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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

gerade zum Weihnachtsfeste auf der Herberge zur Heimat an. Es fand dort eine
größere Weihnachtsfeier statt, an der etwa siebzig Kunden teilnahmen, und wobei
ein Geistlicher die Andacht leitete. Nachher gab es umsonst ein warmes Abendbrot
sowie eine Anzahl Geschenke, als Strümpfe, Mützen u. tgi. Am ersten Weihnachts¬
feiertage ging ich "auf die Fahrt" und besuchte auch die Nachbarstadt Barmer,
wo ich drei Mark zusammeufocht. Dort traf ich in einer Wirtschaft einen Lands-
mann aus Treuen i. V. namens Putlit, der in Barmer mit Treuenschen Tüchern
handelte, seinen Wohnsitz aber in Krefeld hatte, wohin er mich auch einlud. Dann
wanderte ich nach München-Gladbach. Von München-Gladbach ging ich nach Viersen,
wo es auf der Herberge sehr gemütlich war, und wo ich deshalb mehrere Tage
blieb. Die Gegend war dufte (gut), und das Kommandoschieben in die weitere
Umgegend lohnte sich.

Auf der Herberge ging es am Sonntag, wo sich auch eine ganze Anzahl
Bauernburschen und Mädchen aus der Umgegend einfand, höchst lustig zu. Es
war dort ein lahmer Schneider, ein Original ersten Ranges, der an einem solchen
Abende den Vorschlag machte, einen Junggesellenverein zu gründen, und den Namen
und das genaue Personale jedes Anwesenden gegen eine Einschreibegebühr von
zwanzig Poschern in sein Notizbuch schrieb. Diese Tätigkeit erwies sich als höchst
einträglich, denn seine Kasse füllte sich zusehends und würde vermutlich zu einer
sehr ansehnlichen Summe angeschwollen sein, wenn er nicht das Bedürfnis gehabt
hätte, seine Einkünfte sofort wieder in Soruff umzusetzen. Über deu Zweck und
die Statuten seines Vereins ließ er nichts verlauten, sondern begnügte sich, was
ja auch wohl für ihn die Hauptsache war, mit dem Einkassieren der Gebühren.
Nach einigen vergnügten Tagen wanderte ich nach München-Gladbach zurück und
von dort nach Krefeld, wo ich meinen Landsmann aus Treuen besuchte. Es war
dort gerade Wochenmarkt; ich half meinem Gastfreunde beim Aufbauen seines Standes
und blieb zwei Tage dort. Zum Karneval ging ich nach Düsseldorf, wo ich mich
vortrefflich amüsierte und dem Fastnachtsumzug beiwohnte. Am Abend, als wir
schon in unsern Betten lagen, gab es in der Herberge Krawall, und am nächsten
Tage hörten wir, daß der Boos von einem Düsseldorfer Tunichtgut bei einem
Streite in den Arm gestochen worden war. In Düsseldorf ließ sich ein Bäcker¬
meister meine Papiere aushändigen und fragte mich dann nach meinem Namen,
Geburtsdatum und der Stelle, wo ich zuletzt gearbeitet hatte. Als er merkte, daß
meine Papiere mit den Aussagen übereinstimmten, gab er mir eine Mark, die wohl
die einzige war, die ich von einem Meister je erhalten habe.

Von Düsseldorf wanderte ich über Solingen nach Remscheid, wo ich gleich
bei einem Meister Arbeit fand. Zum Mittagessen bekam ich "weißen Kappes," ein
Gericht, dem ich wenig Geschmack abzugewinnen vermochte. Auch die Arbeit mutete
mich höchst seltsam an; ich mußte mit dem Meister zusammen den Schwarzbrotteig
kneten und erhielt, als ich glaubte, der Teig sei glücklich fertig, die Weisung, Schuhe
und Strümpfe cmszuzieh", mir die Füße zu waschen und in den Teig hinein¬
zusteigen. Über der Beute (Backtrog) war eine Stange angebracht, um der man
sich festhalten konnte, während man mit den Füßen, hauptsächlich mit den Fersen,
den Teig bearbeitete. Dies dauerte etwa drei Stunden, dann wurde der Teig ab¬
gewogen, zu Broden geformt, wobei das Dienstmädchen und ein Nachbar helfen
mußten, und endlich, d. h. um sechs Uhr Abends, wurden die Brote in den Ofen
geschoben, den der Meister, nachdem er ihn geschlossen hatte, mit Lehm verklebte.
Um zehn Uhr Abends holten wir die fertigen Brote aus dem Backofen und konnten
uns zu Bett legen, mußten aber um ein Uhr in der Nacht schon mit der Her¬
stellung des Teiges sür die weiße Ware beginnen. Diese Art der Arbeit kam mir
spanisch vor, und da mir überdies die "Krone" (Frau, besonders Meisterin) am
zweiten Tage wieder weißen Kappes vorsetzte, beschloß ich, den Remscheider Staub
von den Füßen zu schütteln und weiter zu wandern. Ich durchzog das Sieger¬
land und gelangte im März über Kassel nach Eschwege.


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

gerade zum Weihnachtsfeste auf der Herberge zur Heimat an. Es fand dort eine
größere Weihnachtsfeier statt, an der etwa siebzig Kunden teilnahmen, und wobei
ein Geistlicher die Andacht leitete. Nachher gab es umsonst ein warmes Abendbrot
sowie eine Anzahl Geschenke, als Strümpfe, Mützen u. tgi. Am ersten Weihnachts¬
feiertage ging ich „auf die Fahrt" und besuchte auch die Nachbarstadt Barmer,
wo ich drei Mark zusammeufocht. Dort traf ich in einer Wirtschaft einen Lands-
mann aus Treuen i. V. namens Putlit, der in Barmer mit Treuenschen Tüchern
handelte, seinen Wohnsitz aber in Krefeld hatte, wohin er mich auch einlud. Dann
wanderte ich nach München-Gladbach. Von München-Gladbach ging ich nach Viersen,
wo es auf der Herberge sehr gemütlich war, und wo ich deshalb mehrere Tage
blieb. Die Gegend war dufte (gut), und das Kommandoschieben in die weitere
Umgegend lohnte sich.

Auf der Herberge ging es am Sonntag, wo sich auch eine ganze Anzahl
Bauernburschen und Mädchen aus der Umgegend einfand, höchst lustig zu. Es
war dort ein lahmer Schneider, ein Original ersten Ranges, der an einem solchen
Abende den Vorschlag machte, einen Junggesellenverein zu gründen, und den Namen
und das genaue Personale jedes Anwesenden gegen eine Einschreibegebühr von
zwanzig Poschern in sein Notizbuch schrieb. Diese Tätigkeit erwies sich als höchst
einträglich, denn seine Kasse füllte sich zusehends und würde vermutlich zu einer
sehr ansehnlichen Summe angeschwollen sein, wenn er nicht das Bedürfnis gehabt
hätte, seine Einkünfte sofort wieder in Soruff umzusetzen. Über deu Zweck und
die Statuten seines Vereins ließ er nichts verlauten, sondern begnügte sich, was
ja auch wohl für ihn die Hauptsache war, mit dem Einkassieren der Gebühren.
Nach einigen vergnügten Tagen wanderte ich nach München-Gladbach zurück und
von dort nach Krefeld, wo ich meinen Landsmann aus Treuen besuchte. Es war
dort gerade Wochenmarkt; ich half meinem Gastfreunde beim Aufbauen seines Standes
und blieb zwei Tage dort. Zum Karneval ging ich nach Düsseldorf, wo ich mich
vortrefflich amüsierte und dem Fastnachtsumzug beiwohnte. Am Abend, als wir
schon in unsern Betten lagen, gab es in der Herberge Krawall, und am nächsten
Tage hörten wir, daß der Boos von einem Düsseldorfer Tunichtgut bei einem
Streite in den Arm gestochen worden war. In Düsseldorf ließ sich ein Bäcker¬
meister meine Papiere aushändigen und fragte mich dann nach meinem Namen,
Geburtsdatum und der Stelle, wo ich zuletzt gearbeitet hatte. Als er merkte, daß
meine Papiere mit den Aussagen übereinstimmten, gab er mir eine Mark, die wohl
die einzige war, die ich von einem Meister je erhalten habe.

Von Düsseldorf wanderte ich über Solingen nach Remscheid, wo ich gleich
bei einem Meister Arbeit fand. Zum Mittagessen bekam ich „weißen Kappes," ein
Gericht, dem ich wenig Geschmack abzugewinnen vermochte. Auch die Arbeit mutete
mich höchst seltsam an; ich mußte mit dem Meister zusammen den Schwarzbrotteig
kneten und erhielt, als ich glaubte, der Teig sei glücklich fertig, die Weisung, Schuhe
und Strümpfe cmszuzieh», mir die Füße zu waschen und in den Teig hinein¬
zusteigen. Über der Beute (Backtrog) war eine Stange angebracht, um der man
sich festhalten konnte, während man mit den Füßen, hauptsächlich mit den Fersen,
den Teig bearbeitete. Dies dauerte etwa drei Stunden, dann wurde der Teig ab¬
gewogen, zu Broden geformt, wobei das Dienstmädchen und ein Nachbar helfen
mußten, und endlich, d. h. um sechs Uhr Abends, wurden die Brote in den Ofen
geschoben, den der Meister, nachdem er ihn geschlossen hatte, mit Lehm verklebte.
Um zehn Uhr Abends holten wir die fertigen Brote aus dem Backofen und konnten
uns zu Bett legen, mußten aber um ein Uhr in der Nacht schon mit der Her¬
stellung des Teiges sür die weiße Ware beginnen. Diese Art der Arbeit kam mir
spanisch vor, und da mir überdies die „Krone" (Frau, besonders Meisterin) am
zweiten Tage wieder weißen Kappes vorsetzte, beschloß ich, den Remscheider Staub
von den Füßen zu schütteln und weiter zu wandern. Ich durchzog das Sieger¬
land und gelangte im März über Kassel nach Eschwege.


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[0155] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren gerade zum Weihnachtsfeste auf der Herberge zur Heimat an. Es fand dort eine größere Weihnachtsfeier statt, an der etwa siebzig Kunden teilnahmen, und wobei ein Geistlicher die Andacht leitete. Nachher gab es umsonst ein warmes Abendbrot sowie eine Anzahl Geschenke, als Strümpfe, Mützen u. tgi. Am ersten Weihnachts¬ feiertage ging ich „auf die Fahrt" und besuchte auch die Nachbarstadt Barmer, wo ich drei Mark zusammeufocht. Dort traf ich in einer Wirtschaft einen Lands- mann aus Treuen i. V. namens Putlit, der in Barmer mit Treuenschen Tüchern handelte, seinen Wohnsitz aber in Krefeld hatte, wohin er mich auch einlud. Dann wanderte ich nach München-Gladbach. Von München-Gladbach ging ich nach Viersen, wo es auf der Herberge sehr gemütlich war, und wo ich deshalb mehrere Tage blieb. Die Gegend war dufte (gut), und das Kommandoschieben in die weitere Umgegend lohnte sich. Auf der Herberge ging es am Sonntag, wo sich auch eine ganze Anzahl Bauernburschen und Mädchen aus der Umgegend einfand, höchst lustig zu. Es war dort ein lahmer Schneider, ein Original ersten Ranges, der an einem solchen Abende den Vorschlag machte, einen Junggesellenverein zu gründen, und den Namen und das genaue Personale jedes Anwesenden gegen eine Einschreibegebühr von zwanzig Poschern in sein Notizbuch schrieb. Diese Tätigkeit erwies sich als höchst einträglich, denn seine Kasse füllte sich zusehends und würde vermutlich zu einer sehr ansehnlichen Summe angeschwollen sein, wenn er nicht das Bedürfnis gehabt hätte, seine Einkünfte sofort wieder in Soruff umzusetzen. Über deu Zweck und die Statuten seines Vereins ließ er nichts verlauten, sondern begnügte sich, was ja auch wohl für ihn die Hauptsache war, mit dem Einkassieren der Gebühren. Nach einigen vergnügten Tagen wanderte ich nach München-Gladbach zurück und von dort nach Krefeld, wo ich meinen Landsmann aus Treuen besuchte. Es war dort gerade Wochenmarkt; ich half meinem Gastfreunde beim Aufbauen seines Standes und blieb zwei Tage dort. Zum Karneval ging ich nach Düsseldorf, wo ich mich vortrefflich amüsierte und dem Fastnachtsumzug beiwohnte. Am Abend, als wir schon in unsern Betten lagen, gab es in der Herberge Krawall, und am nächsten Tage hörten wir, daß der Boos von einem Düsseldorfer Tunichtgut bei einem Streite in den Arm gestochen worden war. In Düsseldorf ließ sich ein Bäcker¬ meister meine Papiere aushändigen und fragte mich dann nach meinem Namen, Geburtsdatum und der Stelle, wo ich zuletzt gearbeitet hatte. Als er merkte, daß meine Papiere mit den Aussagen übereinstimmten, gab er mir eine Mark, die wohl die einzige war, die ich von einem Meister je erhalten habe. Von Düsseldorf wanderte ich über Solingen nach Remscheid, wo ich gleich bei einem Meister Arbeit fand. Zum Mittagessen bekam ich „weißen Kappes," ein Gericht, dem ich wenig Geschmack abzugewinnen vermochte. Auch die Arbeit mutete mich höchst seltsam an; ich mußte mit dem Meister zusammen den Schwarzbrotteig kneten und erhielt, als ich glaubte, der Teig sei glücklich fertig, die Weisung, Schuhe und Strümpfe cmszuzieh», mir die Füße zu waschen und in den Teig hinein¬ zusteigen. Über der Beute (Backtrog) war eine Stange angebracht, um der man sich festhalten konnte, während man mit den Füßen, hauptsächlich mit den Fersen, den Teig bearbeitete. Dies dauerte etwa drei Stunden, dann wurde der Teig ab¬ gewogen, zu Broden geformt, wobei das Dienstmädchen und ein Nachbar helfen mußten, und endlich, d. h. um sechs Uhr Abends, wurden die Brote in den Ofen geschoben, den der Meister, nachdem er ihn geschlossen hatte, mit Lehm verklebte. Um zehn Uhr Abends holten wir die fertigen Brote aus dem Backofen und konnten uns zu Bett legen, mußten aber um ein Uhr in der Nacht schon mit der Her¬ stellung des Teiges sür die weiße Ware beginnen. Diese Art der Arbeit kam mir spanisch vor, und da mir überdies die „Krone" (Frau, besonders Meisterin) am zweiten Tage wieder weißen Kappes vorsetzte, beschloß ich, den Remscheider Staub von den Füßen zu schütteln und weiter zu wandern. Ich durchzog das Sieger¬ land und gelangte im März über Kassel nach Eschwege.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/155>, abgerufen am 27.09.2024.