Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Hellenentnin und Christentum andres gemeint haben, als die Energie in der Form der Wärme. Das Gleich den Cynikern und den Epiknrüern lehren die Stoiker, daß der Hellenentnin und Christentum andres gemeint haben, als die Energie in der Form der Wärme. Das Gleich den Cynikern und den Epiknrüern lehren die Stoiker, daß der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237007"/> <fw type="header" place="top"> Hellenentnin und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1919" prev="#ID_1918"> andres gemeint haben, als die Energie in der Form der Wärme. Das<lb/> Physische und das Metaphysische der Sache geht uns nun weiter nichts an, hier<lb/> mußte diese stoische Lehre nur deswegen erwähnt werden, weil das Feuer als<lb/> Sinnbild der Gottheit und des göttlichen Geists in der Bibel eine bedeutende<lb/> Rolle spielt, und weil nach dem zweiten Petrnsbriefe die gegenwärtige Welt<lb/> durch Feuer vernichtet werden wird. Die Stoiker lassen die Welt nicht einmal,<lb/> sondern vielmal verbrennen. Jeder Weltprozeß endet damit, daß alle Dinge<lb/> in das Urfeuer zurückkehren; sie gehn dann aufs neue daraus hervor (neuere<lb/> Hypothesen stellen das Wechselspiel ähnlich dar), und jeder solche Weltprozeß<lb/> verläuft genau so wie alle seine Vorgänger, sodaß alles, was ist, genau so<lb/> schon vielmal dagewesen ist und genau so vielmal wiederkehren wird. Diese<lb/> Wiederkehr aller Dinge (Palingenesie oder Apokatastasis), an die übrigens auch<lb/> die Epikuräer glaubten, erscheint nach Windelband bei den Stoikern als not¬<lb/> wendige Konsequenz der beiden Wechselbegriffe Logos und Heimarmene. Die<lb/> Menschenseelen, nach einigen nur die der Weisen, leben nach dem Tode fort,<lb/> "is sie sich beim Weltbrande mit allen übrigen Wesen in das Urfeuer auflösen;<lb/> eben weil sie selbst Körper sind, sagen die Stoiker, können sie getrennt vom<lb/> Leibe fortbestehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1920"> Gleich den Cynikern und den Epiknrüern lehren die Stoiker, daß der<lb/> Weise der Natur gemäß lebe, aber dieses Wort nimmt bei ihnen eine Be¬<lb/> deutung an, die der gewöhnlichen entgegengesetzt ist. Sie erklären nämlich die<lb/> Vernunft für die Natur des Menschen, und die der Vernunft widerstrebenden<lb/> sinnlichen Triebe für Unnatur. Die Triebe müssen also überwunden werden.<lb/> Läßt sich die Seele von ihnen in der Ruhe stören, affiziereu oder gar Hin-<lb/> Pechen, so ist sie krank, lasterhaft. Laster ist aber das einzige Übel, alle andern<lb/> Dinge siud gleichgiltig, und Tugend ist das einzige Gut. Dieser Rigorismus<lb/> ^rd später dadurch gemildert, daß mau Güter zweiter Ordnung zuläßt und<lb/> Zwischen den tugendhafte» Weisen und den lasterhaften Thoren den nach Weis¬<lb/> heit strebenden, den fortschreitenden und sich bessernden Menschen einschiebt.<lb/> nun aber die Natur sowohl in dem angegebnen wie im weitesten Sinne<lb/> von Gott nach seinem unverbrüchlichen Gesetz geordnet ist, so erscheint die<lb/> Tugend zugleich als Gehorsam gegen das göttliche Gesetz, durch dessen Er¬<lb/> füllung der Weise das seine beiträgt zur Vollendung sowohl der Weltordnung<lb/> auch seiner eignen Individualität, seiner Persönlichkeit, und so erreicht er<lb/> ihm von der alles bis ins kleinste hinein ordnenden Vorsehung bestimmte<lb/> Ael. Er handelt dabei mit Willensfreiheit und ist für alle feine Handlungen<lb/> vollständig verantwortlich. Wie freilich die Notwendigkeit mit der Freiheit in<lb/> Anklang gebracht werden, wie das eherne Geschick, die Heimarmene, dem freien<lb/> Menschenwillen gegenüber zu der nicht zwingenden, sondern nur leitenden<lb/> Vorsehung werden könne, das vermochten die Stoiker so wenig in be¬<lb/> ledigender Weise zu zeigen, wie wir es heute vermögen, ebensowenig, wie in<lb/> die von der ewigen Vernunft geordnete Welt die Sünde komme. Die sonstigen<lb/> Übel verstanden sie wegzudisputieren; bei den Sünden und Lastern ging das<lb/> nicht, weil sie beständig dagegen predigten; so halfen sie sich denn damit, daß<lb/> >le die Sünde für die der Tugend unentbehrliche Folie erklärten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0483]
Hellenentnin und Christentum
andres gemeint haben, als die Energie in der Form der Wärme. Das
Physische und das Metaphysische der Sache geht uns nun weiter nichts an, hier
mußte diese stoische Lehre nur deswegen erwähnt werden, weil das Feuer als
Sinnbild der Gottheit und des göttlichen Geists in der Bibel eine bedeutende
Rolle spielt, und weil nach dem zweiten Petrnsbriefe die gegenwärtige Welt
durch Feuer vernichtet werden wird. Die Stoiker lassen die Welt nicht einmal,
sondern vielmal verbrennen. Jeder Weltprozeß endet damit, daß alle Dinge
in das Urfeuer zurückkehren; sie gehn dann aufs neue daraus hervor (neuere
Hypothesen stellen das Wechselspiel ähnlich dar), und jeder solche Weltprozeß
verläuft genau so wie alle seine Vorgänger, sodaß alles, was ist, genau so
schon vielmal dagewesen ist und genau so vielmal wiederkehren wird. Diese
Wiederkehr aller Dinge (Palingenesie oder Apokatastasis), an die übrigens auch
die Epikuräer glaubten, erscheint nach Windelband bei den Stoikern als not¬
wendige Konsequenz der beiden Wechselbegriffe Logos und Heimarmene. Die
Menschenseelen, nach einigen nur die der Weisen, leben nach dem Tode fort,
"is sie sich beim Weltbrande mit allen übrigen Wesen in das Urfeuer auflösen;
eben weil sie selbst Körper sind, sagen die Stoiker, können sie getrennt vom
Leibe fortbestehn.
Gleich den Cynikern und den Epiknrüern lehren die Stoiker, daß der
Weise der Natur gemäß lebe, aber dieses Wort nimmt bei ihnen eine Be¬
deutung an, die der gewöhnlichen entgegengesetzt ist. Sie erklären nämlich die
Vernunft für die Natur des Menschen, und die der Vernunft widerstrebenden
sinnlichen Triebe für Unnatur. Die Triebe müssen also überwunden werden.
Läßt sich die Seele von ihnen in der Ruhe stören, affiziereu oder gar Hin-
Pechen, so ist sie krank, lasterhaft. Laster ist aber das einzige Übel, alle andern
Dinge siud gleichgiltig, und Tugend ist das einzige Gut. Dieser Rigorismus
^rd später dadurch gemildert, daß mau Güter zweiter Ordnung zuläßt und
Zwischen den tugendhafte» Weisen und den lasterhaften Thoren den nach Weis¬
heit strebenden, den fortschreitenden und sich bessernden Menschen einschiebt.
nun aber die Natur sowohl in dem angegebnen wie im weitesten Sinne
von Gott nach seinem unverbrüchlichen Gesetz geordnet ist, so erscheint die
Tugend zugleich als Gehorsam gegen das göttliche Gesetz, durch dessen Er¬
füllung der Weise das seine beiträgt zur Vollendung sowohl der Weltordnung
auch seiner eignen Individualität, seiner Persönlichkeit, und so erreicht er
ihm von der alles bis ins kleinste hinein ordnenden Vorsehung bestimmte
Ael. Er handelt dabei mit Willensfreiheit und ist für alle feine Handlungen
vollständig verantwortlich. Wie freilich die Notwendigkeit mit der Freiheit in
Anklang gebracht werden, wie das eherne Geschick, die Heimarmene, dem freien
Menschenwillen gegenüber zu der nicht zwingenden, sondern nur leitenden
Vorsehung werden könne, das vermochten die Stoiker so wenig in be¬
ledigender Weise zu zeigen, wie wir es heute vermögen, ebensowenig, wie in
die von der ewigen Vernunft geordnete Welt die Sünde komme. Die sonstigen
Übel verstanden sie wegzudisputieren; bei den Sünden und Lastern ging das
nicht, weil sie beständig dagegen predigten; so halfen sie sich denn damit, daß
>le die Sünde für die der Tugend unentbehrliche Folie erklärten.
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