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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der verfall des historische" Romans

deutliches Bild von den Zuständen zu machen, gegen die die deutsche Eroberung
und die christliche Mission unablässig vorrückten. Die Aufgabe des Dichters
wäre es, dies deutliche lebendige Bild aus den spärlichen Überlieferungen
zu gewinnen, es würde so viel Arbeit kosten und von so zweifelhafter Echtheit
werden, als z. B. in Flauberts karthagischen Roman "Salambo" aufgewandt
und erreicht ist. Aber hätte der Dichter das Zeug dazu gehabt, so wollten
wir um die Urspruugsnachweise nicht rechten -- es wäre doch ein Bild, es
belebte doch ein Stück der Vergangenheit, das für uns völlig im Nebel liegt.
Davon ist aber in den "Apostelfürsten" nichts zu spüren. Die erzählten Vor¬
gänge sind bunt, der geschichtliche Hintergrund ist mächtig genug; aber die
Gestalten bleiben entweder undeutlich, oder es ist ihnen ein Seelenleben, eine
Anschauung geliehen, die viel spätern Zeiten angehören, die Schilderungen
sind ganz uncharakteristisch, und zwar treten uns die germanischen Sachsen
kaum viel näher als die Wenden. Das Ganze ist fleißig, sorgfältig, ohne
Lücken und Sprünge, aber auch ohne plastische Gestaltungskraft, ohne Frische
der Phantasie ausgeführt, es will seiner Intention nach besseres sein als ein
archäologischer Roman und ist nicht einmal ein solcher. Der Stil ist bis zum
Unglaublichen abstrakt und uncharaktcristisch, zwischen Erzbischof Adalbert und
dem Wendenfürsten Godschalk giebt es "Differenzpunkte der Ansichten" und
hundert ähnliche Dinge.

Etwas frischer und belebter im Vortrag mutet uns der historische Roman:
Der Zauber des Südens von A. Kleedehn an (Cöthen in Anhalt, 1897,
Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses), der -- auch ein Stück
Kaisergeschichte -- in den Tagen Ottos des Großen spielt und die Werbung
dieses Kaisers um die schöne Königin Adelheid und die Empörung seines
Sohnes Liudolf zum Stoff hat. Im Grunde liegt der Vorzug dieses Versuchs
vor den "Apostelfürsten" lediglich in dem zartern lyrischen Schmelz des Ge-
sühlsausdrucks und in der klugen Beschränkung, die auf eine Eiuzelausführung
aller Szenen Verzicht leistet und zwischen den ausgeführten vieles inzwischen
Geschehene schlicht erzählt. In das Leben der geschilderten Zeit und in die
Seelen der in Stolz und Zorn leidenschaftlich bewegten Menschen, die das
Stück Geschichte spielen, das uns hier vorgeführt wird, sieht der Verfasser
nicht viel tiefer hinein. Daß eine Schilderung dieser Zeit, ihre Belebung durch
Motive, die eingehender auch uns verständlich sind, möglich ist, hat Scheffels
"Ekkehard" bewiesen. Wir sagen nicht, daß gerade der Pfad betreten werden
müsse, der ihn zum Ziele geführt hat. Aber die Forderung einer stärkern
und deutlichern Anschauung der Menschen, der Sitten, der Zustände bleibt
bestehen.

Der kulturgeschichtliche Roman Corisande von Maulvon von Gertrud
Weber (Cöthen, 1897, Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses)
ist nur eine "sreie Bearbeitung" nach einem französischen Original des Grafen


Der verfall des historische» Romans

deutliches Bild von den Zuständen zu machen, gegen die die deutsche Eroberung
und die christliche Mission unablässig vorrückten. Die Aufgabe des Dichters
wäre es, dies deutliche lebendige Bild aus den spärlichen Überlieferungen
zu gewinnen, es würde so viel Arbeit kosten und von so zweifelhafter Echtheit
werden, als z. B. in Flauberts karthagischen Roman „Salambo" aufgewandt
und erreicht ist. Aber hätte der Dichter das Zeug dazu gehabt, so wollten
wir um die Urspruugsnachweise nicht rechten — es wäre doch ein Bild, es
belebte doch ein Stück der Vergangenheit, das für uns völlig im Nebel liegt.
Davon ist aber in den „Apostelfürsten" nichts zu spüren. Die erzählten Vor¬
gänge sind bunt, der geschichtliche Hintergrund ist mächtig genug; aber die
Gestalten bleiben entweder undeutlich, oder es ist ihnen ein Seelenleben, eine
Anschauung geliehen, die viel spätern Zeiten angehören, die Schilderungen
sind ganz uncharakteristisch, und zwar treten uns die germanischen Sachsen
kaum viel näher als die Wenden. Das Ganze ist fleißig, sorgfältig, ohne
Lücken und Sprünge, aber auch ohne plastische Gestaltungskraft, ohne Frische
der Phantasie ausgeführt, es will seiner Intention nach besseres sein als ein
archäologischer Roman und ist nicht einmal ein solcher. Der Stil ist bis zum
Unglaublichen abstrakt und uncharaktcristisch, zwischen Erzbischof Adalbert und
dem Wendenfürsten Godschalk giebt es „Differenzpunkte der Ansichten" und
hundert ähnliche Dinge.

Etwas frischer und belebter im Vortrag mutet uns der historische Roman:
Der Zauber des Südens von A. Kleedehn an (Cöthen in Anhalt, 1897,
Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses), der — auch ein Stück
Kaisergeschichte — in den Tagen Ottos des Großen spielt und die Werbung
dieses Kaisers um die schöne Königin Adelheid und die Empörung seines
Sohnes Liudolf zum Stoff hat. Im Grunde liegt der Vorzug dieses Versuchs
vor den „Apostelfürsten" lediglich in dem zartern lyrischen Schmelz des Ge-
sühlsausdrucks und in der klugen Beschränkung, die auf eine Eiuzelausführung
aller Szenen Verzicht leistet und zwischen den ausgeführten vieles inzwischen
Geschehene schlicht erzählt. In das Leben der geschilderten Zeit und in die
Seelen der in Stolz und Zorn leidenschaftlich bewegten Menschen, die das
Stück Geschichte spielen, das uns hier vorgeführt wird, sieht der Verfasser
nicht viel tiefer hinein. Daß eine Schilderung dieser Zeit, ihre Belebung durch
Motive, die eingehender auch uns verständlich sind, möglich ist, hat Scheffels
„Ekkehard" bewiesen. Wir sagen nicht, daß gerade der Pfad betreten werden
müsse, der ihn zum Ziele geführt hat. Aber die Forderung einer stärkern
und deutlichern Anschauung der Menschen, der Sitten, der Zustände bleibt
bestehen.

Der kulturgeschichtliche Roman Corisande von Maulvon von Gertrud
Weber (Cöthen, 1897, Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses)
ist nur eine „sreie Bearbeitung" nach einem französischen Original des Grafen


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[0095] Der verfall des historische» Romans deutliches Bild von den Zuständen zu machen, gegen die die deutsche Eroberung und die christliche Mission unablässig vorrückten. Die Aufgabe des Dichters wäre es, dies deutliche lebendige Bild aus den spärlichen Überlieferungen zu gewinnen, es würde so viel Arbeit kosten und von so zweifelhafter Echtheit werden, als z. B. in Flauberts karthagischen Roman „Salambo" aufgewandt und erreicht ist. Aber hätte der Dichter das Zeug dazu gehabt, so wollten wir um die Urspruugsnachweise nicht rechten — es wäre doch ein Bild, es belebte doch ein Stück der Vergangenheit, das für uns völlig im Nebel liegt. Davon ist aber in den „Apostelfürsten" nichts zu spüren. Die erzählten Vor¬ gänge sind bunt, der geschichtliche Hintergrund ist mächtig genug; aber die Gestalten bleiben entweder undeutlich, oder es ist ihnen ein Seelenleben, eine Anschauung geliehen, die viel spätern Zeiten angehören, die Schilderungen sind ganz uncharakteristisch, und zwar treten uns die germanischen Sachsen kaum viel näher als die Wenden. Das Ganze ist fleißig, sorgfältig, ohne Lücken und Sprünge, aber auch ohne plastische Gestaltungskraft, ohne Frische der Phantasie ausgeführt, es will seiner Intention nach besseres sein als ein archäologischer Roman und ist nicht einmal ein solcher. Der Stil ist bis zum Unglaublichen abstrakt und uncharaktcristisch, zwischen Erzbischof Adalbert und dem Wendenfürsten Godschalk giebt es „Differenzpunkte der Ansichten" und hundert ähnliche Dinge. Etwas frischer und belebter im Vortrag mutet uns der historische Roman: Der Zauber des Südens von A. Kleedehn an (Cöthen in Anhalt, 1897, Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses), der — auch ein Stück Kaisergeschichte — in den Tagen Ottos des Großen spielt und die Werbung dieses Kaisers um die schöne Königin Adelheid und die Empörung seines Sohnes Liudolf zum Stoff hat. Im Grunde liegt der Vorzug dieses Versuchs vor den „Apostelfürsten" lediglich in dem zartern lyrischen Schmelz des Ge- sühlsausdrucks und in der klugen Beschränkung, die auf eine Eiuzelausführung aller Szenen Verzicht leistet und zwischen den ausgeführten vieles inzwischen Geschehene schlicht erzählt. In das Leben der geschilderten Zeit und in die Seelen der in Stolz und Zorn leidenschaftlich bewegten Menschen, die das Stück Geschichte spielen, das uns hier vorgeführt wird, sieht der Verfasser nicht viel tiefer hinein. Daß eine Schilderung dieser Zeit, ihre Belebung durch Motive, die eingehender auch uns verständlich sind, möglich ist, hat Scheffels „Ekkehard" bewiesen. Wir sagen nicht, daß gerade der Pfad betreten werden müsse, der ihn zum Ziele geführt hat. Aber die Forderung einer stärkern und deutlichern Anschauung der Menschen, der Sitten, der Zustände bleibt bestehen. Der kulturgeschichtliche Roman Corisande von Maulvon von Gertrud Weber (Cöthen, 1897, Schriftenniederlage des evangelischen Vereinshauses) ist nur eine „sreie Bearbeitung" nach einem französischen Original des Grafen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/95>, abgerufen am 27.09.2024.