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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

liederlichen Geistlichen und Klosterleuten in den der fleißigen Bürger über¬
gegangen waren, diesen wieder zu entreißen und "der Kirche" zurückzuerstatten.
Vergebliche Mühe! Den Stadtbürgern, nicht den Mönchen gehörte die Zu¬
kunft. Der kluge und liebenswürdige Rainald von Dassel verstand ja das
kaiserliche Joch den Tuseiern einigermaßen erträglich zu machen, obwohl die
Stadtbürger auch unter ihm klar genug einsahen, daß die ganze Reichsregierung
bloß auf Gelderpressung hinauslief und nichts leistete, nicht einmal Ruhe und
Sicherheit des Lebens zu verbürgen vermochte. Sein Nachfolger aber, der
grobe Christian, konnte nichts als totschlagen und brennen. Fast ganz Toskmia
erhob sich in Wut gegen ihn. Den Florentinern gebührt der Ruhm, seiner
"Regierung" im Frühjahr 1172 ein Ende gemacht zu haben. Sie stürmten
sein Kastell Colle ti Val d'Elsa, führten die Besatzung gefangen nach Florenz
ab und besiegten ihn dann in offner Feldschlacht. Der Druck war freilich da¬
durch noch nicht von TuSeien genommen; nicht lange nach ihrem Siege fanden
es die Florentiner geraten, sich freiwillig der Reichsgewalt zu unterwerfen und
mit ihr zu Verbunden, und auch Heinrichs VI. schwere Hand bekamen sie noch
zu fühlen. Aber dessen Tod bildete "für die italienischen Städte und sür
Florenz mehr als für die andern einen Markstein der Entwicklung; der eigent¬
lich mittelalterliche Zeitabschnitt in dessen Geschichte ging an dem Tage zu
Ende, an dem ein atemloser Bote, durchs römische Thor sprengend, die Kunde
ausrief, daß der gefürchtete Sohn Barbarossas tot, ein lallendes Kind unter
der Obhut einer Frau sein Erbe sei." So konnten sie von nun an, nicht
eben in gemächlicher Ruhe, aber doch mit der sichern Aussicht auf Erfolg den
Gipfel der Kulturhvhe vollends ersteigen. So klein die Städte, Florenz nicht
ausgenommen, nach heutigem Begriffen sein mochten, sie waren schon Welt¬
städte. "Seit früher Zeit haftete der italienischen mittelalterlichen Welt nichts
von bedrückender Enge und Kleinstädterei an; der Handel weidete den Blick,
die Kriegszüge der Deutschen, Verwaltung durch Reichsbeamte, Gesandtschaften
an das Reichsoberhaupt, Wallfahrten nach entlegnen Gräberstätten, das Zu¬
strömen von ausländischen Pilgern und Geistlichen, die nach Rom gingen, das
alles schuf fortwährende Berührungen mit der Fremde."

Wenn das spätere Florenz weiter nichts hervorgebracht hätte als Industrie
und Handel, tüchtige Staatsmänner, Schriften über Politik, Geschichtswerke
und das moderne Wechsel- und Bankwesen, so ließe sich das aus seiner mittel¬
alterlichen Geschichte erklären. Ein Zustand, wo jeder Einzelne beständig jeden
Nerv und Muskel anspannen muß, um sich seiner Haut zu wehren, wo er
aber zugleich auch die Freiheit hat, um sich zu schlagen und nicht allein sich
zu behaupten, sondern emporzusteigen, eine Freiheit, die nur durch freiwillige
Bindung an Geschlechtsgenossen, Nachbarn und Mitinteressenten eingeschränkt
wird, ein Zustand, wo jedermann gezwungen ist, seinen Unterhalt durch Arbeit
in einem Gewerbe zu verdienen, wo aber auch jeder seinen kleinen Staat mit


Grenzboten I 1897 81
Line Geschichte von Florenz

liederlichen Geistlichen und Klosterleuten in den der fleißigen Bürger über¬
gegangen waren, diesen wieder zu entreißen und „der Kirche" zurückzuerstatten.
Vergebliche Mühe! Den Stadtbürgern, nicht den Mönchen gehörte die Zu¬
kunft. Der kluge und liebenswürdige Rainald von Dassel verstand ja das
kaiserliche Joch den Tuseiern einigermaßen erträglich zu machen, obwohl die
Stadtbürger auch unter ihm klar genug einsahen, daß die ganze Reichsregierung
bloß auf Gelderpressung hinauslief und nichts leistete, nicht einmal Ruhe und
Sicherheit des Lebens zu verbürgen vermochte. Sein Nachfolger aber, der
grobe Christian, konnte nichts als totschlagen und brennen. Fast ganz Toskmia
erhob sich in Wut gegen ihn. Den Florentinern gebührt der Ruhm, seiner
„Regierung" im Frühjahr 1172 ein Ende gemacht zu haben. Sie stürmten
sein Kastell Colle ti Val d'Elsa, führten die Besatzung gefangen nach Florenz
ab und besiegten ihn dann in offner Feldschlacht. Der Druck war freilich da¬
durch noch nicht von TuSeien genommen; nicht lange nach ihrem Siege fanden
es die Florentiner geraten, sich freiwillig der Reichsgewalt zu unterwerfen und
mit ihr zu Verbunden, und auch Heinrichs VI. schwere Hand bekamen sie noch
zu fühlen. Aber dessen Tod bildete „für die italienischen Städte und sür
Florenz mehr als für die andern einen Markstein der Entwicklung; der eigent¬
lich mittelalterliche Zeitabschnitt in dessen Geschichte ging an dem Tage zu
Ende, an dem ein atemloser Bote, durchs römische Thor sprengend, die Kunde
ausrief, daß der gefürchtete Sohn Barbarossas tot, ein lallendes Kind unter
der Obhut einer Frau sein Erbe sei." So konnten sie von nun an, nicht
eben in gemächlicher Ruhe, aber doch mit der sichern Aussicht auf Erfolg den
Gipfel der Kulturhvhe vollends ersteigen. So klein die Städte, Florenz nicht
ausgenommen, nach heutigem Begriffen sein mochten, sie waren schon Welt¬
städte. „Seit früher Zeit haftete der italienischen mittelalterlichen Welt nichts
von bedrückender Enge und Kleinstädterei an; der Handel weidete den Blick,
die Kriegszüge der Deutschen, Verwaltung durch Reichsbeamte, Gesandtschaften
an das Reichsoberhaupt, Wallfahrten nach entlegnen Gräberstätten, das Zu¬
strömen von ausländischen Pilgern und Geistlichen, die nach Rom gingen, das
alles schuf fortwährende Berührungen mit der Fremde."

Wenn das spätere Florenz weiter nichts hervorgebracht hätte als Industrie
und Handel, tüchtige Staatsmänner, Schriften über Politik, Geschichtswerke
und das moderne Wechsel- und Bankwesen, so ließe sich das aus seiner mittel¬
alterlichen Geschichte erklären. Ein Zustand, wo jeder Einzelne beständig jeden
Nerv und Muskel anspannen muß, um sich seiner Haut zu wehren, wo er
aber zugleich auch die Freiheit hat, um sich zu schlagen und nicht allein sich
zu behaupten, sondern emporzusteigen, eine Freiheit, die nur durch freiwillige
Bindung an Geschlechtsgenossen, Nachbarn und Mitinteressenten eingeschränkt
wird, ein Zustand, wo jedermann gezwungen ist, seinen Unterhalt durch Arbeit
in einem Gewerbe zu verdienen, wo aber auch jeder seinen kleinen Staat mit


Grenzboten I 1897 81
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[0649] Line Geschichte von Florenz liederlichen Geistlichen und Klosterleuten in den der fleißigen Bürger über¬ gegangen waren, diesen wieder zu entreißen und „der Kirche" zurückzuerstatten. Vergebliche Mühe! Den Stadtbürgern, nicht den Mönchen gehörte die Zu¬ kunft. Der kluge und liebenswürdige Rainald von Dassel verstand ja das kaiserliche Joch den Tuseiern einigermaßen erträglich zu machen, obwohl die Stadtbürger auch unter ihm klar genug einsahen, daß die ganze Reichsregierung bloß auf Gelderpressung hinauslief und nichts leistete, nicht einmal Ruhe und Sicherheit des Lebens zu verbürgen vermochte. Sein Nachfolger aber, der grobe Christian, konnte nichts als totschlagen und brennen. Fast ganz Toskmia erhob sich in Wut gegen ihn. Den Florentinern gebührt der Ruhm, seiner „Regierung" im Frühjahr 1172 ein Ende gemacht zu haben. Sie stürmten sein Kastell Colle ti Val d'Elsa, führten die Besatzung gefangen nach Florenz ab und besiegten ihn dann in offner Feldschlacht. Der Druck war freilich da¬ durch noch nicht von TuSeien genommen; nicht lange nach ihrem Siege fanden es die Florentiner geraten, sich freiwillig der Reichsgewalt zu unterwerfen und mit ihr zu Verbunden, und auch Heinrichs VI. schwere Hand bekamen sie noch zu fühlen. Aber dessen Tod bildete „für die italienischen Städte und sür Florenz mehr als für die andern einen Markstein der Entwicklung; der eigent¬ lich mittelalterliche Zeitabschnitt in dessen Geschichte ging an dem Tage zu Ende, an dem ein atemloser Bote, durchs römische Thor sprengend, die Kunde ausrief, daß der gefürchtete Sohn Barbarossas tot, ein lallendes Kind unter der Obhut einer Frau sein Erbe sei." So konnten sie von nun an, nicht eben in gemächlicher Ruhe, aber doch mit der sichern Aussicht auf Erfolg den Gipfel der Kulturhvhe vollends ersteigen. So klein die Städte, Florenz nicht ausgenommen, nach heutigem Begriffen sein mochten, sie waren schon Welt¬ städte. „Seit früher Zeit haftete der italienischen mittelalterlichen Welt nichts von bedrückender Enge und Kleinstädterei an; der Handel weidete den Blick, die Kriegszüge der Deutschen, Verwaltung durch Reichsbeamte, Gesandtschaften an das Reichsoberhaupt, Wallfahrten nach entlegnen Gräberstätten, das Zu¬ strömen von ausländischen Pilgern und Geistlichen, die nach Rom gingen, das alles schuf fortwährende Berührungen mit der Fremde." Wenn das spätere Florenz weiter nichts hervorgebracht hätte als Industrie und Handel, tüchtige Staatsmänner, Schriften über Politik, Geschichtswerke und das moderne Wechsel- und Bankwesen, so ließe sich das aus seiner mittel¬ alterlichen Geschichte erklären. Ein Zustand, wo jeder Einzelne beständig jeden Nerv und Muskel anspannen muß, um sich seiner Haut zu wehren, wo er aber zugleich auch die Freiheit hat, um sich zu schlagen und nicht allein sich zu behaupten, sondern emporzusteigen, eine Freiheit, die nur durch freiwillige Bindung an Geschlechtsgenossen, Nachbarn und Mitinteressenten eingeschränkt wird, ein Zustand, wo jedermann gezwungen ist, seinen Unterhalt durch Arbeit in einem Gewerbe zu verdienen, wo aber auch jeder seinen kleinen Staat mit Grenzboten I 1897 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/649>, abgerufen am 27.09.2024.