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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nation, die sich behaupten will, muß nicht nur militärisch, sondern auch wirt¬
schaftlich stark und in starker Position sein.

Wir sehen, daß Italien sein politisches Verhältnis zu Frankreich wesentlich
um wirtschaftlicher Vorteile willen geändert hat, und der marokkanische Streitfall
zwischen Deutschland und Marokko war eine Politische Differenz wegen wirtschaft¬
licher Ziele. Deutschland muß sich für alle diese Fragen eiuen weiten, vorschauenden
Blick bewahren, und ohne unsre starke Rüstung abzutun oder auch nur in einem
Punkte zu vernachlässigen, müssen wir emsig Ausguck halten, was die andern, auch
jenseits der Meere, tun und treiben. Wie sehr die andern ans uns aufpassen, ergibt
sich aus der Frage, die dieser Tage ein Mitglied des englischen Oberhauses an
die Regierung richtete, ob und was ihr darüber bekannt sei, daß die Hamburg-
Amerika-Linie Luxusfahrten auf dem Nil einzurichten beabsichtige und damit in den
ägyptischen und englischen Interessenkreis eindringe. Bekanntlich fährt der Bremer
Lloyd von Marseille nach Alexandrien, von Genua nach Neapel und nach Capri;
längs der Riviera ist der Schiffsdienst unter deutscher Flagge längst der beste und
mustergiltigste. Lernen wir diese kühne und ununterbrochne Pionierarbeit unsrer
großen Schiffahrtslinien dankbar würdigen. Wenn der Kaiser jüngst in Hamburg
während seines Verweilens bei Generaldirektor Ballin auf dem Hause der Hamburg-
Amerika-Linie seine Flagge hat nufziehu lassen, so war es der Dank für erfolgreiche
Vorarbeit und Mitarbeit, der damit ausgedrückt werden sollte. Vielen unsrer
Landratten will das noch nicht recht zu Hirn, aber schließlich werden sie einsehen,
daß anch die Landwirtschaft nur mit der Nation im Ganzen prosperieren oder
sinken kann. Nicht nur der liberale Doktrinarismus gibt recht häufig zu Bedenken
Anlaß, auch der konservative bleibt nicht der Lehre eingedenk, daß konservativ sein
nicht gleichbedeutend sein darf mit Einrosten.

Der liberale Doktrinarismus hatte es richtig wieder fertig gebracht, die Arbeit
der Sozialdemokratie zu verrichten, indem er sich ihren "Warnungen" an die Re¬
gierung anschloß, der dem Herrn Jaures von der Sozialdemokratie zugedachten
Gastrolle doch ja keine Hindernisse in den Weg zu legen! Der Reichskanzler aber
hat auch bei dieser Gelegenheit bekundet, daß ihm doch ein sehr viel weiterer Blick
eigen ist als unsern Durchschnittspolitikern im Parlament und in der Presse. Sein
Erlaß an den Botschafter in Paris in dieser Angelegenheit ist ein diplomatisches
Kabinettstück. Fürst Bülow sagt darin Herrn Jaures in verbindlichsten Formen,
aber doch zugleich in sehr bestimmter Weise, daß er doch eigentlich viel zu gut
dazu sei, dieser rein negierenden, doktrinären und rückständigen deutschen Sozial¬
demokratie als Folie zu dienen. Jaures hat das -- wie aus seinen Kundgebungen
hervorgeht -- ganz richtig verstanden und ist dem Reichskanzler sicherlich dankbar,
daß er ihn vor dieser Gastrolle -- in einem Vorstadttheater bewahrt hat. Unsre
Sozialdemokraten können sich eigentlich nicht beklagen. Sie haben Peremptorisch
gefordert, daß nicht "irgendein Polizeipräsident," sondern der Reichskanzler unter
eigner Verantwortlichkeit das Verbot erlassen müsse, falls eine solche Ungeheuerlich¬
keit überhaupt möglich wäre. Fürst Bülow hat nicht versäumt, die Antwort zu
geben, indem er durch sofortige Veröffentlichung des Erlasses die von den Sozial¬
demokraten verlangte Verantwortung vor aller Welt übernahm und damit zugleich
dafür sorgte, daß das Verbot nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland
Geltung erhielt. Für Herrn Jaures aber wiegt das Aktenstück doch bedeutend
schwerer als aller Beifall, den er in der Berliner Hasenheide von einem Publikum,
das ihn nicht verstanden hätte, hätte einheimsen können.

Eine Angelegenheit, die großes aber unberechtigtes Aufsehen in weiten Kreisen
gemacht und zugleich die durch unsre gebildeten Stände gehenden sozialen Gegen¬
sätze in bedauerlichster Weise in den Vordergrund gezerrt hat, ist die des sogenannten
Zehn-Millivnenfonds. Sein geistiger Urheber, Fürst Donnersmarck, hat sich
darüber in öffentlicher Erklärung ausgelassen, die von den Blättern zum Teil mit
recht unreifen und unverständigen Bemerkungen aufgenommen worden ist. Es war
von vornherein anzunehmen, daß eine Persönlichkeit wie Fürst Donnersmarck, den


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nation, die sich behaupten will, muß nicht nur militärisch, sondern auch wirt¬
schaftlich stark und in starker Position sein.

Wir sehen, daß Italien sein politisches Verhältnis zu Frankreich wesentlich
um wirtschaftlicher Vorteile willen geändert hat, und der marokkanische Streitfall
zwischen Deutschland und Marokko war eine Politische Differenz wegen wirtschaft¬
licher Ziele. Deutschland muß sich für alle diese Fragen eiuen weiten, vorschauenden
Blick bewahren, und ohne unsre starke Rüstung abzutun oder auch nur in einem
Punkte zu vernachlässigen, müssen wir emsig Ausguck halten, was die andern, auch
jenseits der Meere, tun und treiben. Wie sehr die andern ans uns aufpassen, ergibt
sich aus der Frage, die dieser Tage ein Mitglied des englischen Oberhauses an
die Regierung richtete, ob und was ihr darüber bekannt sei, daß die Hamburg-
Amerika-Linie Luxusfahrten auf dem Nil einzurichten beabsichtige und damit in den
ägyptischen und englischen Interessenkreis eindringe. Bekanntlich fährt der Bremer
Lloyd von Marseille nach Alexandrien, von Genua nach Neapel und nach Capri;
längs der Riviera ist der Schiffsdienst unter deutscher Flagge längst der beste und
mustergiltigste. Lernen wir diese kühne und ununterbrochne Pionierarbeit unsrer
großen Schiffahrtslinien dankbar würdigen. Wenn der Kaiser jüngst in Hamburg
während seines Verweilens bei Generaldirektor Ballin auf dem Hause der Hamburg-
Amerika-Linie seine Flagge hat nufziehu lassen, so war es der Dank für erfolgreiche
Vorarbeit und Mitarbeit, der damit ausgedrückt werden sollte. Vielen unsrer
Landratten will das noch nicht recht zu Hirn, aber schließlich werden sie einsehen,
daß anch die Landwirtschaft nur mit der Nation im Ganzen prosperieren oder
sinken kann. Nicht nur der liberale Doktrinarismus gibt recht häufig zu Bedenken
Anlaß, auch der konservative bleibt nicht der Lehre eingedenk, daß konservativ sein
nicht gleichbedeutend sein darf mit Einrosten.

Der liberale Doktrinarismus hatte es richtig wieder fertig gebracht, die Arbeit
der Sozialdemokratie zu verrichten, indem er sich ihren „Warnungen" an die Re¬
gierung anschloß, der dem Herrn Jaures von der Sozialdemokratie zugedachten
Gastrolle doch ja keine Hindernisse in den Weg zu legen! Der Reichskanzler aber
hat auch bei dieser Gelegenheit bekundet, daß ihm doch ein sehr viel weiterer Blick
eigen ist als unsern Durchschnittspolitikern im Parlament und in der Presse. Sein
Erlaß an den Botschafter in Paris in dieser Angelegenheit ist ein diplomatisches
Kabinettstück. Fürst Bülow sagt darin Herrn Jaures in verbindlichsten Formen,
aber doch zugleich in sehr bestimmter Weise, daß er doch eigentlich viel zu gut
dazu sei, dieser rein negierenden, doktrinären und rückständigen deutschen Sozial¬
demokratie als Folie zu dienen. Jaures hat das — wie aus seinen Kundgebungen
hervorgeht — ganz richtig verstanden und ist dem Reichskanzler sicherlich dankbar,
daß er ihn vor dieser Gastrolle — in einem Vorstadttheater bewahrt hat. Unsre
Sozialdemokraten können sich eigentlich nicht beklagen. Sie haben Peremptorisch
gefordert, daß nicht „irgendein Polizeipräsident," sondern der Reichskanzler unter
eigner Verantwortlichkeit das Verbot erlassen müsse, falls eine solche Ungeheuerlich¬
keit überhaupt möglich wäre. Fürst Bülow hat nicht versäumt, die Antwort zu
geben, indem er durch sofortige Veröffentlichung des Erlasses die von den Sozial¬
demokraten verlangte Verantwortung vor aller Welt übernahm und damit zugleich
dafür sorgte, daß das Verbot nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland
Geltung erhielt. Für Herrn Jaures aber wiegt das Aktenstück doch bedeutend
schwerer als aller Beifall, den er in der Berliner Hasenheide von einem Publikum,
das ihn nicht verstanden hätte, hätte einheimsen können.

Eine Angelegenheit, die großes aber unberechtigtes Aufsehen in weiten Kreisen
gemacht und zugleich die durch unsre gebildeten Stände gehenden sozialen Gegen¬
sätze in bedauerlichster Weise in den Vordergrund gezerrt hat, ist die des sogenannten
Zehn-Millivnenfonds. Sein geistiger Urheber, Fürst Donnersmarck, hat sich
darüber in öffentlicher Erklärung ausgelassen, die von den Blättern zum Teil mit
recht unreifen und unverständigen Bemerkungen aufgenommen worden ist. Es war
von vornherein anzunehmen, daß eine Persönlichkeit wie Fürst Donnersmarck, den


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[0116] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nation, die sich behaupten will, muß nicht nur militärisch, sondern auch wirt¬ schaftlich stark und in starker Position sein. Wir sehen, daß Italien sein politisches Verhältnis zu Frankreich wesentlich um wirtschaftlicher Vorteile willen geändert hat, und der marokkanische Streitfall zwischen Deutschland und Marokko war eine Politische Differenz wegen wirtschaft¬ licher Ziele. Deutschland muß sich für alle diese Fragen eiuen weiten, vorschauenden Blick bewahren, und ohne unsre starke Rüstung abzutun oder auch nur in einem Punkte zu vernachlässigen, müssen wir emsig Ausguck halten, was die andern, auch jenseits der Meere, tun und treiben. Wie sehr die andern ans uns aufpassen, ergibt sich aus der Frage, die dieser Tage ein Mitglied des englischen Oberhauses an die Regierung richtete, ob und was ihr darüber bekannt sei, daß die Hamburg- Amerika-Linie Luxusfahrten auf dem Nil einzurichten beabsichtige und damit in den ägyptischen und englischen Interessenkreis eindringe. Bekanntlich fährt der Bremer Lloyd von Marseille nach Alexandrien, von Genua nach Neapel und nach Capri; längs der Riviera ist der Schiffsdienst unter deutscher Flagge längst der beste und mustergiltigste. Lernen wir diese kühne und ununterbrochne Pionierarbeit unsrer großen Schiffahrtslinien dankbar würdigen. Wenn der Kaiser jüngst in Hamburg während seines Verweilens bei Generaldirektor Ballin auf dem Hause der Hamburg- Amerika-Linie seine Flagge hat nufziehu lassen, so war es der Dank für erfolgreiche Vorarbeit und Mitarbeit, der damit ausgedrückt werden sollte. Vielen unsrer Landratten will das noch nicht recht zu Hirn, aber schließlich werden sie einsehen, daß anch die Landwirtschaft nur mit der Nation im Ganzen prosperieren oder sinken kann. Nicht nur der liberale Doktrinarismus gibt recht häufig zu Bedenken Anlaß, auch der konservative bleibt nicht der Lehre eingedenk, daß konservativ sein nicht gleichbedeutend sein darf mit Einrosten. Der liberale Doktrinarismus hatte es richtig wieder fertig gebracht, die Arbeit der Sozialdemokratie zu verrichten, indem er sich ihren „Warnungen" an die Re¬ gierung anschloß, der dem Herrn Jaures von der Sozialdemokratie zugedachten Gastrolle doch ja keine Hindernisse in den Weg zu legen! Der Reichskanzler aber hat auch bei dieser Gelegenheit bekundet, daß ihm doch ein sehr viel weiterer Blick eigen ist als unsern Durchschnittspolitikern im Parlament und in der Presse. Sein Erlaß an den Botschafter in Paris in dieser Angelegenheit ist ein diplomatisches Kabinettstück. Fürst Bülow sagt darin Herrn Jaures in verbindlichsten Formen, aber doch zugleich in sehr bestimmter Weise, daß er doch eigentlich viel zu gut dazu sei, dieser rein negierenden, doktrinären und rückständigen deutschen Sozial¬ demokratie als Folie zu dienen. Jaures hat das — wie aus seinen Kundgebungen hervorgeht — ganz richtig verstanden und ist dem Reichskanzler sicherlich dankbar, daß er ihn vor dieser Gastrolle — in einem Vorstadttheater bewahrt hat. Unsre Sozialdemokraten können sich eigentlich nicht beklagen. Sie haben Peremptorisch gefordert, daß nicht „irgendein Polizeipräsident," sondern der Reichskanzler unter eigner Verantwortlichkeit das Verbot erlassen müsse, falls eine solche Ungeheuerlich¬ keit überhaupt möglich wäre. Fürst Bülow hat nicht versäumt, die Antwort zu geben, indem er durch sofortige Veröffentlichung des Erlasses die von den Sozial¬ demokraten verlangte Verantwortung vor aller Welt übernahm und damit zugleich dafür sorgte, daß das Verbot nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland Geltung erhielt. Für Herrn Jaures aber wiegt das Aktenstück doch bedeutend schwerer als aller Beifall, den er in der Berliner Hasenheide von einem Publikum, das ihn nicht verstanden hätte, hätte einheimsen können. Eine Angelegenheit, die großes aber unberechtigtes Aufsehen in weiten Kreisen gemacht und zugleich die durch unsre gebildeten Stände gehenden sozialen Gegen¬ sätze in bedauerlichster Weise in den Vordergrund gezerrt hat, ist die des sogenannten Zehn-Millivnenfonds. Sein geistiger Urheber, Fürst Donnersmarck, hat sich darüber in öffentlicher Erklärung ausgelassen, die von den Blättern zum Teil mit recht unreifen und unverständigen Bemerkungen aufgenommen worden ist. Es war von vornherein anzunehmen, daß eine Persönlichkeit wie Fürst Donnersmarck, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/116>, abgerufen am 27.09.2024.