Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Griechenland und Kreta in der Person von Abdullah Pascha. Mehr und mehr machte sich aber nun Einen wichtigen Fortschritt machten die kretischen Verhältnisse Mitte Griechenland und Kreta in der Person von Abdullah Pascha. Mehr und mehr machte sich aber nun Einen wichtigen Fortschritt machten die kretischen Verhältnisse Mitte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224721"/> <fw type="header" place="top"> Griechenland und Kreta</fw><lb/> <p xml:id="ID_1397" prev="#ID_1396"> in der Person von Abdullah Pascha. Mehr und mehr machte sich aber nun<lb/> die Teilnahme der Griechen an dem kretischen Aufstande fühlbar; am 12. Juni<lb/> erließ die griechische Regierung eine Zirkularnote an die Großmächte, worin<lb/> sie deren Aufmerksamkeit auf die traurigen Zustände in Kreta lenkte und die<lb/> Bitte aussprach, auf die Pforte zur Aufrechterhaltung des Vertrags von Ha-<lb/> leppa einzuwirken, während doch gleichzeitig das kretische Komitee diesen als<lb/> nicht mehr genügend bezeichnete. Von den weitern Ereignissen des vorigen<lb/> Jahres seien nur noch die wichtigsten erwähnt: Für den 29. Juni wurde die<lb/> kretische Nationalversammlung einberufen und Fürst Bervwitsch — ein Christ<lb/> zum Generalgouvemeur ernannt. Anstatt daß sich aber die Abgeordneten ein¬<lb/> gefunden hätten, stellte das Resormkomitee weitere Anforderungen an die Re¬<lb/> gierung, so namentlich die Ergänzung der Gendarmerie durch Einheimische, die<lb/> wirtschaftliche Selbständigkeit der Insel und eine Zollnnion mit Griechenland.<lb/> Die griechische Presse trat mehr und mehr für den kretischen Aufstand ein, ja<lb/> forderte sogar offen zur Einsetzung einer provisorischen Regierung und zur<lb/> Vereinigung mit Griechenland auf. Daß solches Vorgehen den Absichten der<lb/> griechischen Regierung entsprach, kann nicht geleugnet werden; hatte doch<lb/> Minister Delyannis schon in der Sitzung des Berliner Kongresses vom 29. Juni<lb/> 1878 mit vollem Nachdrucke erklärt, daß die griechische Regierung auf die Ein¬<lb/> verleibung Kandias und der Grenzprvvinzen nie verzichten könne. Die wieder¬<lb/> holten Vorstellungen, die die Großmächte an die griechische Regierung richteten,<lb/> den Aufstand nicht zu unterstützen, verhallten ebenso ungehört wie die Auf¬<lb/> forderung an die Kreter, die Feindseligkeiten einzustellen, und die Zusicherung,<lb/> daß die Pforte bereit sei, den Vertrag von Haleppa in Kraft zu setzen. Am<lb/> 15. Juni trat zwar die Nationalversammlung in Kcinea zusammen, bot aber<lb/> uur ein Bild innerer Zerrüttung und fortdauernder Kämpfe. Ende Juli und<lb/> Anfang August wurden wiederholt Zuzüge von griechischen Freischaren nach<lb/> Kreta beobachtet, denen sich sogar aktive Offiziere der Armee mit Waffen und<lb/> Munition beigesellten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1398" next="#ID_1399"> Einen wichtigen Fortschritt machten die kretischen Verhältnisse Mitte<lb/> September durch die Veröffentlichung des kaiserlichen Fermans, der die nach<lb/> den Vorschlägen der Botschafter gewährten Zugestündnisse für Kreta enthielt.<lb/> Die wichtigsten sind: 1. Der Sultan ernennt einen christlichen Gouverneur für<lb/> fünf Jahre mit Zustimmung der Mächte. 2. Zwei Drittel der Offiziersstellen<lb/> sind durch Christen, ein Drittel durch Muhammedaner zu besetzen. 3. Die<lb/> Wahlen zum Landtage finden in jedem zweiten Jahre statt, mindestens jedes<lb/> Äahr einmal eine Sitzung in der Dauer von vierzig bis achtzig Tagen; kein<lb/> neues Gesetz kann in Kraft treten, ohne vom Landtage gebilligt zu sein.<lb/> 4. Die Reorganisation der Gendarmerie wird durch eine Kommission, der auch<lb/> europäische Offiziere angehören, durchgeführt. 5. An der Reorganisation der<lb/> Justiz können auch fremde Christen teilnehmen. 6. Der Landtag wird sechs</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Griechenland und Kreta
in der Person von Abdullah Pascha. Mehr und mehr machte sich aber nun
die Teilnahme der Griechen an dem kretischen Aufstande fühlbar; am 12. Juni
erließ die griechische Regierung eine Zirkularnote an die Großmächte, worin
sie deren Aufmerksamkeit auf die traurigen Zustände in Kreta lenkte und die
Bitte aussprach, auf die Pforte zur Aufrechterhaltung des Vertrags von Ha-
leppa einzuwirken, während doch gleichzeitig das kretische Komitee diesen als
nicht mehr genügend bezeichnete. Von den weitern Ereignissen des vorigen
Jahres seien nur noch die wichtigsten erwähnt: Für den 29. Juni wurde die
kretische Nationalversammlung einberufen und Fürst Bervwitsch — ein Christ
zum Generalgouvemeur ernannt. Anstatt daß sich aber die Abgeordneten ein¬
gefunden hätten, stellte das Resormkomitee weitere Anforderungen an die Re¬
gierung, so namentlich die Ergänzung der Gendarmerie durch Einheimische, die
wirtschaftliche Selbständigkeit der Insel und eine Zollnnion mit Griechenland.
Die griechische Presse trat mehr und mehr für den kretischen Aufstand ein, ja
forderte sogar offen zur Einsetzung einer provisorischen Regierung und zur
Vereinigung mit Griechenland auf. Daß solches Vorgehen den Absichten der
griechischen Regierung entsprach, kann nicht geleugnet werden; hatte doch
Minister Delyannis schon in der Sitzung des Berliner Kongresses vom 29. Juni
1878 mit vollem Nachdrucke erklärt, daß die griechische Regierung auf die Ein¬
verleibung Kandias und der Grenzprvvinzen nie verzichten könne. Die wieder¬
holten Vorstellungen, die die Großmächte an die griechische Regierung richteten,
den Aufstand nicht zu unterstützen, verhallten ebenso ungehört wie die Auf¬
forderung an die Kreter, die Feindseligkeiten einzustellen, und die Zusicherung,
daß die Pforte bereit sei, den Vertrag von Haleppa in Kraft zu setzen. Am
15. Juni trat zwar die Nationalversammlung in Kcinea zusammen, bot aber
uur ein Bild innerer Zerrüttung und fortdauernder Kämpfe. Ende Juli und
Anfang August wurden wiederholt Zuzüge von griechischen Freischaren nach
Kreta beobachtet, denen sich sogar aktive Offiziere der Armee mit Waffen und
Munition beigesellten.
Einen wichtigen Fortschritt machten die kretischen Verhältnisse Mitte
September durch die Veröffentlichung des kaiserlichen Fermans, der die nach
den Vorschlägen der Botschafter gewährten Zugestündnisse für Kreta enthielt.
Die wichtigsten sind: 1. Der Sultan ernennt einen christlichen Gouverneur für
fünf Jahre mit Zustimmung der Mächte. 2. Zwei Drittel der Offiziersstellen
sind durch Christen, ein Drittel durch Muhammedaner zu besetzen. 3. Die
Wahlen zum Landtage finden in jedem zweiten Jahre statt, mindestens jedes
Äahr einmal eine Sitzung in der Dauer von vierzig bis achtzig Tagen; kein
neues Gesetz kann in Kraft treten, ohne vom Landtage gebilligt zu sein.
4. Die Reorganisation der Gendarmerie wird durch eine Kommission, der auch
europäische Offiziere angehören, durchgeführt. 5. An der Reorganisation der
Justiz können auch fremde Christen teilnehmen. 6. Der Landtag wird sechs
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