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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

hängt ganz zweifellos mit dem Militärdienst zusammen. Die Festsetzung der
Frohnden und der Bestiftnngszwang sind hier als die wichtigsten Maßregeln
zu nennen: der Bauernhof darf nicht mehr eingezogen werden; wo ein
Bauer gesessen hat, muß wieder ein Bauer hinkommen. Das Verhältnis des
Bauern zum Rittergutsbesitzer war wesentlich ein Arbeitsverhältnis, der Guts¬
besitzer oder Verwalter suchte seine Arbeiter der Aushebung und Werbung zu
entziehen, sowohl um ihre Arbeitskraft nicht zu verlieren, als auch weil der
Soldat ein unbequemes Selbstgefühl erwarb, das sich mit der Fesselung an
die Scholle und den Anforderungen des Herrendienstes nicht recht vertrug;
so konnte Friedrich Wilhelm I. wirklich nur "überflüssige Bauernkerls" für
die Armee haben, aus diesem Grunde sorgte er wie sein Nachfolger dafür,
daß die vorhandne Bauernmenge nicht vermindert, sondern wo sich nnr die
Gelegenheit dazu bot, vermehrt wurde.

Wie auf dem Gebiete der Armee, so schreitet auf dem gesamten staatlichen
Gebiete die zentralisirende Richtung des neuen Brandenburg-Preußens mit
znhester Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit vorwärts, bis Friedrich Wilhelm I.
1723 mit der Errichtung des Generalobersinanz-, Kriegs- und Domänen¬
direktoriums der Organisation den Schlußstein einfügt. Der Staat hat in dem
Jahrhundert von 1640 bis 1740 einen ungeheuern Fortschritt gemacht. Noch
beim Tode des Großen Kurfürsten gab es gesetzlich keine stehende Armee, sondern
die Truppen, die man seit 1660 nicht mehr entlassen hatte, wurde der kriege¬
rischen Zeitläufte halber vorläufig bei einander gehalten; 1740 hinterließ
Friedrich Wilhelm I. seinem Sohn 83000 Mann, mit denen dieser Österreich
angriff und auch von dem vereinten Kontinent nicht niedergeworfen werden
konnte.

Spät, langsam und mit vielen Rückschlägen hat der Gedanke wieder
Boden gefaßt, daß die Einwohner des Staates auch seine natürlichen Ver¬
teidiger sind, daß der Staat auf ihre Kraft einen berechtigten Anspruch hat.
Er mußte dazu erst im eigentlichen Sinne volkstümlich werden; bis dahin durfte
die Regierung nur bescheidne Ansprüche in dieser Richtung machen. Diese
nahmen ihren Ausgang von den Übelständen und Schwierigkeiten der inlän¬
dischen Werbung. Statt direkter Werbungen durch die Werbcoffiziere der
Truppenteile selbst werden mitunter ständische oder administrative Einheiten
(die Kreise und Städte) mit Stellung von so und so viel Rekruten beauf¬
tragt; damit sich die Werber nicht gegenseitig das Geschäft verteuern und ver¬
derben, werden bestimmte Bezirke bestimmten Truppenteilen zugewiesen. Die
Domäucubaueru als Unterthanen des Staatsoberhauptes werden am leich¬
testen der Staatspflicht unterworfen; dann greift der Staat weiter: Friedrich
Wilhelm I. in seiner durchgreifenden Energie scheut sich nicht, in seinem
Kantonsystem den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht auszusprechen, frei¬
lich ohne ihn durchführen zu können oder zu wollen. Aber der Grundsatz


Grenzboten I 1897 7!)
Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

hängt ganz zweifellos mit dem Militärdienst zusammen. Die Festsetzung der
Frohnden und der Bestiftnngszwang sind hier als die wichtigsten Maßregeln
zu nennen: der Bauernhof darf nicht mehr eingezogen werden; wo ein
Bauer gesessen hat, muß wieder ein Bauer hinkommen. Das Verhältnis des
Bauern zum Rittergutsbesitzer war wesentlich ein Arbeitsverhältnis, der Guts¬
besitzer oder Verwalter suchte seine Arbeiter der Aushebung und Werbung zu
entziehen, sowohl um ihre Arbeitskraft nicht zu verlieren, als auch weil der
Soldat ein unbequemes Selbstgefühl erwarb, das sich mit der Fesselung an
die Scholle und den Anforderungen des Herrendienstes nicht recht vertrug;
so konnte Friedrich Wilhelm I. wirklich nur „überflüssige Bauernkerls" für
die Armee haben, aus diesem Grunde sorgte er wie sein Nachfolger dafür,
daß die vorhandne Bauernmenge nicht vermindert, sondern wo sich nnr die
Gelegenheit dazu bot, vermehrt wurde.

Wie auf dem Gebiete der Armee, so schreitet auf dem gesamten staatlichen
Gebiete die zentralisirende Richtung des neuen Brandenburg-Preußens mit
znhester Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit vorwärts, bis Friedrich Wilhelm I.
1723 mit der Errichtung des Generalobersinanz-, Kriegs- und Domänen¬
direktoriums der Organisation den Schlußstein einfügt. Der Staat hat in dem
Jahrhundert von 1640 bis 1740 einen ungeheuern Fortschritt gemacht. Noch
beim Tode des Großen Kurfürsten gab es gesetzlich keine stehende Armee, sondern
die Truppen, die man seit 1660 nicht mehr entlassen hatte, wurde der kriege¬
rischen Zeitläufte halber vorläufig bei einander gehalten; 1740 hinterließ
Friedrich Wilhelm I. seinem Sohn 83000 Mann, mit denen dieser Österreich
angriff und auch von dem vereinten Kontinent nicht niedergeworfen werden
konnte.

Spät, langsam und mit vielen Rückschlägen hat der Gedanke wieder
Boden gefaßt, daß die Einwohner des Staates auch seine natürlichen Ver¬
teidiger sind, daß der Staat auf ihre Kraft einen berechtigten Anspruch hat.
Er mußte dazu erst im eigentlichen Sinne volkstümlich werden; bis dahin durfte
die Regierung nur bescheidne Ansprüche in dieser Richtung machen. Diese
nahmen ihren Ausgang von den Übelständen und Schwierigkeiten der inlän¬
dischen Werbung. Statt direkter Werbungen durch die Werbcoffiziere der
Truppenteile selbst werden mitunter ständische oder administrative Einheiten
(die Kreise und Städte) mit Stellung von so und so viel Rekruten beauf¬
tragt; damit sich die Werber nicht gegenseitig das Geschäft verteuern und ver¬
derben, werden bestimmte Bezirke bestimmten Truppenteilen zugewiesen. Die
Domäucubaueru als Unterthanen des Staatsoberhauptes werden am leich¬
testen der Staatspflicht unterworfen; dann greift der Staat weiter: Friedrich
Wilhelm I. in seiner durchgreifenden Energie scheut sich nicht, in seinem
Kantonsystem den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht auszusprechen, frei¬
lich ohne ihn durchführen zu können oder zu wollen. Aber der Grundsatz


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[0633] Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik hängt ganz zweifellos mit dem Militärdienst zusammen. Die Festsetzung der Frohnden und der Bestiftnngszwang sind hier als die wichtigsten Maßregeln zu nennen: der Bauernhof darf nicht mehr eingezogen werden; wo ein Bauer gesessen hat, muß wieder ein Bauer hinkommen. Das Verhältnis des Bauern zum Rittergutsbesitzer war wesentlich ein Arbeitsverhältnis, der Guts¬ besitzer oder Verwalter suchte seine Arbeiter der Aushebung und Werbung zu entziehen, sowohl um ihre Arbeitskraft nicht zu verlieren, als auch weil der Soldat ein unbequemes Selbstgefühl erwarb, das sich mit der Fesselung an die Scholle und den Anforderungen des Herrendienstes nicht recht vertrug; so konnte Friedrich Wilhelm I. wirklich nur „überflüssige Bauernkerls" für die Armee haben, aus diesem Grunde sorgte er wie sein Nachfolger dafür, daß die vorhandne Bauernmenge nicht vermindert, sondern wo sich nnr die Gelegenheit dazu bot, vermehrt wurde. Wie auf dem Gebiete der Armee, so schreitet auf dem gesamten staatlichen Gebiete die zentralisirende Richtung des neuen Brandenburg-Preußens mit znhester Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit vorwärts, bis Friedrich Wilhelm I. 1723 mit der Errichtung des Generalobersinanz-, Kriegs- und Domänen¬ direktoriums der Organisation den Schlußstein einfügt. Der Staat hat in dem Jahrhundert von 1640 bis 1740 einen ungeheuern Fortschritt gemacht. Noch beim Tode des Großen Kurfürsten gab es gesetzlich keine stehende Armee, sondern die Truppen, die man seit 1660 nicht mehr entlassen hatte, wurde der kriege¬ rischen Zeitläufte halber vorläufig bei einander gehalten; 1740 hinterließ Friedrich Wilhelm I. seinem Sohn 83000 Mann, mit denen dieser Österreich angriff und auch von dem vereinten Kontinent nicht niedergeworfen werden konnte. Spät, langsam und mit vielen Rückschlägen hat der Gedanke wieder Boden gefaßt, daß die Einwohner des Staates auch seine natürlichen Ver¬ teidiger sind, daß der Staat auf ihre Kraft einen berechtigten Anspruch hat. Er mußte dazu erst im eigentlichen Sinne volkstümlich werden; bis dahin durfte die Regierung nur bescheidne Ansprüche in dieser Richtung machen. Diese nahmen ihren Ausgang von den Übelständen und Schwierigkeiten der inlän¬ dischen Werbung. Statt direkter Werbungen durch die Werbcoffiziere der Truppenteile selbst werden mitunter ständische oder administrative Einheiten (die Kreise und Städte) mit Stellung von so und so viel Rekruten beauf¬ tragt; damit sich die Werber nicht gegenseitig das Geschäft verteuern und ver¬ derben, werden bestimmte Bezirke bestimmten Truppenteilen zugewiesen. Die Domäucubaueru als Unterthanen des Staatsoberhauptes werden am leich¬ testen der Staatspflicht unterworfen; dann greift der Staat weiter: Friedrich Wilhelm I. in seiner durchgreifenden Energie scheut sich nicht, in seinem Kantonsystem den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht auszusprechen, frei¬ lich ohne ihn durchführen zu können oder zu wollen. Aber der Grundsatz Grenzboten I 1897 7!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/633>, abgerufen am 27.09.2024.