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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Katholizismus im Staatsdienst

und Feuerbach, Lobeck, Jakob Grimm, Fr. Aug. Wolf und Wilh. von Hum¬
boldt, alle diese hervorragenden Geister in Philosophie, Dichtung, Kunst,
Sprach- und andern Wissenschaften, die im vorigen Jahrhundert und in den
ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts für das geistige Leben tonangebend
waren, waren Protestanten. Man kann dem klerikalen Geschichtsschreiber
Janssen zugeben, daß die Dichtung und Wissenschaft jener Männer vielfach
unkirchlich war; aber der Katholizismus hat gleichbedeutende Männer nicht
hervorgebracht. Übrigens konnte die von Freiherr von Hertling beklagte Ver¬
drängung der Katholiken aus dem wissenschaftlichen und geistigen Leben doch
nicht mit einem Schlage bei Beginn des Jahrhunderts, sondern nur ganz all¬
mählich etwa im Lauf der Jahrzehnte vor sich gegangen sein. Dann ist es
aber um so auffälliger, daß Männer wie Virchow, Koch, Mommsen, Helm-
holtz, Dubois-Reymond, deren geistige Thätigkeit ihrem Beginn nach in die
ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts fällt, Bismarcks und Moltkes gar nicht
zu gedenken, nicht auch aus deu Kreisen der katholischen Bevölkerung hervor¬
gegangen sind. Am wenigsten überzeugend ist es, wie Freiherr von Hertling
das Unterliegen der Katholiken in Baiern begründet: in diesem ursprünglich rein
katholischen Staat sollen sie ans dem Reich der Wissenschaften dadurch verdrängt
worden sein, daß zu Anfang des Jahrhunderts etwa ein Dutzend Reichsstädte
von protestantischen Stadtregiment und protestantischer Bevölkerung, die da¬
mals an Vaiern fielen, allmählich eine Sippeuherrschaft von Vettern und
Basen errichtet hätten, durch die sie die übrigen fünf Siebentel der bairischen
Bevölkerung wissenschaftlich und geistig tot gemacht Hütten!

Es steht also mir die vom Freiherrn von Hertling zugestaudne Thatsache
fest, daß sich die Katholiken, was wissenschaftliche und überhaupt geistige
Leistungen betrifft, von den Protestanten haben überflügeln lassen, daß sie
also minder regsam und minder leistungsfähig sind als die Protestanten. Ist
es nun aber selbstverständlich, daß die Staatsregierung in die höchsten Ämter
doch mir Beamte beruft, von denen die besten Leistungen zu erwarten sind,
so ist es doch auch begreiflich, daß die Katholiken nicht in der ihrem Ver¬
hältnis zur Gesamtbevölkerung entsprechenden Zahl in hohe und höchste Ämter
berufen werde".

Hierzu kommt nun aber ein weiterer Grund, der unmittelbar mit dem
Katholizismus als solchem zusammenhängt. Während es zahlreiche protestan¬
tische Landes- und Staatskirchen giebt, giebt es nur eine einheitliche katholische
Kirche, die ihrem innersten Wesen nach mit der Staatenbildung nicht nur nichts
zu thun hat, sondern im Gegenteil mit dem heutigen Staat seit Jahrhunderten
mehr oder minder auf Kriegsfuß steht, weil die Kirche ein Bestimmungsrecht
in Anspruch nimmt auf Gebieten, die der Staat im Besitz hat, und auf denen
er eine Herrschaft oder auch nur eine Mitherrschaft der Kirche unmöglich
dulden kann. Das gilt besonders von der Gerichtsbarkeit und der Gesetzgebung


Der Katholizismus im Staatsdienst

und Feuerbach, Lobeck, Jakob Grimm, Fr. Aug. Wolf und Wilh. von Hum¬
boldt, alle diese hervorragenden Geister in Philosophie, Dichtung, Kunst,
Sprach- und andern Wissenschaften, die im vorigen Jahrhundert und in den
ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts für das geistige Leben tonangebend
waren, waren Protestanten. Man kann dem klerikalen Geschichtsschreiber
Janssen zugeben, daß die Dichtung und Wissenschaft jener Männer vielfach
unkirchlich war; aber der Katholizismus hat gleichbedeutende Männer nicht
hervorgebracht. Übrigens konnte die von Freiherr von Hertling beklagte Ver¬
drängung der Katholiken aus dem wissenschaftlichen und geistigen Leben doch
nicht mit einem Schlage bei Beginn des Jahrhunderts, sondern nur ganz all¬
mählich etwa im Lauf der Jahrzehnte vor sich gegangen sein. Dann ist es
aber um so auffälliger, daß Männer wie Virchow, Koch, Mommsen, Helm-
holtz, Dubois-Reymond, deren geistige Thätigkeit ihrem Beginn nach in die
ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts fällt, Bismarcks und Moltkes gar nicht
zu gedenken, nicht auch aus deu Kreisen der katholischen Bevölkerung hervor¬
gegangen sind. Am wenigsten überzeugend ist es, wie Freiherr von Hertling
das Unterliegen der Katholiken in Baiern begründet: in diesem ursprünglich rein
katholischen Staat sollen sie ans dem Reich der Wissenschaften dadurch verdrängt
worden sein, daß zu Anfang des Jahrhunderts etwa ein Dutzend Reichsstädte
von protestantischen Stadtregiment und protestantischer Bevölkerung, die da¬
mals an Vaiern fielen, allmählich eine Sippeuherrschaft von Vettern und
Basen errichtet hätten, durch die sie die übrigen fünf Siebentel der bairischen
Bevölkerung wissenschaftlich und geistig tot gemacht Hütten!

Es steht also mir die vom Freiherrn von Hertling zugestaudne Thatsache
fest, daß sich die Katholiken, was wissenschaftliche und überhaupt geistige
Leistungen betrifft, von den Protestanten haben überflügeln lassen, daß sie
also minder regsam und minder leistungsfähig sind als die Protestanten. Ist
es nun aber selbstverständlich, daß die Staatsregierung in die höchsten Ämter
doch mir Beamte beruft, von denen die besten Leistungen zu erwarten sind,
so ist es doch auch begreiflich, daß die Katholiken nicht in der ihrem Ver¬
hältnis zur Gesamtbevölkerung entsprechenden Zahl in hohe und höchste Ämter
berufen werde».

Hierzu kommt nun aber ein weiterer Grund, der unmittelbar mit dem
Katholizismus als solchem zusammenhängt. Während es zahlreiche protestan¬
tische Landes- und Staatskirchen giebt, giebt es nur eine einheitliche katholische
Kirche, die ihrem innersten Wesen nach mit der Staatenbildung nicht nur nichts
zu thun hat, sondern im Gegenteil mit dem heutigen Staat seit Jahrhunderten
mehr oder minder auf Kriegsfuß steht, weil die Kirche ein Bestimmungsrecht
in Anspruch nimmt auf Gebieten, die der Staat im Besitz hat, und auf denen
er eine Herrschaft oder auch nur eine Mitherrschaft der Kirche unmöglich
dulden kann. Das gilt besonders von der Gerichtsbarkeit und der Gesetzgebung


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[0628] Der Katholizismus im Staatsdienst und Feuerbach, Lobeck, Jakob Grimm, Fr. Aug. Wolf und Wilh. von Hum¬ boldt, alle diese hervorragenden Geister in Philosophie, Dichtung, Kunst, Sprach- und andern Wissenschaften, die im vorigen Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts für das geistige Leben tonangebend waren, waren Protestanten. Man kann dem klerikalen Geschichtsschreiber Janssen zugeben, daß die Dichtung und Wissenschaft jener Männer vielfach unkirchlich war; aber der Katholizismus hat gleichbedeutende Männer nicht hervorgebracht. Übrigens konnte die von Freiherr von Hertling beklagte Ver¬ drängung der Katholiken aus dem wissenschaftlichen und geistigen Leben doch nicht mit einem Schlage bei Beginn des Jahrhunderts, sondern nur ganz all¬ mählich etwa im Lauf der Jahrzehnte vor sich gegangen sein. Dann ist es aber um so auffälliger, daß Männer wie Virchow, Koch, Mommsen, Helm- holtz, Dubois-Reymond, deren geistige Thätigkeit ihrem Beginn nach in die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts fällt, Bismarcks und Moltkes gar nicht zu gedenken, nicht auch aus deu Kreisen der katholischen Bevölkerung hervor¬ gegangen sind. Am wenigsten überzeugend ist es, wie Freiherr von Hertling das Unterliegen der Katholiken in Baiern begründet: in diesem ursprünglich rein katholischen Staat sollen sie ans dem Reich der Wissenschaften dadurch verdrängt worden sein, daß zu Anfang des Jahrhunderts etwa ein Dutzend Reichsstädte von protestantischen Stadtregiment und protestantischer Bevölkerung, die da¬ mals an Vaiern fielen, allmählich eine Sippeuherrschaft von Vettern und Basen errichtet hätten, durch die sie die übrigen fünf Siebentel der bairischen Bevölkerung wissenschaftlich und geistig tot gemacht Hütten! Es steht also mir die vom Freiherrn von Hertling zugestaudne Thatsache fest, daß sich die Katholiken, was wissenschaftliche und überhaupt geistige Leistungen betrifft, von den Protestanten haben überflügeln lassen, daß sie also minder regsam und minder leistungsfähig sind als die Protestanten. Ist es nun aber selbstverständlich, daß die Staatsregierung in die höchsten Ämter doch mir Beamte beruft, von denen die besten Leistungen zu erwarten sind, so ist es doch auch begreiflich, daß die Katholiken nicht in der ihrem Ver¬ hältnis zur Gesamtbevölkerung entsprechenden Zahl in hohe und höchste Ämter berufen werde». Hierzu kommt nun aber ein weiterer Grund, der unmittelbar mit dem Katholizismus als solchem zusammenhängt. Während es zahlreiche protestan¬ tische Landes- und Staatskirchen giebt, giebt es nur eine einheitliche katholische Kirche, die ihrem innersten Wesen nach mit der Staatenbildung nicht nur nichts zu thun hat, sondern im Gegenteil mit dem heutigen Staat seit Jahrhunderten mehr oder minder auf Kriegsfuß steht, weil die Kirche ein Bestimmungsrecht in Anspruch nimmt auf Gebieten, die der Staat im Besitz hat, und auf denen er eine Herrschaft oder auch nur eine Mitherrschaft der Kirche unmöglich dulden kann. Das gilt besonders von der Gerichtsbarkeit und der Gesetzgebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/628>, abgerufen am 27.09.2024.