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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

Der Mensch ist Gott! insofern das zweite Substantivum nun doch wieder etwas
Größeres ausdrücken soll als das erste.

Keller hatte eine tapfre Freundin, mit der er bis an ihren Tod in Brief¬
wechsel stand, die einzige, wie es scheint, die bisweilen Religiöses ihm
gegenüber berührte. Das war Fräulein Marie Melos, eine Weimarische
Professorstochter, die Schwester von Frau Jda Freiligrath, nur ein Jahr
jünger als er und an demselben Tage geboren. Er hatte ihr einst witzelnd
zum Geburtstage geschrieben (18. Juli 1880), sie solle sich ein Geschenk auf
seine Rechnung beim Herrgott bestellen und ihm sagen, er käme gelegentlich
vorbei, um zu zahlen. Sie antwortete: "Was die Extrabestellung beim lieben
Herrgott betrifft, so läßt er Ihnen sagen, daß er sich nicht darauf einließe,
wenn Sie nnr so gelegentlich bei ihm vorüberkommen wollten. Sie möchten
nur hübsch fleißiger kommen, da ließe sich schon eher ein Wort sprechen; denn
er hätte überhaupt schon längst auf Ihr Kommen gewartet." Sie hatte auch
den Mut, vom Standpunkt des Christen am Ausgang der Regimen-Geschichte
im "Sinngedicht" Kritik zu üben und ihm zuschreiben: "Dichter, welche nicht
zugleich gläubige Christen sind, sollten dies (das religiöse) Gebiet vermeiden.
Regime betet die ganze Nacht hindurch, ehe sie die größte Sünde begeht, mit
vollem Bewußtsein und reiflicher Überlegung sich das Leben zu nehmen. Das
ist für mich undenkbar. Auch Ihr "Verlornes Lachen" hat eine solche
Klippe, weil Sie eben das wahre Christentum nicht kennen oder nicht kennen
wollen."

An der politischen Entwicklung seines Landes nahm natürlich Keller regen
Anteil, doch zog er sich immer mehr und mehr von den Jmmernnzufriednen
und Nörglern der äußersten Linken zurück. Anfangs hielten ihn die Extremsten
noch für einen der Ihrigen, und er kam auch in ihre Versammlungen. Aber
er fand bald ein Haar darin und riß sich in seiner oft recht groben Art von
ihnen los. Der Vorgang, den er selbst erzählt, kann allgemeineres Interesse
beanspruchen, denn er giebt ein kleines Kulturbild. Es war am 22. Sep¬
tember 1861. Keller war in den "Schwan" zu einer großen Gesellschaft ge¬
laden. "Er fand da viel extravagantes Volk versammelt. Der große sozialistische
Agitator Ferdinand Lassalle war der Gefeierte. An seiner Seite erschien die
Gräfin Hatzfeld in roter Bluse und weißer Krinoline. Herwegh, der einige
Wochen später einen Ruf auf den Lehrstuhl für Litteraturgeschichte nach Neapel
erhielt, seine Frau und sein Sohn, Stein von Gumbinnen und andre waren
anwesend. Oberst Rüstow trug als Garibaldianer ebenfalls die rote Bluse.
Auf dem Sofa lag eine russische Nihilistin, der die Herren eifrig den Hof
machten. Ludmilla Ussing sollte den neuen Herrn Staatsschreiber Keller unter
ihre Fittiche nehmen. Nach dem Thee begann ein Gelage, das bis in den
hellen Morgen hinein dauerte, wobei die Frauen dem Champagner nicht lässig
zusprachen und dicke Havannacigarren rauchten. Keller fühlte sich aufs äußerste


Grenzboten I 1897 <iJ
Gottfried Keller und seine Novellen

Der Mensch ist Gott! insofern das zweite Substantivum nun doch wieder etwas
Größeres ausdrücken soll als das erste.

Keller hatte eine tapfre Freundin, mit der er bis an ihren Tod in Brief¬
wechsel stand, die einzige, wie es scheint, die bisweilen Religiöses ihm
gegenüber berührte. Das war Fräulein Marie Melos, eine Weimarische
Professorstochter, die Schwester von Frau Jda Freiligrath, nur ein Jahr
jünger als er und an demselben Tage geboren. Er hatte ihr einst witzelnd
zum Geburtstage geschrieben (18. Juli 1880), sie solle sich ein Geschenk auf
seine Rechnung beim Herrgott bestellen und ihm sagen, er käme gelegentlich
vorbei, um zu zahlen. Sie antwortete: „Was die Extrabestellung beim lieben
Herrgott betrifft, so läßt er Ihnen sagen, daß er sich nicht darauf einließe,
wenn Sie nnr so gelegentlich bei ihm vorüberkommen wollten. Sie möchten
nur hübsch fleißiger kommen, da ließe sich schon eher ein Wort sprechen; denn
er hätte überhaupt schon längst auf Ihr Kommen gewartet." Sie hatte auch
den Mut, vom Standpunkt des Christen am Ausgang der Regimen-Geschichte
im „Sinngedicht" Kritik zu üben und ihm zuschreiben: „Dichter, welche nicht
zugleich gläubige Christen sind, sollten dies (das religiöse) Gebiet vermeiden.
Regime betet die ganze Nacht hindurch, ehe sie die größte Sünde begeht, mit
vollem Bewußtsein und reiflicher Überlegung sich das Leben zu nehmen. Das
ist für mich undenkbar. Auch Ihr »Verlornes Lachen« hat eine solche
Klippe, weil Sie eben das wahre Christentum nicht kennen oder nicht kennen
wollen."

An der politischen Entwicklung seines Landes nahm natürlich Keller regen
Anteil, doch zog er sich immer mehr und mehr von den Jmmernnzufriednen
und Nörglern der äußersten Linken zurück. Anfangs hielten ihn die Extremsten
noch für einen der Ihrigen, und er kam auch in ihre Versammlungen. Aber
er fand bald ein Haar darin und riß sich in seiner oft recht groben Art von
ihnen los. Der Vorgang, den er selbst erzählt, kann allgemeineres Interesse
beanspruchen, denn er giebt ein kleines Kulturbild. Es war am 22. Sep¬
tember 1861. Keller war in den „Schwan" zu einer großen Gesellschaft ge¬
laden. „Er fand da viel extravagantes Volk versammelt. Der große sozialistische
Agitator Ferdinand Lassalle war der Gefeierte. An seiner Seite erschien die
Gräfin Hatzfeld in roter Bluse und weißer Krinoline. Herwegh, der einige
Wochen später einen Ruf auf den Lehrstuhl für Litteraturgeschichte nach Neapel
erhielt, seine Frau und sein Sohn, Stein von Gumbinnen und andre waren
anwesend. Oberst Rüstow trug als Garibaldianer ebenfalls die rote Bluse.
Auf dem Sofa lag eine russische Nihilistin, der die Herren eifrig den Hof
machten. Ludmilla Ussing sollte den neuen Herrn Staatsschreiber Keller unter
ihre Fittiche nehmen. Nach dem Thee begann ein Gelage, das bis in den
hellen Morgen hinein dauerte, wobei die Frauen dem Champagner nicht lässig
zusprachen und dicke Havannacigarren rauchten. Keller fühlte sich aufs äußerste


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[0505] Gottfried Keller und seine Novellen Der Mensch ist Gott! insofern das zweite Substantivum nun doch wieder etwas Größeres ausdrücken soll als das erste. Keller hatte eine tapfre Freundin, mit der er bis an ihren Tod in Brief¬ wechsel stand, die einzige, wie es scheint, die bisweilen Religiöses ihm gegenüber berührte. Das war Fräulein Marie Melos, eine Weimarische Professorstochter, die Schwester von Frau Jda Freiligrath, nur ein Jahr jünger als er und an demselben Tage geboren. Er hatte ihr einst witzelnd zum Geburtstage geschrieben (18. Juli 1880), sie solle sich ein Geschenk auf seine Rechnung beim Herrgott bestellen und ihm sagen, er käme gelegentlich vorbei, um zu zahlen. Sie antwortete: „Was die Extrabestellung beim lieben Herrgott betrifft, so läßt er Ihnen sagen, daß er sich nicht darauf einließe, wenn Sie nnr so gelegentlich bei ihm vorüberkommen wollten. Sie möchten nur hübsch fleißiger kommen, da ließe sich schon eher ein Wort sprechen; denn er hätte überhaupt schon längst auf Ihr Kommen gewartet." Sie hatte auch den Mut, vom Standpunkt des Christen am Ausgang der Regimen-Geschichte im „Sinngedicht" Kritik zu üben und ihm zuschreiben: „Dichter, welche nicht zugleich gläubige Christen sind, sollten dies (das religiöse) Gebiet vermeiden. Regime betet die ganze Nacht hindurch, ehe sie die größte Sünde begeht, mit vollem Bewußtsein und reiflicher Überlegung sich das Leben zu nehmen. Das ist für mich undenkbar. Auch Ihr »Verlornes Lachen« hat eine solche Klippe, weil Sie eben das wahre Christentum nicht kennen oder nicht kennen wollen." An der politischen Entwicklung seines Landes nahm natürlich Keller regen Anteil, doch zog er sich immer mehr und mehr von den Jmmernnzufriednen und Nörglern der äußersten Linken zurück. Anfangs hielten ihn die Extremsten noch für einen der Ihrigen, und er kam auch in ihre Versammlungen. Aber er fand bald ein Haar darin und riß sich in seiner oft recht groben Art von ihnen los. Der Vorgang, den er selbst erzählt, kann allgemeineres Interesse beanspruchen, denn er giebt ein kleines Kulturbild. Es war am 22. Sep¬ tember 1861. Keller war in den „Schwan" zu einer großen Gesellschaft ge¬ laden. „Er fand da viel extravagantes Volk versammelt. Der große sozialistische Agitator Ferdinand Lassalle war der Gefeierte. An seiner Seite erschien die Gräfin Hatzfeld in roter Bluse und weißer Krinoline. Herwegh, der einige Wochen später einen Ruf auf den Lehrstuhl für Litteraturgeschichte nach Neapel erhielt, seine Frau und sein Sohn, Stein von Gumbinnen und andre waren anwesend. Oberst Rüstow trug als Garibaldianer ebenfalls die rote Bluse. Auf dem Sofa lag eine russische Nihilistin, der die Herren eifrig den Hof machten. Ludmilla Ussing sollte den neuen Herrn Staatsschreiber Keller unter ihre Fittiche nehmen. Nach dem Thee begann ein Gelage, das bis in den hellen Morgen hinein dauerte, wobei die Frauen dem Champagner nicht lässig zusprachen und dicke Havannacigarren rauchten. Keller fühlte sich aufs äußerste Grenzboten I 1897 <iJ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/505>, abgerufen am 27.09.2024.