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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Fremdenlegionen

Halt wiedergefunden, den er ans dem schwankenden Boden des bürgerlichen
Lebens verloren hatte. Auch mag das noch gesagt werden, daß viele Leute
mehr als einmal kapitulieren, und daß nicht wenige mit Leib und Seele in
diesem auswärtigen Dienste aufgehn.

Alle diese Verhältnisse nehmen der niederländischen Kolonialtruppe in
Form und Wesen das Kennzeichen des Fremdländischen und Internationalen
und prägen ihr dafür das des Inländischen und nationalen auf. Einen
ähnlichen oder denselben Gang hat die Entwicklung des Heerwesens in Frank¬
reich genommen. Auch hier ist die löZion 6trg,nK"zr6 mehr und mehr ihres
fremdländischen Charakters entkleidet worden und steht nach den mannigfachsten
Wandlungen auf nationalem Boden. Es ist das für den, der den Umschwung
im Leben der Völker Europas seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts
überhaupt ins Auge faßt, eine ganz natürliche Erscheinung. Denn in dem¬
selben Maße, wie mit den Wirkungen der französischen Revolution die
dynastischen Interessen in der Politik zurück und die nationalen in dem Vorder¬
grund traten, änderten sich auch die militärischen Einrichtungen, deren die Staaten
zu ihrer Sicherheit bedürfen.

Nach seiner Erhebung in den Jahren 1809 bis 1815 hat Preußen zuerst
das Beispiel gegeben, und diesem sind nach und nach die übrigen europäischen
Staaten gefolgt. Nur England macht davon eine Ausnahme, denn es fußt
mit seinem Rekrutierungsverfahren noch auf denselben Grundsätzen, die vor
mehr als zweihundert Jahren für die Aufstellung seiner Wehrkraft galten.
Die Folge davon ist, daß denn auch, wenn man den Ausdruck Fremdenlegion
im weitesten Sinne nimmt, Großbritannien das einzige eigentliche europäische
Land ist, wo der Heerkörper aus Fremdenlegionen besteht, nicht in dem Sinne,
den man früher mit dem Worte verband, sondern in der weiter gefaßten Be¬
deutung, daß die militärischen Einheiten eines Volkes als fremd bezeichnet
werden dürfen, die uicht nach organischem Gesetz aus der Gesamtheit der
Nation hervorwachsen, sondern durch das mechanische Mittel der Anwerbung
aufgestellt werden.

Dabei verschlüge es nichts, daß sich das englische Rekrutierungsverfahren
für den eigentlichen Kern der Armee auf dem Boden und innerhalb der
Grenzen der Nation hält, sondern darauf kommt es an, daß der britische
Soldat nicht durch dasselbe nationale Recht und dieselbe nationale Pflicht,
sondern nur durch den Sold an die Fahne gefesselt wird. Die Angehörigen
des englischen Heeres auf den untern Stufen find nichts andres als die
Lohnempfänger der herrschenden Klassen und stehn zum Staatsganzen in
einem ähnlichen Verhältnis, wie vor der servianischen Verfassung die Plebejer
in Rom zur Vollbürgerschaft der Patrizier. Man kann noch weiter gehn und
sagen, daß die englischen Regimenter dasselbe sind wie alle Söldnerscharen,
die jemals in Dienst gehalten wurden, wie zum Beispiel die Miettruppen,
die der karthagische Staat zum Schutz seiner Kolonien verwandte.

Den Engländern klang es in neuester Zeit schmeichelhaft in den Ohren,
als man die Ausdehnung ihrer Herrschaft mit der xrvxg.Ag.die> des Imperium,
Romimum verglich. Aber sie sollten auf diese Vergleichung nicht zu sehr


Fremdenlegionen

Halt wiedergefunden, den er ans dem schwankenden Boden des bürgerlichen
Lebens verloren hatte. Auch mag das noch gesagt werden, daß viele Leute
mehr als einmal kapitulieren, und daß nicht wenige mit Leib und Seele in
diesem auswärtigen Dienste aufgehn.

Alle diese Verhältnisse nehmen der niederländischen Kolonialtruppe in
Form und Wesen das Kennzeichen des Fremdländischen und Internationalen
und prägen ihr dafür das des Inländischen und nationalen auf. Einen
ähnlichen oder denselben Gang hat die Entwicklung des Heerwesens in Frank¬
reich genommen. Auch hier ist die löZion 6trg,nK«zr6 mehr und mehr ihres
fremdländischen Charakters entkleidet worden und steht nach den mannigfachsten
Wandlungen auf nationalem Boden. Es ist das für den, der den Umschwung
im Leben der Völker Europas seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts
überhaupt ins Auge faßt, eine ganz natürliche Erscheinung. Denn in dem¬
selben Maße, wie mit den Wirkungen der französischen Revolution die
dynastischen Interessen in der Politik zurück und die nationalen in dem Vorder¬
grund traten, änderten sich auch die militärischen Einrichtungen, deren die Staaten
zu ihrer Sicherheit bedürfen.

Nach seiner Erhebung in den Jahren 1809 bis 1815 hat Preußen zuerst
das Beispiel gegeben, und diesem sind nach und nach die übrigen europäischen
Staaten gefolgt. Nur England macht davon eine Ausnahme, denn es fußt
mit seinem Rekrutierungsverfahren noch auf denselben Grundsätzen, die vor
mehr als zweihundert Jahren für die Aufstellung seiner Wehrkraft galten.
Die Folge davon ist, daß denn auch, wenn man den Ausdruck Fremdenlegion
im weitesten Sinne nimmt, Großbritannien das einzige eigentliche europäische
Land ist, wo der Heerkörper aus Fremdenlegionen besteht, nicht in dem Sinne,
den man früher mit dem Worte verband, sondern in der weiter gefaßten Be¬
deutung, daß die militärischen Einheiten eines Volkes als fremd bezeichnet
werden dürfen, die uicht nach organischem Gesetz aus der Gesamtheit der
Nation hervorwachsen, sondern durch das mechanische Mittel der Anwerbung
aufgestellt werden.

Dabei verschlüge es nichts, daß sich das englische Rekrutierungsverfahren
für den eigentlichen Kern der Armee auf dem Boden und innerhalb der
Grenzen der Nation hält, sondern darauf kommt es an, daß der britische
Soldat nicht durch dasselbe nationale Recht und dieselbe nationale Pflicht,
sondern nur durch den Sold an die Fahne gefesselt wird. Die Angehörigen
des englischen Heeres auf den untern Stufen find nichts andres als die
Lohnempfänger der herrschenden Klassen und stehn zum Staatsganzen in
einem ähnlichen Verhältnis, wie vor der servianischen Verfassung die Plebejer
in Rom zur Vollbürgerschaft der Patrizier. Man kann noch weiter gehn und
sagen, daß die englischen Regimenter dasselbe sind wie alle Söldnerscharen,
die jemals in Dienst gehalten wurden, wie zum Beispiel die Miettruppen,
die der karthagische Staat zum Schutz seiner Kolonien verwandte.

Den Engländern klang es in neuester Zeit schmeichelhaft in den Ohren,
als man die Ausdehnung ihrer Herrschaft mit der xrvxg.Ag.die> des Imperium,
Romimum verglich. Aber sie sollten auf diese Vergleichung nicht zu sehr


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[0122] Fremdenlegionen Halt wiedergefunden, den er ans dem schwankenden Boden des bürgerlichen Lebens verloren hatte. Auch mag das noch gesagt werden, daß viele Leute mehr als einmal kapitulieren, und daß nicht wenige mit Leib und Seele in diesem auswärtigen Dienste aufgehn. Alle diese Verhältnisse nehmen der niederländischen Kolonialtruppe in Form und Wesen das Kennzeichen des Fremdländischen und Internationalen und prägen ihr dafür das des Inländischen und nationalen auf. Einen ähnlichen oder denselben Gang hat die Entwicklung des Heerwesens in Frank¬ reich genommen. Auch hier ist die löZion 6trg,nK«zr6 mehr und mehr ihres fremdländischen Charakters entkleidet worden und steht nach den mannigfachsten Wandlungen auf nationalem Boden. Es ist das für den, der den Umschwung im Leben der Völker Europas seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts überhaupt ins Auge faßt, eine ganz natürliche Erscheinung. Denn in dem¬ selben Maße, wie mit den Wirkungen der französischen Revolution die dynastischen Interessen in der Politik zurück und die nationalen in dem Vorder¬ grund traten, änderten sich auch die militärischen Einrichtungen, deren die Staaten zu ihrer Sicherheit bedürfen. Nach seiner Erhebung in den Jahren 1809 bis 1815 hat Preußen zuerst das Beispiel gegeben, und diesem sind nach und nach die übrigen europäischen Staaten gefolgt. Nur England macht davon eine Ausnahme, denn es fußt mit seinem Rekrutierungsverfahren noch auf denselben Grundsätzen, die vor mehr als zweihundert Jahren für die Aufstellung seiner Wehrkraft galten. Die Folge davon ist, daß denn auch, wenn man den Ausdruck Fremdenlegion im weitesten Sinne nimmt, Großbritannien das einzige eigentliche europäische Land ist, wo der Heerkörper aus Fremdenlegionen besteht, nicht in dem Sinne, den man früher mit dem Worte verband, sondern in der weiter gefaßten Be¬ deutung, daß die militärischen Einheiten eines Volkes als fremd bezeichnet werden dürfen, die uicht nach organischem Gesetz aus der Gesamtheit der Nation hervorwachsen, sondern durch das mechanische Mittel der Anwerbung aufgestellt werden. Dabei verschlüge es nichts, daß sich das englische Rekrutierungsverfahren für den eigentlichen Kern der Armee auf dem Boden und innerhalb der Grenzen der Nation hält, sondern darauf kommt es an, daß der britische Soldat nicht durch dasselbe nationale Recht und dieselbe nationale Pflicht, sondern nur durch den Sold an die Fahne gefesselt wird. Die Angehörigen des englischen Heeres auf den untern Stufen find nichts andres als die Lohnempfänger der herrschenden Klassen und stehn zum Staatsganzen in einem ähnlichen Verhältnis, wie vor der servianischen Verfassung die Plebejer in Rom zur Vollbürgerschaft der Patrizier. Man kann noch weiter gehn und sagen, daß die englischen Regimenter dasselbe sind wie alle Söldnerscharen, die jemals in Dienst gehalten wurden, wie zum Beispiel die Miettruppen, die der karthagische Staat zum Schutz seiner Kolonien verwandte. Den Engländern klang es in neuester Zeit schmeichelhaft in den Ohren, als man die Ausdehnung ihrer Herrschaft mit der xrvxg.Ag.die> des Imperium, Romimum verglich. Aber sie sollten auf diese Vergleichung nicht zu sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/122>, abgerufen am 27.09.2024.