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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

zunehmen. Denn es ist augenscheinlich, daß dort die Knaben die angemessenste
Anleitung finden werden, mit Anstand durch die Schuljahre hindurchzukommen
und zu einem befriedigenden Abschluß ihrer Gymnasial- oder sonstigen Studien
zu gelangen. Es ist aber fraglich, ob man dieses Interesse in den Vordergrund
stellen darf. Noch fraglicher ist es, ob man der Gesamtheit der Lehrerfamilieu
damit einen Dienst erweist, wenn man sie durch geringe Besoldung des Familien¬
hauptes zu dieser Beschäftigung zu drängen sucht. Denn mit dem Pensions¬
wesen hängt eine Menge von Unannehmlichkeiten zusammen. Handelte es sich
bloß um die Erziehung, so wäre es ja sehr schön, das Haus voll strebsamer
junger Leute zu haben. Aber leider kommt auch das Materielle hinzu, die
Verpflegung und die Unterbringung in geeigneten Räume", und hier kann
man sehr häufig die Beobachtung machen, daß die "Werdenden" durchaus nicht
immer dankbar sind, wenn sie auch alleu Grund dazu hätten. Dazu kommt,
daß sich bei unsern immer mehr sich ausbildenden Verkehrsverhältnissen die
Zahl der Pension suchenden Schüler immer mehr vermindert; vor allem derer,
die aus guter Familie stammen, und die das zu zahlen imstande sind, was
eine Lehrerfamilic fordern muß, wenn sie einen bescheidnen Gewinn erzielen
will. Daß in diesem Punkte die letzten Jahre überall einen Rückgang zeigen,
ist wohlbekannt. Fast überall zahlte man vor fünfundzwanzig Jahren dieselben,
ja höhere Pensionspreise als jetzt, und wie haben sich seitdem die sonstigen
Preisverhältnisse geändert! Auch die starke Konkurrenz ist an diesem Still¬
stand der Preise schuld. Häufig befassen sich Witwen mit diesem Erwerb,
auch Geistliche, die große Dienstwohnungen haben, bieten aus diesem sichern
Besitz heraus billige und gute Pensionen, die der Lehrer deshalb nicht bieten
kann, weil er mit der Wohnungsmiete und seiner amtlichen Verantwortung
ein weit größeres Risiko trägt. Deshalb besteht in weiten Kreisen der höhern
Lehrerschaft eine tiefe Abneigung gegen diese Art des Nebenerwerbs. Die Zahl
der Pensionäre und der Pension haltenden Lehrer geht ständig zurück. Es
ist aber auch durchaus nicht allen Lehrerfamilien möglich, selbst wenn sie
wollten und geeignete junge Leute fänden, ein Pensionat zu halten. Denn
zu einer ordentlichen Pension gehört eine tüchtige, kerngesunde Hausfrau, die
ihre Aufgabe ebenso gut zu erfüllen weiß, wie der Mann die seinige. Aber
abgesehen davon, daß sich nicht jede junge Frau dazu eignet, eine große Wirt¬
schaft zu leiten, ist es auch nicht jederzeit erwünscht, halberwachsene Zöglinge
im Hause zu haben. Sind die eignen Kinder noch klein oder sehr pflegebedürftig,
so müssen in einer Pension von drei bis vier Schülern entweder diese oder die
eignen Kinder zu kurz kommen. Noch weniger passend will das Pensionhalten
erscheinen, wenn in einer Lehrerfamilie die Töchter heranwachsen.

Die Möglichkeit, Pensionäre zu halten, ist also, wie man sieht, für die
Lehrerfamilien nicht nur uicht allgemein, sondern im Gegenteil sehr eingeengt.
Kränkliche oder auch nur schwächliche Leute können es überhaupt nicht, und


Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

zunehmen. Denn es ist augenscheinlich, daß dort die Knaben die angemessenste
Anleitung finden werden, mit Anstand durch die Schuljahre hindurchzukommen
und zu einem befriedigenden Abschluß ihrer Gymnasial- oder sonstigen Studien
zu gelangen. Es ist aber fraglich, ob man dieses Interesse in den Vordergrund
stellen darf. Noch fraglicher ist es, ob man der Gesamtheit der Lehrerfamilieu
damit einen Dienst erweist, wenn man sie durch geringe Besoldung des Familien¬
hauptes zu dieser Beschäftigung zu drängen sucht. Denn mit dem Pensions¬
wesen hängt eine Menge von Unannehmlichkeiten zusammen. Handelte es sich
bloß um die Erziehung, so wäre es ja sehr schön, das Haus voll strebsamer
junger Leute zu haben. Aber leider kommt auch das Materielle hinzu, die
Verpflegung und die Unterbringung in geeigneten Räume», und hier kann
man sehr häufig die Beobachtung machen, daß die „Werdenden" durchaus nicht
immer dankbar sind, wenn sie auch alleu Grund dazu hätten. Dazu kommt,
daß sich bei unsern immer mehr sich ausbildenden Verkehrsverhältnissen die
Zahl der Pension suchenden Schüler immer mehr vermindert; vor allem derer,
die aus guter Familie stammen, und die das zu zahlen imstande sind, was
eine Lehrerfamilic fordern muß, wenn sie einen bescheidnen Gewinn erzielen
will. Daß in diesem Punkte die letzten Jahre überall einen Rückgang zeigen,
ist wohlbekannt. Fast überall zahlte man vor fünfundzwanzig Jahren dieselben,
ja höhere Pensionspreise als jetzt, und wie haben sich seitdem die sonstigen
Preisverhältnisse geändert! Auch die starke Konkurrenz ist an diesem Still¬
stand der Preise schuld. Häufig befassen sich Witwen mit diesem Erwerb,
auch Geistliche, die große Dienstwohnungen haben, bieten aus diesem sichern
Besitz heraus billige und gute Pensionen, die der Lehrer deshalb nicht bieten
kann, weil er mit der Wohnungsmiete und seiner amtlichen Verantwortung
ein weit größeres Risiko trägt. Deshalb besteht in weiten Kreisen der höhern
Lehrerschaft eine tiefe Abneigung gegen diese Art des Nebenerwerbs. Die Zahl
der Pensionäre und der Pension haltenden Lehrer geht ständig zurück. Es
ist aber auch durchaus nicht allen Lehrerfamilien möglich, selbst wenn sie
wollten und geeignete junge Leute fänden, ein Pensionat zu halten. Denn
zu einer ordentlichen Pension gehört eine tüchtige, kerngesunde Hausfrau, die
ihre Aufgabe ebenso gut zu erfüllen weiß, wie der Mann die seinige. Aber
abgesehen davon, daß sich nicht jede junge Frau dazu eignet, eine große Wirt¬
schaft zu leiten, ist es auch nicht jederzeit erwünscht, halberwachsene Zöglinge
im Hause zu haben. Sind die eignen Kinder noch klein oder sehr pflegebedürftig,
so müssen in einer Pension von drei bis vier Schülern entweder diese oder die
eignen Kinder zu kurz kommen. Noch weniger passend will das Pensionhalten
erscheinen, wenn in einer Lehrerfamilie die Töchter heranwachsen.

Die Möglichkeit, Pensionäre zu halten, ist also, wie man sieht, für die
Lehrerfamilien nicht nur uicht allgemein, sondern im Gegenteil sehr eingeengt.
Kränkliche oder auch nur schwächliche Leute können es überhaupt nicht, und


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[0490] Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes zunehmen. Denn es ist augenscheinlich, daß dort die Knaben die angemessenste Anleitung finden werden, mit Anstand durch die Schuljahre hindurchzukommen und zu einem befriedigenden Abschluß ihrer Gymnasial- oder sonstigen Studien zu gelangen. Es ist aber fraglich, ob man dieses Interesse in den Vordergrund stellen darf. Noch fraglicher ist es, ob man der Gesamtheit der Lehrerfamilieu damit einen Dienst erweist, wenn man sie durch geringe Besoldung des Familien¬ hauptes zu dieser Beschäftigung zu drängen sucht. Denn mit dem Pensions¬ wesen hängt eine Menge von Unannehmlichkeiten zusammen. Handelte es sich bloß um die Erziehung, so wäre es ja sehr schön, das Haus voll strebsamer junger Leute zu haben. Aber leider kommt auch das Materielle hinzu, die Verpflegung und die Unterbringung in geeigneten Räume», und hier kann man sehr häufig die Beobachtung machen, daß die „Werdenden" durchaus nicht immer dankbar sind, wenn sie auch alleu Grund dazu hätten. Dazu kommt, daß sich bei unsern immer mehr sich ausbildenden Verkehrsverhältnissen die Zahl der Pension suchenden Schüler immer mehr vermindert; vor allem derer, die aus guter Familie stammen, und die das zu zahlen imstande sind, was eine Lehrerfamilic fordern muß, wenn sie einen bescheidnen Gewinn erzielen will. Daß in diesem Punkte die letzten Jahre überall einen Rückgang zeigen, ist wohlbekannt. Fast überall zahlte man vor fünfundzwanzig Jahren dieselben, ja höhere Pensionspreise als jetzt, und wie haben sich seitdem die sonstigen Preisverhältnisse geändert! Auch die starke Konkurrenz ist an diesem Still¬ stand der Preise schuld. Häufig befassen sich Witwen mit diesem Erwerb, auch Geistliche, die große Dienstwohnungen haben, bieten aus diesem sichern Besitz heraus billige und gute Pensionen, die der Lehrer deshalb nicht bieten kann, weil er mit der Wohnungsmiete und seiner amtlichen Verantwortung ein weit größeres Risiko trägt. Deshalb besteht in weiten Kreisen der höhern Lehrerschaft eine tiefe Abneigung gegen diese Art des Nebenerwerbs. Die Zahl der Pensionäre und der Pension haltenden Lehrer geht ständig zurück. Es ist aber auch durchaus nicht allen Lehrerfamilien möglich, selbst wenn sie wollten und geeignete junge Leute fänden, ein Pensionat zu halten. Denn zu einer ordentlichen Pension gehört eine tüchtige, kerngesunde Hausfrau, die ihre Aufgabe ebenso gut zu erfüllen weiß, wie der Mann die seinige. Aber abgesehen davon, daß sich nicht jede junge Frau dazu eignet, eine große Wirt¬ schaft zu leiten, ist es auch nicht jederzeit erwünscht, halberwachsene Zöglinge im Hause zu haben. Sind die eignen Kinder noch klein oder sehr pflegebedürftig, so müssen in einer Pension von drei bis vier Schülern entweder diese oder die eignen Kinder zu kurz kommen. Noch weniger passend will das Pensionhalten erscheinen, wenn in einer Lehrerfamilie die Töchter heranwachsen. Die Möglichkeit, Pensionäre zu halten, ist also, wie man sieht, für die Lehrerfamilien nicht nur uicht allgemein, sondern im Gegenteil sehr eingeengt. Kränkliche oder auch nur schwächliche Leute können es überhaupt nicht, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/490>, abgerufen am 27.09.2024.