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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der juristische Zopf

andre Eigenschaften erfordert werden, die verhältnismäßig weniger häufig sind.
Es sind das: ein weiter Blick, hohe Gesichtspunkte, eine gewisse schöpferische
Initiative, Ruhe und Selbstbeherrschung, die auch in dem harten Kampfe, der
sich öfter in den Nathaussäleu abspielt, nicht versagt, eine überzeugende Rede-
gabe -- lauter Eigenschaften, die sich in ein Wort zusammenfassen lassein das
Oberhaupt einer großen Gemeinde muß eine "Persönlichkeit" sein, ein Mann,
der die Verhältnisse eines großen Verwaltnngsgebiets zu übersehen und die
Männer, auf deren Mitwirkung er angewiesen ist, durch die ganze Art seines
Auftretens und durch eine Leitung, die jeder tüchtigen Kraft die nötige Selb¬
ständigkeit und den nötigen Spielraum läßt und doch im rechten Augenblick
die Zügel straff hält, zu bereitwilligen Mitarbeitern zu gewinnen weiß. Das
sind aber ganz persönliche Eigenschaften, die von der Art des Bildungs¬
ganges durchaus unabhängig sind. Daß sie anch bei Männern juristischer
Bildung nicht notwendig vorhanden zu sein brauchen, lehrt n. a. das Beispiel
solcher Gemeinden, wo in gewissen Zeiten außergewöhnliche Aufgaben ihrer
Lösung harren, z. B. die Einverleibung von Vororten. Solchen Aufgaben
gegenüber genügt keine noch so tüchtige Kenntnis des Rechts und der Ver¬
waltungspraxis, solche Aufgaben befriedigend zu lösen ist nur eine bedeutende
Persönlichkeit imstande.

Ich verweile bei diesem Gegenstande noch einen Augenblick mit Rücksicht
auf die interessanten Ausführungen des in Ur. 39 des vorigen Jahrgangs
veröffentlichten Aufsatzes "Zur Frage der Vorbildung der höhern Verwaltungs-
beamten in Preußen." Der Verfasser dieses Aufsatzes, der augenscheinlich selbst
in dem Getriebe der höhern Verwaltung steht, verlangt zur Beseitigung der
von ihm selbst hervorgehobnen Mängel, die bei den Trägern der innern Ver¬
waltung zur Zeit vielfach beobachtet werde", namentlich auch eine gründlichere
Ausbildung der Beamten für den höhern Verwaltungsdienst schon auf der
Universität; er wendet sich ausdrücklich gegen die nach seiner Ansicht geradezu
"verderbliche" Meinung, daß es in der Praxis mehr auf den gesunden Menschen¬
verstand als auf theoretisches Wissen ankomme. Hiermit scheinen die eben dar¬
gelegten Gedanken in Widerspruch zu stehen. Daß das aber nur so scheint,
wird schon klar, wenn man erwägt, daß die Träger der höhern Verwaltung
in unserm Staatswesen, deren Verhältnisse und Bedürfnisse in dem erwähnten
Aufsatz erörtert werden, doch wesentlich andre Aufgaben zu lösen haben, als
sie an den Leiter eines größern städtischen Gemeinwesens herantreten. Die
höhern Verwaltungsbehörden haben im wesentlichen eine beaufsichtigende Thätig¬
keit auszuüben, dafür zu sorgen, daß in ihrem Verwaltnngsbereich die allge¬
meinen und grundsätzlichen Forderungen jedes geordneten Staatswesens zur
Geltung kommen, der Zusammenhang und das angemessene Verhältnis aller
Seiten des Lebens gehörig berücksichtigt werden. Da unterliegt es keinem
Zweifel, daß eine der wichtigsten Vorbedingungen für die ersprießliche Lösung


Der juristische Zopf

andre Eigenschaften erfordert werden, die verhältnismäßig weniger häufig sind.
Es sind das: ein weiter Blick, hohe Gesichtspunkte, eine gewisse schöpferische
Initiative, Ruhe und Selbstbeherrschung, die auch in dem harten Kampfe, der
sich öfter in den Nathaussäleu abspielt, nicht versagt, eine überzeugende Rede-
gabe — lauter Eigenschaften, die sich in ein Wort zusammenfassen lassein das
Oberhaupt einer großen Gemeinde muß eine „Persönlichkeit" sein, ein Mann,
der die Verhältnisse eines großen Verwaltnngsgebiets zu übersehen und die
Männer, auf deren Mitwirkung er angewiesen ist, durch die ganze Art seines
Auftretens und durch eine Leitung, die jeder tüchtigen Kraft die nötige Selb¬
ständigkeit und den nötigen Spielraum läßt und doch im rechten Augenblick
die Zügel straff hält, zu bereitwilligen Mitarbeitern zu gewinnen weiß. Das
sind aber ganz persönliche Eigenschaften, die von der Art des Bildungs¬
ganges durchaus unabhängig sind. Daß sie anch bei Männern juristischer
Bildung nicht notwendig vorhanden zu sein brauchen, lehrt n. a. das Beispiel
solcher Gemeinden, wo in gewissen Zeiten außergewöhnliche Aufgaben ihrer
Lösung harren, z. B. die Einverleibung von Vororten. Solchen Aufgaben
gegenüber genügt keine noch so tüchtige Kenntnis des Rechts und der Ver¬
waltungspraxis, solche Aufgaben befriedigend zu lösen ist nur eine bedeutende
Persönlichkeit imstande.

Ich verweile bei diesem Gegenstande noch einen Augenblick mit Rücksicht
auf die interessanten Ausführungen des in Ur. 39 des vorigen Jahrgangs
veröffentlichten Aufsatzes „Zur Frage der Vorbildung der höhern Verwaltungs-
beamten in Preußen." Der Verfasser dieses Aufsatzes, der augenscheinlich selbst
in dem Getriebe der höhern Verwaltung steht, verlangt zur Beseitigung der
von ihm selbst hervorgehobnen Mängel, die bei den Trägern der innern Ver¬
waltung zur Zeit vielfach beobachtet werde», namentlich auch eine gründlichere
Ausbildung der Beamten für den höhern Verwaltungsdienst schon auf der
Universität; er wendet sich ausdrücklich gegen die nach seiner Ansicht geradezu
„verderbliche" Meinung, daß es in der Praxis mehr auf den gesunden Menschen¬
verstand als auf theoretisches Wissen ankomme. Hiermit scheinen die eben dar¬
gelegten Gedanken in Widerspruch zu stehen. Daß das aber nur so scheint,
wird schon klar, wenn man erwägt, daß die Träger der höhern Verwaltung
in unserm Staatswesen, deren Verhältnisse und Bedürfnisse in dem erwähnten
Aufsatz erörtert werden, doch wesentlich andre Aufgaben zu lösen haben, als
sie an den Leiter eines größern städtischen Gemeinwesens herantreten. Die
höhern Verwaltungsbehörden haben im wesentlichen eine beaufsichtigende Thätig¬
keit auszuüben, dafür zu sorgen, daß in ihrem Verwaltnngsbereich die allge¬
meinen und grundsätzlichen Forderungen jedes geordneten Staatswesens zur
Geltung kommen, der Zusammenhang und das angemessene Verhältnis aller
Seiten des Lebens gehörig berücksichtigt werden. Da unterliegt es keinem
Zweifel, daß eine der wichtigsten Vorbedingungen für die ersprießliche Lösung


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[0077] Der juristische Zopf andre Eigenschaften erfordert werden, die verhältnismäßig weniger häufig sind. Es sind das: ein weiter Blick, hohe Gesichtspunkte, eine gewisse schöpferische Initiative, Ruhe und Selbstbeherrschung, die auch in dem harten Kampfe, der sich öfter in den Nathaussäleu abspielt, nicht versagt, eine überzeugende Rede- gabe — lauter Eigenschaften, die sich in ein Wort zusammenfassen lassein das Oberhaupt einer großen Gemeinde muß eine „Persönlichkeit" sein, ein Mann, der die Verhältnisse eines großen Verwaltnngsgebiets zu übersehen und die Männer, auf deren Mitwirkung er angewiesen ist, durch die ganze Art seines Auftretens und durch eine Leitung, die jeder tüchtigen Kraft die nötige Selb¬ ständigkeit und den nötigen Spielraum läßt und doch im rechten Augenblick die Zügel straff hält, zu bereitwilligen Mitarbeitern zu gewinnen weiß. Das sind aber ganz persönliche Eigenschaften, die von der Art des Bildungs¬ ganges durchaus unabhängig sind. Daß sie anch bei Männern juristischer Bildung nicht notwendig vorhanden zu sein brauchen, lehrt n. a. das Beispiel solcher Gemeinden, wo in gewissen Zeiten außergewöhnliche Aufgaben ihrer Lösung harren, z. B. die Einverleibung von Vororten. Solchen Aufgaben gegenüber genügt keine noch so tüchtige Kenntnis des Rechts und der Ver¬ waltungspraxis, solche Aufgaben befriedigend zu lösen ist nur eine bedeutende Persönlichkeit imstande. Ich verweile bei diesem Gegenstande noch einen Augenblick mit Rücksicht auf die interessanten Ausführungen des in Ur. 39 des vorigen Jahrgangs veröffentlichten Aufsatzes „Zur Frage der Vorbildung der höhern Verwaltungs- beamten in Preußen." Der Verfasser dieses Aufsatzes, der augenscheinlich selbst in dem Getriebe der höhern Verwaltung steht, verlangt zur Beseitigung der von ihm selbst hervorgehobnen Mängel, die bei den Trägern der innern Ver¬ waltung zur Zeit vielfach beobachtet werde», namentlich auch eine gründlichere Ausbildung der Beamten für den höhern Verwaltungsdienst schon auf der Universität; er wendet sich ausdrücklich gegen die nach seiner Ansicht geradezu „verderbliche" Meinung, daß es in der Praxis mehr auf den gesunden Menschen¬ verstand als auf theoretisches Wissen ankomme. Hiermit scheinen die eben dar¬ gelegten Gedanken in Widerspruch zu stehen. Daß das aber nur so scheint, wird schon klar, wenn man erwägt, daß die Träger der höhern Verwaltung in unserm Staatswesen, deren Verhältnisse und Bedürfnisse in dem erwähnten Aufsatz erörtert werden, doch wesentlich andre Aufgaben zu lösen haben, als sie an den Leiter eines größern städtischen Gemeinwesens herantreten. Die höhern Verwaltungsbehörden haben im wesentlichen eine beaufsichtigende Thätig¬ keit auszuüben, dafür zu sorgen, daß in ihrem Verwaltnngsbereich die allge¬ meinen und grundsätzlichen Forderungen jedes geordneten Staatswesens zur Geltung kommen, der Zusammenhang und das angemessene Verhältnis aller Seiten des Lebens gehörig berücksichtigt werden. Da unterliegt es keinem Zweifel, daß eine der wichtigsten Vorbedingungen für die ersprießliche Lösung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/77>, abgerufen am 27.09.2024.