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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Schreckensjahre, der Gedanke, daß die Revolution zu Ende gehen soll, ist ihnen
unerträglich. Der eigentliche Held, Andrv Thenrillc, der zu Anfang beim Zu¬
sammentreffen mit seiner spätern Geliebten die Stirn zu der Frage hat: "Ihr
sprecht von dem Blut, das vergossen ist. Ich frage euch: sind jene Toten
schuldlos gestorben?" handelt in diesem Sinne weiter, schließt sich der Ver¬
schwörung Babeufs an und würde die Republik in seinem Sinne herstellen
und eine dauernde Herrschaft der Guillotine aufrichten, wenn nicht Frankreich
todmüde wäre, wenn nicht der Schuß, den der exaltirte Jakobiner auf den
General Bonaparte abfeuert, zufällig fehl ginge, wenn ihn nicht zuletzt das
Weib, das sich für ihn geopfert, für ihn entwürdigt hat, in einem Irrtum der
Eifersucht verriete. Zu Zeiten kommt dem energischen Blutmann freilich gegen¬
über dem Menschcnkehricht, mit dem er zu thun hat, ein Gefühl verächtlicher
Ernüchterung. Aber er tröstet sich mit dem Gedanken, daß Babeufs Ideen
ungefähr mit denen des ehernen Se. Just zusammenstimmen. Und noch in seiner
Todesstunde, als er sich angesichts des Zusammenbruchs der jakobinisch-kom¬
munistische" Verschwörung und der ersten italienischen Siege und Triumphe
des verhaßten Bonaparte erschießt, durchwogen ihn wilde Zweifel und Zukunfts-
gedanken: "Wußte er wirklich, ob Gracchus Babeuf ein Narr oder ein Prophet
gewesen war? Ob er nicht vielmehr der Märtyrer eines dunkeln, geheimnis¬
vollen Evangeliums war, das noch niemand verstand, für das er sterben mußte,
weil er es ausgesprochen hatte? War dies vielleicht nicht der richtige Moment
gewesen? Oder er hatte nicht die richtigen Helfer gefunden?" Denn freilich
um das Evangelium der Abschaffung des individuellen Vermögens durchzu¬
führen, "mußte man von neuem die Gesellschaft umpflügen mit Schwert und
Feuer. Um diesen Bau auszuführen, mußte mau den tausenden von Köpfen,
die schon gefallen waren, neue tausende hinzufügen. Und daran war Babeuf
gescheitert. Niemand, auch er selbst nicht, hatte mehr die Energie, den letzten,
den furchtbarsten Schritt der Revolution zu thun."

Man sieht leicht, daß es diese wüsten Zukuuftsphantasien sind, denen der
ganze Roman gilt, die widrige Gestalt des Pariser Tribunen gehört schon seit
langer Zeit zu den Heiligenbildern des sozialdemokratischen Bekenntnisses. Und
so entspricht es den Lieblingsphantasien einer großen Partei der Gegenwart,
Gracchus Babeuf und seiue Genossen als Vorläufer einer künftigen Welterlösung
zu feiern. Um dies auf dem Hintergrunde der Geschichte der Jahre 1795
und 1796 zu ermöglichen, muß die uralte Praxis der Tendenzdichtung wieder
ausgeübt werden, laut deren man von der Weltkugel den Nord- und Südpol
abschneidet und diese gegeneinander preßt, nachdem man alles, was in der
Mitte lag, weggeworfen hat. So ist es spottleicht, den Schwelgereien und dem
gewissenlosen Leichtsinn der Thermidoricmer und Direktorialgrößen die rauhe
Energie und Rvbespierresche Tugend der letzten Jakobiner gegenüberzustellen.
Daß ganz Frankreich, das Leid und Elend von Millionen dazwischen liegt, daß


Schreckensjahre, der Gedanke, daß die Revolution zu Ende gehen soll, ist ihnen
unerträglich. Der eigentliche Held, Andrv Thenrillc, der zu Anfang beim Zu¬
sammentreffen mit seiner spätern Geliebten die Stirn zu der Frage hat: „Ihr
sprecht von dem Blut, das vergossen ist. Ich frage euch: sind jene Toten
schuldlos gestorben?" handelt in diesem Sinne weiter, schließt sich der Ver¬
schwörung Babeufs an und würde die Republik in seinem Sinne herstellen
und eine dauernde Herrschaft der Guillotine aufrichten, wenn nicht Frankreich
todmüde wäre, wenn nicht der Schuß, den der exaltirte Jakobiner auf den
General Bonaparte abfeuert, zufällig fehl ginge, wenn ihn nicht zuletzt das
Weib, das sich für ihn geopfert, für ihn entwürdigt hat, in einem Irrtum der
Eifersucht verriete. Zu Zeiten kommt dem energischen Blutmann freilich gegen¬
über dem Menschcnkehricht, mit dem er zu thun hat, ein Gefühl verächtlicher
Ernüchterung. Aber er tröstet sich mit dem Gedanken, daß Babeufs Ideen
ungefähr mit denen des ehernen Se. Just zusammenstimmen. Und noch in seiner
Todesstunde, als er sich angesichts des Zusammenbruchs der jakobinisch-kom¬
munistische» Verschwörung und der ersten italienischen Siege und Triumphe
des verhaßten Bonaparte erschießt, durchwogen ihn wilde Zweifel und Zukunfts-
gedanken: „Wußte er wirklich, ob Gracchus Babeuf ein Narr oder ein Prophet
gewesen war? Ob er nicht vielmehr der Märtyrer eines dunkeln, geheimnis¬
vollen Evangeliums war, das noch niemand verstand, für das er sterben mußte,
weil er es ausgesprochen hatte? War dies vielleicht nicht der richtige Moment
gewesen? Oder er hatte nicht die richtigen Helfer gefunden?" Denn freilich
um das Evangelium der Abschaffung des individuellen Vermögens durchzu¬
führen, „mußte man von neuem die Gesellschaft umpflügen mit Schwert und
Feuer. Um diesen Bau auszuführen, mußte mau den tausenden von Köpfen,
die schon gefallen waren, neue tausende hinzufügen. Und daran war Babeuf
gescheitert. Niemand, auch er selbst nicht, hatte mehr die Energie, den letzten,
den furchtbarsten Schritt der Revolution zu thun."

Man sieht leicht, daß es diese wüsten Zukuuftsphantasien sind, denen der
ganze Roman gilt, die widrige Gestalt des Pariser Tribunen gehört schon seit
langer Zeit zu den Heiligenbildern des sozialdemokratischen Bekenntnisses. Und
so entspricht es den Lieblingsphantasien einer großen Partei der Gegenwart,
Gracchus Babeuf und seiue Genossen als Vorläufer einer künftigen Welterlösung
zu feiern. Um dies auf dem Hintergrunde der Geschichte der Jahre 1795
und 1796 zu ermöglichen, muß die uralte Praxis der Tendenzdichtung wieder
ausgeübt werden, laut deren man von der Weltkugel den Nord- und Südpol
abschneidet und diese gegeneinander preßt, nachdem man alles, was in der
Mitte lag, weggeworfen hat. So ist es spottleicht, den Schwelgereien und dem
gewissenlosen Leichtsinn der Thermidoricmer und Direktorialgrößen die rauhe
Energie und Rvbespierresche Tugend der letzten Jakobiner gegenüberzustellen.
Daß ganz Frankreich, das Leid und Elend von Millionen dazwischen liegt, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/93>, abgerufen am 27.09.2024.