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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der Zweikampf bei Goethe

er bekennt, Marie ohne jeden Grund belogen und sich meineidig gemacht zu
haben, und wenn diese Satisfaktion der Beleidigten nicht genügen sollte,
bereit zu sein, sie auf alle andre nötige Weise zu geben. Clavigos Freund
Carlos sagt von dieser Erklärung, die er dem Wortlaute nach nicht kennt, sie
sei das Gescheiteste gewesen, wer werde sein Leben gegen einen so romantischen
Fratzen wagen. Als Marie anscheinend verzeiht, zerreißt Beaumarchais die
schriftliche Erklärung und übergibt sie Clavigo. Carlos aber weiß den schwachen
Freund wieder umzustimmen und rät ihm, an Beaumarchais zu schreiben, er
finde es nicht für gut, seine Schwester zu heiraten; die Ursache könne er er¬
fahren, wenn er sich Nachts, von einem Freunde begleitet und mit beliebigen
Waffen versehen, da oder dort einfinden wolle. Dann aber ändert er seinen
Rat mit dem Einwände, daß sie beide keinen Grund hätten, sich gegen den
aufgebrachten Abenteurer zu wagen; er selbst will die Verhaftung des Gegners
durchsetzen. Teuflisch fügt er hinzu, wer den Bruder einstecken läßt, gibt
pantomimisch zu verstehn, daß er die Schwester nicht mag. Marie stirbt vor
Aufregung und Schmerz, an ihrem Sarge kämpft Beaumarchais mit Clavigo
und stößt ihm den Degen in die Brust. Nach der blutigen Tat legt sich seine
Wut, und er verzeiht dem Mörder seiner Schwester.

In der ältern prosaischen Gestalt des Singspiels "Erwin und Elmire"
singt Erwin, ganz so, als wenn jede Art von Rauferei an der Tagesord¬
nung Ware:

Im Singspiel "Klaudine von Villa Bella," das in der ältern prosaischen
Fassung 1775 beendet und 1788 in dramatische Verse umgearbeitet wurde,
beginnt der Wechselgesang zwischen dem vermeintlichen Räuberhauptmann
Nugantino und seinen Genossen mit einem echten Vagantenliede:

Rugantino gerät in: ersten Aufzuge mit seinem Genossen Basko in Streit und
ruft ihm drohend zu:

Basko ist sogleich zum Kampfe bereit. Als Rugantino Nachts in den
Schloßgarten Alonzos eindringt, begegnet er seinem Bruder Pedro, den er
nicht kennt, kämpft mit ihm und verwundet ihn in den rechten Arm. Der
Verwundete wird von Rugantino geschont und in die Herberge der Räuber
gebracht. Luzinde, die Nichte Alonzos, geht in Männertracht, mit Federhut
und Degen ebenfalls in den Park, um Pedro zu suchen. Sie trifft dort mit
Basko zusammen und fordert ihn auf, die Waffen niederzulegen und sich zu
ergeben. Als Basko auf ihr Geheiß nicht achtet, reizt sie ihn zum Kampfe:


Grenzboten III 1905 19
Der Zweikampf bei Goethe

er bekennt, Marie ohne jeden Grund belogen und sich meineidig gemacht zu
haben, und wenn diese Satisfaktion der Beleidigten nicht genügen sollte,
bereit zu sein, sie auf alle andre nötige Weise zu geben. Clavigos Freund
Carlos sagt von dieser Erklärung, die er dem Wortlaute nach nicht kennt, sie
sei das Gescheiteste gewesen, wer werde sein Leben gegen einen so romantischen
Fratzen wagen. Als Marie anscheinend verzeiht, zerreißt Beaumarchais die
schriftliche Erklärung und übergibt sie Clavigo. Carlos aber weiß den schwachen
Freund wieder umzustimmen und rät ihm, an Beaumarchais zu schreiben, er
finde es nicht für gut, seine Schwester zu heiraten; die Ursache könne er er¬
fahren, wenn er sich Nachts, von einem Freunde begleitet und mit beliebigen
Waffen versehen, da oder dort einfinden wolle. Dann aber ändert er seinen
Rat mit dem Einwände, daß sie beide keinen Grund hätten, sich gegen den
aufgebrachten Abenteurer zu wagen; er selbst will die Verhaftung des Gegners
durchsetzen. Teuflisch fügt er hinzu, wer den Bruder einstecken läßt, gibt
pantomimisch zu verstehn, daß er die Schwester nicht mag. Marie stirbt vor
Aufregung und Schmerz, an ihrem Sarge kämpft Beaumarchais mit Clavigo
und stößt ihm den Degen in die Brust. Nach der blutigen Tat legt sich seine
Wut, und er verzeiht dem Mörder seiner Schwester.

In der ältern prosaischen Gestalt des Singspiels „Erwin und Elmire"
singt Erwin, ganz so, als wenn jede Art von Rauferei an der Tagesord¬
nung Ware:

Im Singspiel „Klaudine von Villa Bella," das in der ältern prosaischen
Fassung 1775 beendet und 1788 in dramatische Verse umgearbeitet wurde,
beginnt der Wechselgesang zwischen dem vermeintlichen Räuberhauptmann
Nugantino und seinen Genossen mit einem echten Vagantenliede:

Rugantino gerät in: ersten Aufzuge mit seinem Genossen Basko in Streit und
ruft ihm drohend zu:

Basko ist sogleich zum Kampfe bereit. Als Rugantino Nachts in den
Schloßgarten Alonzos eindringt, begegnet er seinem Bruder Pedro, den er
nicht kennt, kämpft mit ihm und verwundet ihn in den rechten Arm. Der
Verwundete wird von Rugantino geschont und in die Herberge der Räuber
gebracht. Luzinde, die Nichte Alonzos, geht in Männertracht, mit Federhut
und Degen ebenfalls in den Park, um Pedro zu suchen. Sie trifft dort mit
Basko zusammen und fordert ihn auf, die Waffen niederzulegen und sich zu
ergeben. Als Basko auf ihr Geheiß nicht achtet, reizt sie ihn zum Kampfe:


Grenzboten III 1905 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/153>, abgerufen am 27.09.2024.