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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der britische Staatshaushalt

trage selbst sehr richtig zu. Man kann bei der Beratung gewiß sehr gründlich
zwanzig Zeugenaussagen prüfen und gegeneinander abwägen und braucht dann
doch in den Entscheidungsgründen nur zu sagen, das Berufungsgericht habe
durch die Zeugenangaben nicht die Überzeugung erlangt, daß dies und das
geschehen sei. Und wenn man, wie von Salinger, die Meinung vertreten
hört, in nichtrevisibeln Sachen sei die Mitteilung von Entscheidungsgründen
überhaupt an und für sich überflüssig, und weiß, daß sie in der Tat in folchen
Sachen von den Parteien und ihren Anwälten kaum gelesen werden, so reizt
dies allerdings nicht zu besonders eingehender schriftlicher Wiedergabe der
Gründe. Erwogen aber sind die Sachen ebenso gründlich. Die gegenteilige
Annahme zeugt in der Tat von gänzlicher Verkennung des richterlichen Pflicht¬
gefühls sowohl als vom Gang der Beratung im richterlichen Kollegium. Bei
dieser Beratung kommt der Wert und die Höhe des Streitgegenstands fast
niemals zur besondern Erwähnung, es ist den Richtern kaum gegenwärtig, ob
der Kläger 1000 oder 3000 Mark fordert, allein die Sache interessiert, diese
wird beraten, um sie wird debattiert, über sie wird abgestimmt, und oft stellt
dann erst der Referent bei der schriftlichen Ausarbeitung des beschlossenen
Urteils die Klagsumme fest, die bis dahin nur als etwas unbekanntes be¬
handelt wurde.

Und noch eine Frage sei zum Schluß erlaubt. Warum wird gerade den
in Zivilsenaten tätigen Richtern der Oberlandesgerichte die Gewissenlosigkeit
zugetraut, nichtrevisible Sachen minder sorgsam zu erwügeu als revisible?

Auch die Richter der Strafsenate am Oberlandesgericht urteilen in letzter
Instanz. Sind deshalb auch ihre Urteile wertlos? Und vollends das Reichs¬
gericht hat keine weitere Instanz über sich. Sind aus diesem Grunde seine
Urteile nicht sorgsam begründet? Oder stehn diese Richter, was Gewissen¬
haftigkeit und Pflichttreue anlangt, auf einer höhern Stufe als die Richter
der Zivilsenate der Oberlandesgerichte? Welche armselige Vorstellung vom
Pflichtgefühl eines deutschen Richters, welche Bedientenseele muß doch der
habe", der glaubt, der Richter arbeite wie ein Schulbube nur dann sorgfältig,
wenn der Lehrer mit dem Bakel hinter ihm stehe.

Wir können nicht glauben, daß dies wirklich die Ansicht des deutschen Volkes
A. Lobe von seinen Richtern ist.




T)er britische Staatshaushalt
Hugo Lartels Von (Fortsetzung)

n der Verzinsung der festen Schuld ist am 1. Januar 1903
durch Herabsetzung des Zinsfußes auf 2^ Prozent eine Er¬
sparnis von 1'/^ Million eingetreten, aber die Anleihen für den
südafrikanischen Krieg, die seitdem der festen Schuld einverleibt
sind, haben sie wieder zunichte gemacht, und der Zinsaufwand
betrug 16 390445 weit mehr als vor der Herabsetzung. Mr die schwebende
Schuld kamen hinzu 2422435.^, für Zeitrentcn 6 538014 und für Ver-V


Der britische Staatshaushalt

trage selbst sehr richtig zu. Man kann bei der Beratung gewiß sehr gründlich
zwanzig Zeugenaussagen prüfen und gegeneinander abwägen und braucht dann
doch in den Entscheidungsgründen nur zu sagen, das Berufungsgericht habe
durch die Zeugenangaben nicht die Überzeugung erlangt, daß dies und das
geschehen sei. Und wenn man, wie von Salinger, die Meinung vertreten
hört, in nichtrevisibeln Sachen sei die Mitteilung von Entscheidungsgründen
überhaupt an und für sich überflüssig, und weiß, daß sie in der Tat in folchen
Sachen von den Parteien und ihren Anwälten kaum gelesen werden, so reizt
dies allerdings nicht zu besonders eingehender schriftlicher Wiedergabe der
Gründe. Erwogen aber sind die Sachen ebenso gründlich. Die gegenteilige
Annahme zeugt in der Tat von gänzlicher Verkennung des richterlichen Pflicht¬
gefühls sowohl als vom Gang der Beratung im richterlichen Kollegium. Bei
dieser Beratung kommt der Wert und die Höhe des Streitgegenstands fast
niemals zur besondern Erwähnung, es ist den Richtern kaum gegenwärtig, ob
der Kläger 1000 oder 3000 Mark fordert, allein die Sache interessiert, diese
wird beraten, um sie wird debattiert, über sie wird abgestimmt, und oft stellt
dann erst der Referent bei der schriftlichen Ausarbeitung des beschlossenen
Urteils die Klagsumme fest, die bis dahin nur als etwas unbekanntes be¬
handelt wurde.

Und noch eine Frage sei zum Schluß erlaubt. Warum wird gerade den
in Zivilsenaten tätigen Richtern der Oberlandesgerichte die Gewissenlosigkeit
zugetraut, nichtrevisible Sachen minder sorgsam zu erwügeu als revisible?

Auch die Richter der Strafsenate am Oberlandesgericht urteilen in letzter
Instanz. Sind deshalb auch ihre Urteile wertlos? Und vollends das Reichs¬
gericht hat keine weitere Instanz über sich. Sind aus diesem Grunde seine
Urteile nicht sorgsam begründet? Oder stehn diese Richter, was Gewissen¬
haftigkeit und Pflichttreue anlangt, auf einer höhern Stufe als die Richter
der Zivilsenate der Oberlandesgerichte? Welche armselige Vorstellung vom
Pflichtgefühl eines deutschen Richters, welche Bedientenseele muß doch der
habe», der glaubt, der Richter arbeite wie ein Schulbube nur dann sorgfältig,
wenn der Lehrer mit dem Bakel hinter ihm stehe.

Wir können nicht glauben, daß dies wirklich die Ansicht des deutschen Volkes
A. Lobe von seinen Richtern ist.




T)er britische Staatshaushalt
Hugo Lartels Von (Fortsetzung)

n der Verzinsung der festen Schuld ist am 1. Januar 1903
durch Herabsetzung des Zinsfußes auf 2^ Prozent eine Er¬
sparnis von 1'/^ Million eingetreten, aber die Anleihen für den
südafrikanischen Krieg, die seitdem der festen Schuld einverleibt
sind, haben sie wieder zunichte gemacht, und der Zinsaufwand
betrug 16 390445 weit mehr als vor der Herabsetzung. Mr die schwebende
Schuld kamen hinzu 2422435.^, für Zeitrentcn 6 538014 und für Ver-V


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[0183] Der britische Staatshaushalt trage selbst sehr richtig zu. Man kann bei der Beratung gewiß sehr gründlich zwanzig Zeugenaussagen prüfen und gegeneinander abwägen und braucht dann doch in den Entscheidungsgründen nur zu sagen, das Berufungsgericht habe durch die Zeugenangaben nicht die Überzeugung erlangt, daß dies und das geschehen sei. Und wenn man, wie von Salinger, die Meinung vertreten hört, in nichtrevisibeln Sachen sei die Mitteilung von Entscheidungsgründen überhaupt an und für sich überflüssig, und weiß, daß sie in der Tat in folchen Sachen von den Parteien und ihren Anwälten kaum gelesen werden, so reizt dies allerdings nicht zu besonders eingehender schriftlicher Wiedergabe der Gründe. Erwogen aber sind die Sachen ebenso gründlich. Die gegenteilige Annahme zeugt in der Tat von gänzlicher Verkennung des richterlichen Pflicht¬ gefühls sowohl als vom Gang der Beratung im richterlichen Kollegium. Bei dieser Beratung kommt der Wert und die Höhe des Streitgegenstands fast niemals zur besondern Erwähnung, es ist den Richtern kaum gegenwärtig, ob der Kläger 1000 oder 3000 Mark fordert, allein die Sache interessiert, diese wird beraten, um sie wird debattiert, über sie wird abgestimmt, und oft stellt dann erst der Referent bei der schriftlichen Ausarbeitung des beschlossenen Urteils die Klagsumme fest, die bis dahin nur als etwas unbekanntes be¬ handelt wurde. Und noch eine Frage sei zum Schluß erlaubt. Warum wird gerade den in Zivilsenaten tätigen Richtern der Oberlandesgerichte die Gewissenlosigkeit zugetraut, nichtrevisible Sachen minder sorgsam zu erwügeu als revisible? Auch die Richter der Strafsenate am Oberlandesgericht urteilen in letzter Instanz. Sind deshalb auch ihre Urteile wertlos? Und vollends das Reichs¬ gericht hat keine weitere Instanz über sich. Sind aus diesem Grunde seine Urteile nicht sorgsam begründet? Oder stehn diese Richter, was Gewissen¬ haftigkeit und Pflichttreue anlangt, auf einer höhern Stufe als die Richter der Zivilsenate der Oberlandesgerichte? Welche armselige Vorstellung vom Pflichtgefühl eines deutschen Richters, welche Bedientenseele muß doch der habe», der glaubt, der Richter arbeite wie ein Schulbube nur dann sorgfältig, wenn der Lehrer mit dem Bakel hinter ihm stehe. Wir können nicht glauben, daß dies wirklich die Ansicht des deutschen Volkes A. Lobe von seinen Richtern ist. T)er britische Staatshaushalt Hugo Lartels Von (Fortsetzung) n der Verzinsung der festen Schuld ist am 1. Januar 1903 durch Herabsetzung des Zinsfußes auf 2^ Prozent eine Er¬ sparnis von 1'/^ Million eingetreten, aber die Anleihen für den südafrikanischen Krieg, die seitdem der festen Schuld einverleibt sind, haben sie wieder zunichte gemacht, und der Zinsaufwand betrug 16 390445 weit mehr als vor der Herabsetzung. Mr die schwebende Schuld kamen hinzu 2422435.^, für Zeitrentcn 6 538014 und für Ver-V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/183>, abgerufen am 27.09.2024.