Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik Staatsgefühl so lebendig werden, daß er Gut und Blut für den Staat einsetzte, Stein und Scharnhorst sind darüber nicht einen Augenblick im Zweifel Im Nahmen dieser Skizze kann auf die Reorganisation von 1807 bis ") Selbst Besorgnis vor einer Revolution ist von den preußischen Franzosenfreunden den
Volksbewnffnungsplänen entgegengesetzt worden, wie denn Scharnhorst und seine Freunde häufig von Höflingen und "Ordnungsmännern" Jakobiner genannt wurden. Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik Staatsgefühl so lebendig werden, daß er Gut und Blut für den Staat einsetzte, Stein und Scharnhorst sind darüber nicht einen Augenblick im Zweifel Im Nahmen dieser Skizze kann auf die Reorganisation von 1807 bis ") Selbst Besorgnis vor einer Revolution ist von den preußischen Franzosenfreunden den
Volksbewnffnungsplänen entgegengesetzt worden, wie denn Scharnhorst und seine Freunde häufig von Höflingen und „Ordnungsmännern" Jakobiner genannt wurden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0635" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224881"/> <fw type="header" place="top"> Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2106" prev="#ID_2105"> Staatsgefühl so lebendig werden, daß er Gut und Blut für den Staat einsetzte,<lb/> er mußte also auch die Überzeugung gewinnen, daß dieser Staat nach Kräften<lb/> für sein Wohl sorge, er mußte den ihm gebührenden Anteil an der Leitung<lb/> des Staates, an der Negierung erhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2107"> Stein und Scharnhorst sind darüber nicht einen Augenblick im Zweifel<lb/> gewesen, es ist der Angelpunkt aller ihrer Maßregeln. Scharnhorst stellt als<lb/> Hauptziel hin, „die Nation mit der Negierung aufs innigste zu vereinigen,<lb/> gleichsam ein Bündnis zu schließen, das Zutrauen und Liebe zur Verfassung<lb/> erzeugt und der Nation ihre Unabhängigkeit wert macht." Der beste Gehilfe<lb/> der Reformatoren war die siebenjährige Fremdherrschaft, deren maßlosem Druck<lb/> die Regierung wie das Volk rechtlos gegenüberstand. Das Ergebnis ist die<lb/> Geburt des aktiven Staatsbürgertums. Scharnhorst vertritt den Gedanken,<lb/> daß jeder waffenfähige Unterthan verpflichtet sei, eine gesetzlich bestimmte Zeit<lb/> im Nationalheer zu dienen, das Heer wird eine nationale Schule, während es<lb/> bisher eine Ablagerungsstätte für die „Vagabunden, Trunkenbolde, Diebe,<lb/> Taugenichtse und andre Verbrecher ans ganz Deutschland, die die Nation<lb/> verderben, die Armee dem Bürger verhaßt und verächtlich machen und, sobald<lb/> sie marschirt, weglaufen," gewesen war. Natürlich muß darnach alles im Heere<lb/> von Grund aus geändert werden. Damit war die allgemeine Wehrpflicht<lb/> proklamirt; ihrer Einführung stand bis zum Allsbruch des Krieges die Be¬<lb/> schränkung der Armee ans 42000 Mann, die Armut des Staates, die An¬<lb/> wesenheit des argwöhnischen Feindes im Lande und die Abneigung der ge¬<lb/> bildeten Klassen entgegen.*) Erst am 9. Februar 1313 wird Ernst damit<lb/> gemacht, indem alle Exemtionen aufgehoben wurden. Bei dem Erlaß der Land¬<lb/> wehrordnung 1813 ist die Aufstellung der Landwehrtrnppenteile zunächst im<lb/> Sinne von Ersatzbataillonen (Schwamm) gedacht; aus ihnen sind fertige Neu-<lb/> fvrmationen auszuscheiden, wie auch der Ersatz des Heeres zu leisten, während<lb/> sie sich aus dem Lande immer wieder zu ergänzen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2108" next="#ID_2109"> Im Nahmen dieser Skizze kann auf die Reorganisation von 1807 bis<lb/> 1813 nicht näher eingegangen werden, nur ein in den meisten Arbeiten zu<lb/> wenig gewürdigter Punkt soll noch hervorgehoben werden. Es wird immer<lb/> eine Hauptschwierigkeit aller Heereseiurichtungen sein, die Teilnahme und das<lb/> Interesse des wohlhabenden Bürgerstandes lebendig zu erhalten. Eine dauernd<lb/> auf Vermehrung des Erworbueu gerichtete Gesinnung befördert den Egoismus,<lb/> den Materialismus; der Genuß des Erworbueu stärkt den Hang der mensch¬<lb/> lichen Natur zu Ruhe und Wohlleben. Überall ist der liosralisinus vulg^ris<lb/> bereit, auf seine Rechte zu pochen, während er von öffentlichen Pflichten<lb/> möglichst wenig wissen will. Ihm gegenüber fordert der Staats- und Heeres-</p><lb/> <note xml:id="FID_67" place="foot"> ") Selbst Besorgnis vor einer Revolution ist von den preußischen Franzosenfreunden den<lb/> Volksbewnffnungsplänen entgegengesetzt worden, wie denn Scharnhorst und seine Freunde häufig<lb/> von Höflingen und „Ordnungsmännern" Jakobiner genannt wurden.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0635]
Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik
Staatsgefühl so lebendig werden, daß er Gut und Blut für den Staat einsetzte,
er mußte also auch die Überzeugung gewinnen, daß dieser Staat nach Kräften
für sein Wohl sorge, er mußte den ihm gebührenden Anteil an der Leitung
des Staates, an der Negierung erhalten.
Stein und Scharnhorst sind darüber nicht einen Augenblick im Zweifel
gewesen, es ist der Angelpunkt aller ihrer Maßregeln. Scharnhorst stellt als
Hauptziel hin, „die Nation mit der Negierung aufs innigste zu vereinigen,
gleichsam ein Bündnis zu schließen, das Zutrauen und Liebe zur Verfassung
erzeugt und der Nation ihre Unabhängigkeit wert macht." Der beste Gehilfe
der Reformatoren war die siebenjährige Fremdherrschaft, deren maßlosem Druck
die Regierung wie das Volk rechtlos gegenüberstand. Das Ergebnis ist die
Geburt des aktiven Staatsbürgertums. Scharnhorst vertritt den Gedanken,
daß jeder waffenfähige Unterthan verpflichtet sei, eine gesetzlich bestimmte Zeit
im Nationalheer zu dienen, das Heer wird eine nationale Schule, während es
bisher eine Ablagerungsstätte für die „Vagabunden, Trunkenbolde, Diebe,
Taugenichtse und andre Verbrecher ans ganz Deutschland, die die Nation
verderben, die Armee dem Bürger verhaßt und verächtlich machen und, sobald
sie marschirt, weglaufen," gewesen war. Natürlich muß darnach alles im Heere
von Grund aus geändert werden. Damit war die allgemeine Wehrpflicht
proklamirt; ihrer Einführung stand bis zum Allsbruch des Krieges die Be¬
schränkung der Armee ans 42000 Mann, die Armut des Staates, die An¬
wesenheit des argwöhnischen Feindes im Lande und die Abneigung der ge¬
bildeten Klassen entgegen.*) Erst am 9. Februar 1313 wird Ernst damit
gemacht, indem alle Exemtionen aufgehoben wurden. Bei dem Erlaß der Land¬
wehrordnung 1813 ist die Aufstellung der Landwehrtrnppenteile zunächst im
Sinne von Ersatzbataillonen (Schwamm) gedacht; aus ihnen sind fertige Neu-
fvrmationen auszuscheiden, wie auch der Ersatz des Heeres zu leisten, während
sie sich aus dem Lande immer wieder zu ergänzen haben.
Im Nahmen dieser Skizze kann auf die Reorganisation von 1807 bis
1813 nicht näher eingegangen werden, nur ein in den meisten Arbeiten zu
wenig gewürdigter Punkt soll noch hervorgehoben werden. Es wird immer
eine Hauptschwierigkeit aller Heereseiurichtungen sein, die Teilnahme und das
Interesse des wohlhabenden Bürgerstandes lebendig zu erhalten. Eine dauernd
auf Vermehrung des Erworbueu gerichtete Gesinnung befördert den Egoismus,
den Materialismus; der Genuß des Erworbueu stärkt den Hang der mensch¬
lichen Natur zu Ruhe und Wohlleben. Überall ist der liosralisinus vulg^ris
bereit, auf seine Rechte zu pochen, während er von öffentlichen Pflichten
möglichst wenig wissen will. Ihm gegenüber fordert der Staats- und Heeres-
") Selbst Besorgnis vor einer Revolution ist von den preußischen Franzosenfreunden den
Volksbewnffnungsplänen entgegengesetzt worden, wie denn Scharnhorst und seine Freunde häufig
von Höflingen und „Ordnungsmännern" Jakobiner genannt wurden.
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