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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Minister mit Gedanken, mit Plänen, mit einer Auffassung seiner Verufsaufgabe
in großem Stil wird wie ein weißer Rabe bewundert.

Wie könnte es aber anders sein! Es ist ja ganz natürlich, daß die Chefs
der verschiedenen Verwaltungen nichts als Weiterführer der Geschäfte, Expedienten
in vornehmerer Ausgabe sind, wenn die erste Forderung an die Berufung zur
leitenden Stellung nicht sowohl die sachliche Beherrschung des zu verwaltenden
Gebietes, als die ganz allgemeine rein formelle Befähigung ist, die sich auf
die allen Ressorts gemeinsamen Äußerlichkeiten bezieht. Unser Staatsleben
ist in der Gefahr, immer mehr in bürokratischer Äußerlichkeit zu verknöchern.
Es wird verfügt, berichtet, es sammeln sich Aktenstöße an; eine Menge von
hochbetitelten, durch eine lange Vorbereitungszeit scheinbar zum Regieren ganz
besonders fähig gemachten Männern arbeitet mit Bienenfleiß, und die meisten
bilden sich auch gewiß ein, durch ihre Arbeit großen Nutzen zu stiften. Aber
für die wirkliche Förderung der allgemeinen Wohlfahrt ist diese Überproduktion
an Arbeit zum großen Teil wertlos. Schließlich wird regiert um -- des
Regierens willen.

Den Vorteil von der Beseitigung dieses Zustandes hätte unser ganzes
öffentliches Leben, insofern eine Menge tüchtiger Kräfte nicht mehr in solchem
Umfange für eine in der Hauptsache inhaltleere Thätigkeit verbraucht werden
würde. Den Vorteil Hütte aber auch jeder einzelne Dienstzweig, jedes einzelne
Gebiet des Staatslebens. Nicht zum wenigsten würde das Ressort des Justiz¬
ministeriums den Vorteil davon spüren, wenn dnrch den Bruch des Juristen¬
privilegiums die Bahn zu allen leitenden Stellungen den dazu innerlich be¬
rufnen Männern ohne Rücksicht auf ihre besondre Vorbildung freigegeben
würde. Denn, um auf die Umstände zurückzukommen, von denen die hier
gemachten Ausführungen ihren Ausgang nahmen, es würde dann der ungesunde
Zudrang zu dem Eintritt in die juristische Laufbahn ganz unausbleiblich eine
große Einschränkung erfahren, es würden in diese Laufbahn im wesentlichen
nur solche junge Leute eintreten, die zur Mitwirkung bei der Rechtsprechung
als Richter, Staatsanwälte und Nechtsanwcilte auch wirklich deu Beruf in sich
fühlen, es wäre nicht mehr zu besorgen, daß der juristischen Thätigkeit im
engsten Sinne die besten Kräfte durch die Vorteile des Übertritts in die nur
formell die juristische Befähigung erfordernden Berufszweige weggelockt würden.
Im Interesse des juristischen Berufs selbst müßte man die Forderung unter¬
stützen, die im Interesse einer gesunden Weiterentwicklung unsers öffentlichen
Lebens überhaupt nachdrücklich erhoben werden muß: Fort mit dem juristischen
Zopf!




Minister mit Gedanken, mit Plänen, mit einer Auffassung seiner Verufsaufgabe
in großem Stil wird wie ein weißer Rabe bewundert.

Wie könnte es aber anders sein! Es ist ja ganz natürlich, daß die Chefs
der verschiedenen Verwaltungen nichts als Weiterführer der Geschäfte, Expedienten
in vornehmerer Ausgabe sind, wenn die erste Forderung an die Berufung zur
leitenden Stellung nicht sowohl die sachliche Beherrschung des zu verwaltenden
Gebietes, als die ganz allgemeine rein formelle Befähigung ist, die sich auf
die allen Ressorts gemeinsamen Äußerlichkeiten bezieht. Unser Staatsleben
ist in der Gefahr, immer mehr in bürokratischer Äußerlichkeit zu verknöchern.
Es wird verfügt, berichtet, es sammeln sich Aktenstöße an; eine Menge von
hochbetitelten, durch eine lange Vorbereitungszeit scheinbar zum Regieren ganz
besonders fähig gemachten Männern arbeitet mit Bienenfleiß, und die meisten
bilden sich auch gewiß ein, durch ihre Arbeit großen Nutzen zu stiften. Aber
für die wirkliche Förderung der allgemeinen Wohlfahrt ist diese Überproduktion
an Arbeit zum großen Teil wertlos. Schließlich wird regiert um — des
Regierens willen.

Den Vorteil von der Beseitigung dieses Zustandes hätte unser ganzes
öffentliches Leben, insofern eine Menge tüchtiger Kräfte nicht mehr in solchem
Umfange für eine in der Hauptsache inhaltleere Thätigkeit verbraucht werden
würde. Den Vorteil Hütte aber auch jeder einzelne Dienstzweig, jedes einzelne
Gebiet des Staatslebens. Nicht zum wenigsten würde das Ressort des Justiz¬
ministeriums den Vorteil davon spüren, wenn dnrch den Bruch des Juristen¬
privilegiums die Bahn zu allen leitenden Stellungen den dazu innerlich be¬
rufnen Männern ohne Rücksicht auf ihre besondre Vorbildung freigegeben
würde. Denn, um auf die Umstände zurückzukommen, von denen die hier
gemachten Ausführungen ihren Ausgang nahmen, es würde dann der ungesunde
Zudrang zu dem Eintritt in die juristische Laufbahn ganz unausbleiblich eine
große Einschränkung erfahren, es würden in diese Laufbahn im wesentlichen
nur solche junge Leute eintreten, die zur Mitwirkung bei der Rechtsprechung
als Richter, Staatsanwälte und Nechtsanwcilte auch wirklich deu Beruf in sich
fühlen, es wäre nicht mehr zu besorgen, daß der juristischen Thätigkeit im
engsten Sinne die besten Kräfte durch die Vorteile des Übertritts in die nur
formell die juristische Befähigung erfordernden Berufszweige weggelockt würden.
Im Interesse des juristischen Berufs selbst müßte man die Forderung unter¬
stützen, die im Interesse einer gesunden Weiterentwicklung unsers öffentlichen
Lebens überhaupt nachdrücklich erhoben werden muß: Fort mit dem juristischen
Zopf!




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[0082] Minister mit Gedanken, mit Plänen, mit einer Auffassung seiner Verufsaufgabe in großem Stil wird wie ein weißer Rabe bewundert. Wie könnte es aber anders sein! Es ist ja ganz natürlich, daß die Chefs der verschiedenen Verwaltungen nichts als Weiterführer der Geschäfte, Expedienten in vornehmerer Ausgabe sind, wenn die erste Forderung an die Berufung zur leitenden Stellung nicht sowohl die sachliche Beherrschung des zu verwaltenden Gebietes, als die ganz allgemeine rein formelle Befähigung ist, die sich auf die allen Ressorts gemeinsamen Äußerlichkeiten bezieht. Unser Staatsleben ist in der Gefahr, immer mehr in bürokratischer Äußerlichkeit zu verknöchern. Es wird verfügt, berichtet, es sammeln sich Aktenstöße an; eine Menge von hochbetitelten, durch eine lange Vorbereitungszeit scheinbar zum Regieren ganz besonders fähig gemachten Männern arbeitet mit Bienenfleiß, und die meisten bilden sich auch gewiß ein, durch ihre Arbeit großen Nutzen zu stiften. Aber für die wirkliche Förderung der allgemeinen Wohlfahrt ist diese Überproduktion an Arbeit zum großen Teil wertlos. Schließlich wird regiert um — des Regierens willen. Den Vorteil von der Beseitigung dieses Zustandes hätte unser ganzes öffentliches Leben, insofern eine Menge tüchtiger Kräfte nicht mehr in solchem Umfange für eine in der Hauptsache inhaltleere Thätigkeit verbraucht werden würde. Den Vorteil Hütte aber auch jeder einzelne Dienstzweig, jedes einzelne Gebiet des Staatslebens. Nicht zum wenigsten würde das Ressort des Justiz¬ ministeriums den Vorteil davon spüren, wenn dnrch den Bruch des Juristen¬ privilegiums die Bahn zu allen leitenden Stellungen den dazu innerlich be¬ rufnen Männern ohne Rücksicht auf ihre besondre Vorbildung freigegeben würde. Denn, um auf die Umstände zurückzukommen, von denen die hier gemachten Ausführungen ihren Ausgang nahmen, es würde dann der ungesunde Zudrang zu dem Eintritt in die juristische Laufbahn ganz unausbleiblich eine große Einschränkung erfahren, es würden in diese Laufbahn im wesentlichen nur solche junge Leute eintreten, die zur Mitwirkung bei der Rechtsprechung als Richter, Staatsanwälte und Nechtsanwcilte auch wirklich deu Beruf in sich fühlen, es wäre nicht mehr zu besorgen, daß der juristischen Thätigkeit im engsten Sinne die besten Kräfte durch die Vorteile des Übertritts in die nur formell die juristische Befähigung erfordernden Berufszweige weggelockt würden. Im Interesse des juristischen Berufs selbst müßte man die Forderung unter¬ stützen, die im Interesse einer gesunden Weiterentwicklung unsers öffentlichen Lebens überhaupt nachdrücklich erhoben werden muß: Fort mit dem juristischen Zopf!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/82>, abgerufen am 27.09.2024.