein
Germane! Betrachtet sein Werk! Betrachtet sein Gesicht! Das entschiedenste Gegen¬
stück zu dem Luthers! Und gerade deswegen verrät es die innige Verwandtschaft
zwischen diesen beiden, Luther und Dante gehören zu der Skala der großen Ger¬
manen! (500. 502). Die Mutter des Apostels Paulus war Griechin, "sein In¬
tellekt absolut unjüdisch" (581). Christus, unser Herr, war kein Jude; Chcimberlciin
kann allerdings nur von der Wahrscheinlichkeit sprechen, daß er ein Arier war
(214 bis 218). Mit Rücksicht auf Christi Lehre geht er jedoch stärker ins Zeug.
Die Jndoeuropäer hatten nichts von dem widerwärtigen Aberglauben von Himmel
und Hölle, von Belohnung und Bestrafung, den die Juden erfunden haben. Die
Erlösung ist die Umkehr des innern Menschen, Ewigkeit ist nicht der künftige Zu¬
stand (Fnturity). "Religion ist die Auffassung der Ewigkeit in der Gegenwart!"
Franz von Assisi, der auf seinem Totenbett ein "Freidenker" geworden ist, brach
in das göttliche Jubellied des we-toan-g-si aus, das aus allem Kirchentum befreit
ist; dies ist das direkte Gegenteil von dem "kalten, seelenlosen Glaubensbekenntnis
Dantes," der plötzlich orthodox geworden ist, nachdem er ein paar Seiten vorher
"kaum ein Christ" genannt worden war (887/8. 567. 573 usw.). Für Leute, die
daraus nicht klug werden, hat Chamberlain ein eigens fabriziertes Evangelium be¬
reit: "Worte Christi," das selbstverständlich das Johannesevangelium und alle
andern Texte, die zu seiner Erklärung von Christi Christentum nicht passen, aus¬
schließt. Diese Interpretation räumt mit Dogmen, d. h. "Mythentransformationen,"
mit dem historischen Christentum und den Kirchen gründlich auf. Die Germanen,
die die Slawen und die Kelten mit in sich begreifen, müssen untergehn oder eine
eigne Religion hervorbringen, ein Christentum, das ihnen exklusiv gehört, im Gegen¬
satz zu dem römischen Völkerchaos.

Dieses Buch -- das von hellenischer Kunst und Philosophie, vom römischen
Recht, von der Erscheinung Christi, vom Völkerchaos, vom Eintritt der Juden,
dann von den Germanen im Westen und in der Geschichte der Welt, von Religion,
vom Staat und der neuen zwischen 1200 und 1800 durch die Germanen ge¬
schaffnen Kultur handelt -- hat denkende Leser und ernst zu nehmende Kritiker
Chamberlains zur Zersplitterung getrieben. Jeder Gelehrte, der seine Lebensauf¬
gabe in einer einzigen Frage von denen gesehen hat, die alle dem Autor in den
Weg gelaufen sind, hat ihm bewiesen, daß er entweder total Unrecht hat oder von
den unzähligen Autoritäten, denen zu folgen er gezwungen war, irregeführt worden
ist. Ein hervorragender Franzose von höchster Wissenschaftlichkeit, Ernest Seilliere,
hat mit Chamberlain in der Re-vus clvs vsux Noncies (Dezember-Januar 1903/04)
in der amüsantesten aber sehr ernst zu nehmenden Weise in drei Essays abgerechnet,
die er I^g, Million Impöriitlists nennt. Anstatt Chamberlain direkt zu bekämpfen,
nimmt er die falschen oder falsch verstandnen Autoritäten her, von denen Chamber¬
lain entlehnt: Gobineau, Schopenhauer, Kant, Richard Wagner nicht zu vergessen,
mit dessen Biographie der Verfasser der "Grundlagen" zuerst literarisch aufgetreten
ist. So vorsichtig ist Chamberlain allerdings, daß er darauf besteht, Wagner habe
keine Philosophie, sondern nur eine Weltanschauung; das hat ihm bei seinen Bay-
reuther Freunden und Protektoren auch die Suppe versalzen. Dieser Al-an riünto
war aber auch höchst notwendig. Denn Wotans Theologie und Philosophie, wie
sie in der Götterdämmerung und an andern Stellen von Wagner dargelegt worden
ist, ist doch wahrhaftig nicht ernst zu nehmen. Das können Wagners offenste Be¬
wundrer nicht tun. Aber Wagner, der Künstler, bleibt Chamberlains Kunstprophet,
und hier ist er ihm treu. So zeigt ihn das Kapitel "Über die Kunst der Hellenen"
von seiner besten Seite, als einen Meister des Stils, einen großen Rhetoriker,
immer klar, lebhaft, oft wahrhaft beredt und von dem verblüffendsten Mut in seinen
Phantastischen Behauptungen.

Der Grund, warum wir hier überhaupt von ihm sprechen, ist der, daß viele
Katholiken ihn mit naiver Bewundrung gelesen und andre mit einer Nachsicht gegen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

als Teutonen hinstellt! Dante, der kaum ein Christ gewesen sei, war sicher ein
Germane! Betrachtet sein Werk! Betrachtet sein Gesicht! Das entschiedenste Gegen¬
stück zu dem Luthers! Und gerade deswegen verrät es die innige Verwandtschaft
zwischen diesen beiden, Luther und Dante gehören zu der Skala der großen Ger¬
manen! (500. 502). Die Mutter des Apostels Paulus war Griechin, „sein In¬
tellekt absolut unjüdisch" (581). Christus, unser Herr, war kein Jude; Chcimberlciin
kann allerdings nur von der Wahrscheinlichkeit sprechen, daß er ein Arier war
(214 bis 218). Mit Rücksicht auf Christi Lehre geht er jedoch stärker ins Zeug.
Die Jndoeuropäer hatten nichts von dem widerwärtigen Aberglauben von Himmel
und Hölle, von Belohnung und Bestrafung, den die Juden erfunden haben. Die
Erlösung ist die Umkehr des innern Menschen, Ewigkeit ist nicht der künftige Zu¬
stand (Fnturity). „Religion ist die Auffassung der Ewigkeit in der Gegenwart!"
Franz von Assisi, der auf seinem Totenbett ein „Freidenker" geworden ist, brach
in das göttliche Jubellied des we-toan-g-si aus, das aus allem Kirchentum befreit
ist; dies ist das direkte Gegenteil von dem „kalten, seelenlosen Glaubensbekenntnis
Dantes," der plötzlich orthodox geworden ist, nachdem er ein paar Seiten vorher
„kaum ein Christ" genannt worden war (887/8. 567. 573 usw.). Für Leute, die
daraus nicht klug werden, hat Chamberlain ein eigens fabriziertes Evangelium be¬
reit: „Worte Christi," das selbstverständlich das Johannesevangelium und alle
andern Texte, die zu seiner Erklärung von Christi Christentum nicht passen, aus¬
schließt. Diese Interpretation räumt mit Dogmen, d. h. „Mythentransformationen,"
mit dem historischen Christentum und den Kirchen gründlich auf. Die Germanen,
die die Slawen und die Kelten mit in sich begreifen, müssen untergehn oder eine
eigne Religion hervorbringen, ein Christentum, das ihnen exklusiv gehört, im Gegen¬
satz zu dem römischen Völkerchaos.

Dieses Buch — das von hellenischer Kunst und Philosophie, vom römischen
Recht, von der Erscheinung Christi, vom Völkerchaos, vom Eintritt der Juden,
dann von den Germanen im Westen und in der Geschichte der Welt, von Religion,
vom Staat und der neuen zwischen 1200 und 1800 durch die Germanen ge¬
schaffnen Kultur handelt — hat denkende Leser und ernst zu nehmende Kritiker
Chamberlains zur Zersplitterung getrieben. Jeder Gelehrte, der seine Lebensauf¬
gabe in einer einzigen Frage von denen gesehen hat, die alle dem Autor in den
Weg gelaufen sind, hat ihm bewiesen, daß er entweder total Unrecht hat oder von
den unzähligen Autoritäten, denen zu folgen er gezwungen war, irregeführt worden
ist. Ein hervorragender Franzose von höchster Wissenschaftlichkeit, Ernest Seilliere,
hat mit Chamberlain in der Re-vus clvs vsux Noncies (Dezember-Januar 1903/04)
in der amüsantesten aber sehr ernst zu nehmenden Weise in drei Essays abgerechnet,
die er I^g, Million Impöriitlists nennt. Anstatt Chamberlain direkt zu bekämpfen,
nimmt er die falschen oder falsch verstandnen Autoritäten her, von denen Chamber¬
lain entlehnt: Gobineau, Schopenhauer, Kant, Richard Wagner nicht zu vergessen,
mit dessen Biographie der Verfasser der „Grundlagen" zuerst literarisch aufgetreten
ist. So vorsichtig ist Chamberlain allerdings, daß er darauf besteht, Wagner habe
keine Philosophie, sondern nur eine Weltanschauung; das hat ihm bei seinen Bay-
reuther Freunden und Protektoren auch die Suppe versalzen. Dieser Al-an riünto
war aber auch höchst notwendig. Denn Wotans Theologie und Philosophie, wie
sie in der Götterdämmerung und an andern Stellen von Wagner dargelegt worden
ist, ist doch wahrhaftig nicht ernst zu nehmen. Das können Wagners offenste Be¬
wundrer nicht tun. Aber Wagner, der Künstler, bleibt Chamberlains Kunstprophet,
und hier ist er ihm treu. So zeigt ihn das Kapitel „Über die Kunst der Hellenen"
von seiner besten Seite, als einen Meister des Stils, einen großen Rhetoriker,
immer klar, lebhaft, oft wahrhaft beredt und von dem verblüffendsten Mut in seinen
Phantastischen Behauptungen.

Der Grund, warum wir hier überhaupt von ihm sprechen, ist der, daß viele
Katholiken ihn mit naiver Bewundrung gelesen und andre mit einer Nachsicht gegen


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[0231] Maßgebliches und Unmaßgebliches als Teutonen hinstellt! Dante, der kaum ein Christ gewesen sei, war sicher ein Germane! Betrachtet sein Werk! Betrachtet sein Gesicht! Das entschiedenste Gegen¬ stück zu dem Luthers! Und gerade deswegen verrät es die innige Verwandtschaft zwischen diesen beiden, Luther und Dante gehören zu der Skala der großen Ger¬ manen! (500. 502). Die Mutter des Apostels Paulus war Griechin, „sein In¬ tellekt absolut unjüdisch" (581). Christus, unser Herr, war kein Jude; Chcimberlciin kann allerdings nur von der Wahrscheinlichkeit sprechen, daß er ein Arier war (214 bis 218). Mit Rücksicht auf Christi Lehre geht er jedoch stärker ins Zeug. Die Jndoeuropäer hatten nichts von dem widerwärtigen Aberglauben von Himmel und Hölle, von Belohnung und Bestrafung, den die Juden erfunden haben. Die Erlösung ist die Umkehr des innern Menschen, Ewigkeit ist nicht der künftige Zu¬ stand (Fnturity). „Religion ist die Auffassung der Ewigkeit in der Gegenwart!" Franz von Assisi, der auf seinem Totenbett ein „Freidenker" geworden ist, brach in das göttliche Jubellied des we-toan-g-si aus, das aus allem Kirchentum befreit ist; dies ist das direkte Gegenteil von dem „kalten, seelenlosen Glaubensbekenntnis Dantes," der plötzlich orthodox geworden ist, nachdem er ein paar Seiten vorher „kaum ein Christ" genannt worden war (887/8. 567. 573 usw.). Für Leute, die daraus nicht klug werden, hat Chamberlain ein eigens fabriziertes Evangelium be¬ reit: „Worte Christi," das selbstverständlich das Johannesevangelium und alle andern Texte, die zu seiner Erklärung von Christi Christentum nicht passen, aus¬ schließt. Diese Interpretation räumt mit Dogmen, d. h. „Mythentransformationen," mit dem historischen Christentum und den Kirchen gründlich auf. Die Germanen, die die Slawen und die Kelten mit in sich begreifen, müssen untergehn oder eine eigne Religion hervorbringen, ein Christentum, das ihnen exklusiv gehört, im Gegen¬ satz zu dem römischen Völkerchaos. Dieses Buch — das von hellenischer Kunst und Philosophie, vom römischen Recht, von der Erscheinung Christi, vom Völkerchaos, vom Eintritt der Juden, dann von den Germanen im Westen und in der Geschichte der Welt, von Religion, vom Staat und der neuen zwischen 1200 und 1800 durch die Germanen ge¬ schaffnen Kultur handelt — hat denkende Leser und ernst zu nehmende Kritiker Chamberlains zur Zersplitterung getrieben. Jeder Gelehrte, der seine Lebensauf¬ gabe in einer einzigen Frage von denen gesehen hat, die alle dem Autor in den Weg gelaufen sind, hat ihm bewiesen, daß er entweder total Unrecht hat oder von den unzähligen Autoritäten, denen zu folgen er gezwungen war, irregeführt worden ist. Ein hervorragender Franzose von höchster Wissenschaftlichkeit, Ernest Seilliere, hat mit Chamberlain in der Re-vus clvs vsux Noncies (Dezember-Januar 1903/04) in der amüsantesten aber sehr ernst zu nehmenden Weise in drei Essays abgerechnet, die er I^g, Million Impöriitlists nennt. Anstatt Chamberlain direkt zu bekämpfen, nimmt er die falschen oder falsch verstandnen Autoritäten her, von denen Chamber¬ lain entlehnt: Gobineau, Schopenhauer, Kant, Richard Wagner nicht zu vergessen, mit dessen Biographie der Verfasser der „Grundlagen" zuerst literarisch aufgetreten ist. So vorsichtig ist Chamberlain allerdings, daß er darauf besteht, Wagner habe keine Philosophie, sondern nur eine Weltanschauung; das hat ihm bei seinen Bay- reuther Freunden und Protektoren auch die Suppe versalzen. Dieser Al-an riünto war aber auch höchst notwendig. Denn Wotans Theologie und Philosophie, wie sie in der Götterdämmerung und an andern Stellen von Wagner dargelegt worden ist, ist doch wahrhaftig nicht ernst zu nehmen. Das können Wagners offenste Be¬ wundrer nicht tun. Aber Wagner, der Künstler, bleibt Chamberlains Kunstprophet, und hier ist er ihm treu. So zeigt ihn das Kapitel „Über die Kunst der Hellenen" von seiner besten Seite, als einen Meister des Stils, einen großen Rhetoriker, immer klar, lebhaft, oft wahrhaft beredt und von dem verblüffendsten Mut in seinen Phantastischen Behauptungen. Der Grund, warum wir hier überhaupt von ihm sprechen, ist der, daß viele Katholiken ihn mit naiver Bewundrung gelesen und andre mit einer Nachsicht gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/231>, abgerufen am 27.09.2024.