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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

eines Bundes Preußens mit Deutschland, den Nußland aber sofort durch seinen
Einfluß auf die deutschen Höfe zu durchkreuzen verstand. Nach dem Tode
Friedrichs zu Beginn des neuen Türkenkriegs nahm Hertzberg die Versuche
Preußens, wieder mit in die erste Linie zu rücken, wieder ans. Gestützt auf
das aus den holländischen Händeln datierende und ursprünglich gegen Oster¬
reich gerichtete Bündnis schlug Hertzberg einen Teilungsplan vor, wonach
Österreich Galizien an Polen abgeben und dafür die Donaufürstentümer er¬
halten, Polen aber Danzig, Thorn und Kalisch an Preußen abtreten sollte.
Hertzberg hatte jedoch mit diesem Versuche, Preußen von Rußland zu eman¬
zipieren und die deutschen Mächte zu einigen, kein Glück. Friedrich der Große
war gestorben, aber die Haltung Preußens in der polnischen und in der
deutschen Frage ließ in Wien kein Vertrauen aufkommen, zumal da mit dem
Nachfolger Josephs, Leopold dem Zweiten, ein Mann auf den Thron der
Habsburger gelangt war, der nicht nur seine eignen Ideen sondern auch die
Geschicklichkeit hatte, sie zu verwirklichen. Leopold hatte schon zu Lebzeiten
Josephs dessen Politik wiederholt mißbilligt. Er erkannte die Vedentung der
polnischen Frage und war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, daß
das Bündnis Josephs mit Katharina ausschließlich der Politik Rußlands diene.
Die zu Reichenbach (1790) abgeschlossene Konvention zeigte schon, daß Leopold
auf alle türkischen und bayrischen Eroberungen verzichtete und damit die Voraus¬
setzungen beseitigte, unter denen sich Joseph der Zweite hatte verleiten lassen,
die Eroberungspolitik Rußlands zu fördern. Der Friede von Sistovo (1791)
beendete den letzten Türkenkrieg, den Österreich geführt hat; er trug ihm nur
den Besitz von Alt-Orsowa ein, aber Leopold hatte nun freie Hand gegenüber
Rußland, und sein erstes war die Hebung des Einflusses Österreichs in Polen
durch die Reform der Verfassung (3. Mai 1791). In Berlin erwog man, wohl
nicht ohne Einfluß von Rußland her, einen Feldzug gegen Österreich, in der
Hauptsache rechnete Katharina jedoch darauf, daß die Entwicklung der Dinge
in Frankreich die gesunde konservative Politik Leopolds zum Scheitern bringen
werde, und das umsomehr, als man annehmen konnte, daß Leopold nicht zögern
werde, gegen die Revolution zu Felde zu ziehn, die seine Schwester auf dem
Throne Frankreichs bedrohte. Aber Leopold täuschte die Berechnungen Katha¬
rinas. Wie keiner der durch die Revolution von Osten und von Westen be¬
drohten Fürsten durchschaute er die Sachlage. Ihm war es klar, daß der
Krieg die Gefahren der Revolution ins unendliche steigern würde, und ebenso,
wie er durch die Lösung des Bündnisses mit Katharina Nußland den Boden
für seine erobernde Politik entzog, suchte er mit Frankreich nicht den Krieg?
sondern den Frieden. Er trat mit den Feuillants in Verbindung und setzte
trotz des Widerstrebens Friedrich Wilhelms, den Rußland zum Kriege mit
Frankreich zu bestimmen suchte, indem es ihn als den ritterlichen Vorkämpfer
Europas wider die Revolution apostrophierte, den Berliner Vertrag vom
7. Februar 1792 durch, der Deutschland zur Erhaltung des bisherigen Rechts-
zustandes zu einem reinen Verteidigungsbündnis einte. "Es war -- so sagt
Sybel -- die Ablehnung aller Eroberungs- und Einmischnngsgelüste, zugleich
aber auch der Wunsch, durch eine imposante Machtentfaltung die Jakobiner


Die orientalische Frage

eines Bundes Preußens mit Deutschland, den Nußland aber sofort durch seinen
Einfluß auf die deutschen Höfe zu durchkreuzen verstand. Nach dem Tode
Friedrichs zu Beginn des neuen Türkenkriegs nahm Hertzberg die Versuche
Preußens, wieder mit in die erste Linie zu rücken, wieder ans. Gestützt auf
das aus den holländischen Händeln datierende und ursprünglich gegen Oster¬
reich gerichtete Bündnis schlug Hertzberg einen Teilungsplan vor, wonach
Österreich Galizien an Polen abgeben und dafür die Donaufürstentümer er¬
halten, Polen aber Danzig, Thorn und Kalisch an Preußen abtreten sollte.
Hertzberg hatte jedoch mit diesem Versuche, Preußen von Rußland zu eman¬
zipieren und die deutschen Mächte zu einigen, kein Glück. Friedrich der Große
war gestorben, aber die Haltung Preußens in der polnischen und in der
deutschen Frage ließ in Wien kein Vertrauen aufkommen, zumal da mit dem
Nachfolger Josephs, Leopold dem Zweiten, ein Mann auf den Thron der
Habsburger gelangt war, der nicht nur seine eignen Ideen sondern auch die
Geschicklichkeit hatte, sie zu verwirklichen. Leopold hatte schon zu Lebzeiten
Josephs dessen Politik wiederholt mißbilligt. Er erkannte die Vedentung der
polnischen Frage und war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, daß
das Bündnis Josephs mit Katharina ausschließlich der Politik Rußlands diene.
Die zu Reichenbach (1790) abgeschlossene Konvention zeigte schon, daß Leopold
auf alle türkischen und bayrischen Eroberungen verzichtete und damit die Voraus¬
setzungen beseitigte, unter denen sich Joseph der Zweite hatte verleiten lassen,
die Eroberungspolitik Rußlands zu fördern. Der Friede von Sistovo (1791)
beendete den letzten Türkenkrieg, den Österreich geführt hat; er trug ihm nur
den Besitz von Alt-Orsowa ein, aber Leopold hatte nun freie Hand gegenüber
Rußland, und sein erstes war die Hebung des Einflusses Österreichs in Polen
durch die Reform der Verfassung (3. Mai 1791). In Berlin erwog man, wohl
nicht ohne Einfluß von Rußland her, einen Feldzug gegen Österreich, in der
Hauptsache rechnete Katharina jedoch darauf, daß die Entwicklung der Dinge
in Frankreich die gesunde konservative Politik Leopolds zum Scheitern bringen
werde, und das umsomehr, als man annehmen konnte, daß Leopold nicht zögern
werde, gegen die Revolution zu Felde zu ziehn, die seine Schwester auf dem
Throne Frankreichs bedrohte. Aber Leopold täuschte die Berechnungen Katha¬
rinas. Wie keiner der durch die Revolution von Osten und von Westen be¬
drohten Fürsten durchschaute er die Sachlage. Ihm war es klar, daß der
Krieg die Gefahren der Revolution ins unendliche steigern würde, und ebenso,
wie er durch die Lösung des Bündnisses mit Katharina Nußland den Boden
für seine erobernde Politik entzog, suchte er mit Frankreich nicht den Krieg?
sondern den Frieden. Er trat mit den Feuillants in Verbindung und setzte
trotz des Widerstrebens Friedrich Wilhelms, den Rußland zum Kriege mit
Frankreich zu bestimmen suchte, indem es ihn als den ritterlichen Vorkämpfer
Europas wider die Revolution apostrophierte, den Berliner Vertrag vom
7. Februar 1792 durch, der Deutschland zur Erhaltung des bisherigen Rechts-
zustandes zu einem reinen Verteidigungsbündnis einte. „Es war — so sagt
Sybel — die Ablehnung aller Eroberungs- und Einmischnngsgelüste, zugleich
aber auch der Wunsch, durch eine imposante Machtentfaltung die Jakobiner


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[0212] Die orientalische Frage eines Bundes Preußens mit Deutschland, den Nußland aber sofort durch seinen Einfluß auf die deutschen Höfe zu durchkreuzen verstand. Nach dem Tode Friedrichs zu Beginn des neuen Türkenkriegs nahm Hertzberg die Versuche Preußens, wieder mit in die erste Linie zu rücken, wieder ans. Gestützt auf das aus den holländischen Händeln datierende und ursprünglich gegen Oster¬ reich gerichtete Bündnis schlug Hertzberg einen Teilungsplan vor, wonach Österreich Galizien an Polen abgeben und dafür die Donaufürstentümer er¬ halten, Polen aber Danzig, Thorn und Kalisch an Preußen abtreten sollte. Hertzberg hatte jedoch mit diesem Versuche, Preußen von Rußland zu eman¬ zipieren und die deutschen Mächte zu einigen, kein Glück. Friedrich der Große war gestorben, aber die Haltung Preußens in der polnischen und in der deutschen Frage ließ in Wien kein Vertrauen aufkommen, zumal da mit dem Nachfolger Josephs, Leopold dem Zweiten, ein Mann auf den Thron der Habsburger gelangt war, der nicht nur seine eignen Ideen sondern auch die Geschicklichkeit hatte, sie zu verwirklichen. Leopold hatte schon zu Lebzeiten Josephs dessen Politik wiederholt mißbilligt. Er erkannte die Vedentung der polnischen Frage und war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, daß das Bündnis Josephs mit Katharina ausschließlich der Politik Rußlands diene. Die zu Reichenbach (1790) abgeschlossene Konvention zeigte schon, daß Leopold auf alle türkischen und bayrischen Eroberungen verzichtete und damit die Voraus¬ setzungen beseitigte, unter denen sich Joseph der Zweite hatte verleiten lassen, die Eroberungspolitik Rußlands zu fördern. Der Friede von Sistovo (1791) beendete den letzten Türkenkrieg, den Österreich geführt hat; er trug ihm nur den Besitz von Alt-Orsowa ein, aber Leopold hatte nun freie Hand gegenüber Rußland, und sein erstes war die Hebung des Einflusses Österreichs in Polen durch die Reform der Verfassung (3. Mai 1791). In Berlin erwog man, wohl nicht ohne Einfluß von Rußland her, einen Feldzug gegen Österreich, in der Hauptsache rechnete Katharina jedoch darauf, daß die Entwicklung der Dinge in Frankreich die gesunde konservative Politik Leopolds zum Scheitern bringen werde, und das umsomehr, als man annehmen konnte, daß Leopold nicht zögern werde, gegen die Revolution zu Felde zu ziehn, die seine Schwester auf dem Throne Frankreichs bedrohte. Aber Leopold täuschte die Berechnungen Katha¬ rinas. Wie keiner der durch die Revolution von Osten und von Westen be¬ drohten Fürsten durchschaute er die Sachlage. Ihm war es klar, daß der Krieg die Gefahren der Revolution ins unendliche steigern würde, und ebenso, wie er durch die Lösung des Bündnisses mit Katharina Nußland den Boden für seine erobernde Politik entzog, suchte er mit Frankreich nicht den Krieg? sondern den Frieden. Er trat mit den Feuillants in Verbindung und setzte trotz des Widerstrebens Friedrich Wilhelms, den Rußland zum Kriege mit Frankreich zu bestimmen suchte, indem es ihn als den ritterlichen Vorkämpfer Europas wider die Revolution apostrophierte, den Berliner Vertrag vom 7. Februar 1792 durch, der Deutschland zur Erhaltung des bisherigen Rechts- zustandes zu einem reinen Verteidigungsbündnis einte. „Es war — so sagt Sybel — die Ablehnung aller Eroberungs- und Einmischnngsgelüste, zugleich aber auch der Wunsch, durch eine imposante Machtentfaltung die Jakobiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/212>, abgerufen am 23.11.2024.