Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ieiiseits der Mainlinie

Altkatholischen Voden, den der Pfarrer Niecks in Heidelberg herausgab. Riecks
sammelte damals auch Mitarbeiter für eine Reihe von Lebensbildern und
übertrug mir das eines Offenburgischen Pfarrers Mersy, der im Sinne
Wessenbergs gewirkt hatte. Bei der Stoffsammlung für das Schriftchen fand
ich die ungünstige Meinung bestätigt, die ich vom kirchlichen Liberalismus der
Wesfenbergischen Zeit schon vorher gefaßt hatte. Jenen Geistlichen ging das
tiefere Verständnis der Religion ab; sie waren trockne und nüchterne Pedanten
und schrieben ein herzlich schlechtes Deutsch. In der Bekämpfung des Aber¬
glaubens einiges geleistet zu haben, das dürfte ihr einziges Verdienst sein.
Für die Broschüre erhielt ich sechzig Mark. Das war mein drittes Schrift-
stellerhvuorar. In Schönau hatte ich dem Herausgeber einer homiletischen
Zeitschrift einige Beiträge geliefert. Als er mir das erste Honorar schickte,
es waren fünf Thaler, wirkte das nicht als Sporn, sondern als Scheuche; ich
schrieb dem Herausgeber, ich hielte es für Sünde, den faulen Pfarrern die
Faulheit zu stärken und auch noch Geld dafür zu nehmen; ich würde nichts
mehr schicken. Heute schrecken mich Honorare nicht mehr ab. Dann schickte
ich von Liegnitz ans einmal der Schlesischen Zeitung vier Artikel über Schul¬
angelegenheiten, die sie als Feuilleton gebracht hat. Damals, wo es noch
keine katholische Presse gab, war die Schlesische Zeitung das Blatt der schle¬
sischen Pfarrer und der zur konservativen Partei haltenden katholischen Bour¬
geoisie, aber die Mehrzahl ihrer Leser waren doch Protestanten. Demgemäß
hielt sie sich in den ersten beiden Monaten des Vierteljahrs stramm protestantisch,
im dritten Monat dagegen lenkte sie ins katholikenfrenndliche Fahrwasser ein
und wurde gegen das Ende immer katholischer; sie soll sich sür diesen Zweck
einen katholischen Redakteur gehalten haben. Den Lesern hat dieser regelmäßig
wiederkehrende Wandel bei allem Ärger immer viel Spaß gemacht. Als mich
ein Ereignis, ich weiß nicht mehr welches, zu den Artikeln anregte, ist wahr¬
scheinlich gerade der Viertcljahrsschluß nahe gewesen, sonst hätte ich kaum
gewagt, ihr die Sachen zuzumuten. Auch so hielt ich noch eine kleine Kriegslist
für notwendig. Da das Dickste erst am Schluß kam, schickte ich nicht alle vier
Artikel ans einmal, sondern immer nur einen, und den nächsten erst, wenn der
borhergehende schon erschienen war. Nachdem nun die Zeitung a, b und o gesagt
hatte, blieb ihr nichts übrig, als auch vollends ä zu sagen. Houorarhabe ich dafür
nicht erhalten, auch nicht erwartet; ich habe, glaube ich, damals noch gar nicht
gewußt, daß man so etwas bezahlt bekommt. Ein paar Jahre später, als ich
w Harpersdorf die schon erwähnten zwanzig Mark bekam, wußte ich es schon
"ud spMlirte darauf. Mersy brachte mir also das dritte ein, und dann
kamen noch ein paar, vom theologischen Litteraturblatt, das Professor Reusch
herausgab, und vom Deutschen Merkur für die Artikel über Augustinus.

Diese Artikel veranlaßten das Münchner Altkatholikenkvmitee, mir die
Redaktion des Deutschen Merkur anzubieten. nomineller Redakteur war nach


Ieiiseits der Mainlinie

Altkatholischen Voden, den der Pfarrer Niecks in Heidelberg herausgab. Riecks
sammelte damals auch Mitarbeiter für eine Reihe von Lebensbildern und
übertrug mir das eines Offenburgischen Pfarrers Mersy, der im Sinne
Wessenbergs gewirkt hatte. Bei der Stoffsammlung für das Schriftchen fand
ich die ungünstige Meinung bestätigt, die ich vom kirchlichen Liberalismus der
Wesfenbergischen Zeit schon vorher gefaßt hatte. Jenen Geistlichen ging das
tiefere Verständnis der Religion ab; sie waren trockne und nüchterne Pedanten
und schrieben ein herzlich schlechtes Deutsch. In der Bekämpfung des Aber¬
glaubens einiges geleistet zu haben, das dürfte ihr einziges Verdienst sein.
Für die Broschüre erhielt ich sechzig Mark. Das war mein drittes Schrift-
stellerhvuorar. In Schönau hatte ich dem Herausgeber einer homiletischen
Zeitschrift einige Beiträge geliefert. Als er mir das erste Honorar schickte,
es waren fünf Thaler, wirkte das nicht als Sporn, sondern als Scheuche; ich
schrieb dem Herausgeber, ich hielte es für Sünde, den faulen Pfarrern die
Faulheit zu stärken und auch noch Geld dafür zu nehmen; ich würde nichts
mehr schicken. Heute schrecken mich Honorare nicht mehr ab. Dann schickte
ich von Liegnitz ans einmal der Schlesischen Zeitung vier Artikel über Schul¬
angelegenheiten, die sie als Feuilleton gebracht hat. Damals, wo es noch
keine katholische Presse gab, war die Schlesische Zeitung das Blatt der schle¬
sischen Pfarrer und der zur konservativen Partei haltenden katholischen Bour¬
geoisie, aber die Mehrzahl ihrer Leser waren doch Protestanten. Demgemäß
hielt sie sich in den ersten beiden Monaten des Vierteljahrs stramm protestantisch,
im dritten Monat dagegen lenkte sie ins katholikenfrenndliche Fahrwasser ein
und wurde gegen das Ende immer katholischer; sie soll sich sür diesen Zweck
einen katholischen Redakteur gehalten haben. Den Lesern hat dieser regelmäßig
wiederkehrende Wandel bei allem Ärger immer viel Spaß gemacht. Als mich
ein Ereignis, ich weiß nicht mehr welches, zu den Artikeln anregte, ist wahr¬
scheinlich gerade der Viertcljahrsschluß nahe gewesen, sonst hätte ich kaum
gewagt, ihr die Sachen zuzumuten. Auch so hielt ich noch eine kleine Kriegslist
für notwendig. Da das Dickste erst am Schluß kam, schickte ich nicht alle vier
Artikel ans einmal, sondern immer nur einen, und den nächsten erst, wenn der
borhergehende schon erschienen war. Nachdem nun die Zeitung a, b und o gesagt
hatte, blieb ihr nichts übrig, als auch vollends ä zu sagen. Houorarhabe ich dafür
nicht erhalten, auch nicht erwartet; ich habe, glaube ich, damals noch gar nicht
gewußt, daß man so etwas bezahlt bekommt. Ein paar Jahre später, als ich
w Harpersdorf die schon erwähnten zwanzig Mark bekam, wußte ich es schon
"ud spMlirte darauf. Mersy brachte mir also das dritte ein, und dann
kamen noch ein paar, vom theologischen Litteraturblatt, das Professor Reusch
herausgab, und vom Deutschen Merkur für die Artikel über Augustinus.

Diese Artikel veranlaßten das Münchner Altkatholikenkvmitee, mir die
Redaktion des Deutschen Merkur anzubieten. nomineller Redakteur war nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224643"/>
          <fw type="header" place="top"> Ieiiseits der Mainlinie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> Altkatholischen Voden, den der Pfarrer Niecks in Heidelberg herausgab. Riecks<lb/>
sammelte damals auch Mitarbeiter für eine Reihe von Lebensbildern und<lb/>
übertrug mir das eines Offenburgischen Pfarrers Mersy, der im Sinne<lb/>
Wessenbergs gewirkt hatte. Bei der Stoffsammlung für das Schriftchen fand<lb/>
ich die ungünstige Meinung bestätigt, die ich vom kirchlichen Liberalismus der<lb/>
Wesfenbergischen Zeit schon vorher gefaßt hatte. Jenen Geistlichen ging das<lb/>
tiefere Verständnis der Religion ab; sie waren trockne und nüchterne Pedanten<lb/>
und schrieben ein herzlich schlechtes Deutsch. In der Bekämpfung des Aber¬<lb/>
glaubens einiges geleistet zu haben, das dürfte ihr einziges Verdienst sein.<lb/>
Für die Broschüre erhielt ich sechzig Mark. Das war mein drittes Schrift-<lb/>
stellerhvuorar. In Schönau hatte ich dem Herausgeber einer homiletischen<lb/>
Zeitschrift einige Beiträge geliefert. Als er mir das erste Honorar schickte,<lb/>
es waren fünf Thaler, wirkte das nicht als Sporn, sondern als Scheuche; ich<lb/>
schrieb dem Herausgeber, ich hielte es für Sünde, den faulen Pfarrern die<lb/>
Faulheit zu stärken und auch noch Geld dafür zu nehmen; ich würde nichts<lb/>
mehr schicken. Heute schrecken mich Honorare nicht mehr ab. Dann schickte<lb/>
ich von Liegnitz ans einmal der Schlesischen Zeitung vier Artikel über Schul¬<lb/>
angelegenheiten, die sie als Feuilleton gebracht hat. Damals, wo es noch<lb/>
keine katholische Presse gab, war die Schlesische Zeitung das Blatt der schle¬<lb/>
sischen Pfarrer und der zur konservativen Partei haltenden katholischen Bour¬<lb/>
geoisie, aber die Mehrzahl ihrer Leser waren doch Protestanten. Demgemäß<lb/>
hielt sie sich in den ersten beiden Monaten des Vierteljahrs stramm protestantisch,<lb/>
im dritten Monat dagegen lenkte sie ins katholikenfrenndliche Fahrwasser ein<lb/>
und wurde gegen das Ende immer katholischer; sie soll sich sür diesen Zweck<lb/>
einen katholischen Redakteur gehalten haben. Den Lesern hat dieser regelmäßig<lb/>
wiederkehrende Wandel bei allem Ärger immer viel Spaß gemacht. Als mich<lb/>
ein Ereignis, ich weiß nicht mehr welches, zu den Artikeln anregte, ist wahr¬<lb/>
scheinlich gerade der Viertcljahrsschluß nahe gewesen, sonst hätte ich kaum<lb/>
gewagt, ihr die Sachen zuzumuten. Auch so hielt ich noch eine kleine Kriegslist<lb/>
für notwendig. Da das Dickste erst am Schluß kam, schickte ich nicht alle vier<lb/>
Artikel ans einmal, sondern immer nur einen, und den nächsten erst, wenn der<lb/>
borhergehende schon erschienen war. Nachdem nun die Zeitung a, b und o gesagt<lb/>
hatte, blieb ihr nichts übrig, als auch vollends ä zu sagen. Houorarhabe ich dafür<lb/>
nicht erhalten, auch nicht erwartet; ich habe, glaube ich, damals noch gar nicht<lb/>
gewußt, daß man so etwas bezahlt bekommt. Ein paar Jahre später, als ich<lb/>
w Harpersdorf die schon erwähnten zwanzig Mark bekam, wußte ich es schon<lb/>
"ud spMlirte darauf. Mersy brachte mir also das dritte ein, und dann<lb/>
kamen noch ein paar, vom theologischen Litteraturblatt, das Professor Reusch<lb/>
herausgab, und vom Deutschen Merkur für die Artikel über Augustinus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> Diese Artikel veranlaßten das Münchner Altkatholikenkvmitee, mir die<lb/>
Redaktion des Deutschen Merkur anzubieten. nomineller Redakteur war nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0397] Ieiiseits der Mainlinie Altkatholischen Voden, den der Pfarrer Niecks in Heidelberg herausgab. Riecks sammelte damals auch Mitarbeiter für eine Reihe von Lebensbildern und übertrug mir das eines Offenburgischen Pfarrers Mersy, der im Sinne Wessenbergs gewirkt hatte. Bei der Stoffsammlung für das Schriftchen fand ich die ungünstige Meinung bestätigt, die ich vom kirchlichen Liberalismus der Wesfenbergischen Zeit schon vorher gefaßt hatte. Jenen Geistlichen ging das tiefere Verständnis der Religion ab; sie waren trockne und nüchterne Pedanten und schrieben ein herzlich schlechtes Deutsch. In der Bekämpfung des Aber¬ glaubens einiges geleistet zu haben, das dürfte ihr einziges Verdienst sein. Für die Broschüre erhielt ich sechzig Mark. Das war mein drittes Schrift- stellerhvuorar. In Schönau hatte ich dem Herausgeber einer homiletischen Zeitschrift einige Beiträge geliefert. Als er mir das erste Honorar schickte, es waren fünf Thaler, wirkte das nicht als Sporn, sondern als Scheuche; ich schrieb dem Herausgeber, ich hielte es für Sünde, den faulen Pfarrern die Faulheit zu stärken und auch noch Geld dafür zu nehmen; ich würde nichts mehr schicken. Heute schrecken mich Honorare nicht mehr ab. Dann schickte ich von Liegnitz ans einmal der Schlesischen Zeitung vier Artikel über Schul¬ angelegenheiten, die sie als Feuilleton gebracht hat. Damals, wo es noch keine katholische Presse gab, war die Schlesische Zeitung das Blatt der schle¬ sischen Pfarrer und der zur konservativen Partei haltenden katholischen Bour¬ geoisie, aber die Mehrzahl ihrer Leser waren doch Protestanten. Demgemäß hielt sie sich in den ersten beiden Monaten des Vierteljahrs stramm protestantisch, im dritten Monat dagegen lenkte sie ins katholikenfrenndliche Fahrwasser ein und wurde gegen das Ende immer katholischer; sie soll sich sür diesen Zweck einen katholischen Redakteur gehalten haben. Den Lesern hat dieser regelmäßig wiederkehrende Wandel bei allem Ärger immer viel Spaß gemacht. Als mich ein Ereignis, ich weiß nicht mehr welches, zu den Artikeln anregte, ist wahr¬ scheinlich gerade der Viertcljahrsschluß nahe gewesen, sonst hätte ich kaum gewagt, ihr die Sachen zuzumuten. Auch so hielt ich noch eine kleine Kriegslist für notwendig. Da das Dickste erst am Schluß kam, schickte ich nicht alle vier Artikel ans einmal, sondern immer nur einen, und den nächsten erst, wenn der borhergehende schon erschienen war. Nachdem nun die Zeitung a, b und o gesagt hatte, blieb ihr nichts übrig, als auch vollends ä zu sagen. Houorarhabe ich dafür nicht erhalten, auch nicht erwartet; ich habe, glaube ich, damals noch gar nicht gewußt, daß man so etwas bezahlt bekommt. Ein paar Jahre später, als ich w Harpersdorf die schon erwähnten zwanzig Mark bekam, wußte ich es schon "ud spMlirte darauf. Mersy brachte mir also das dritte ein, und dann kamen noch ein paar, vom theologischen Litteraturblatt, das Professor Reusch herausgab, und vom Deutschen Merkur für die Artikel über Augustinus. Diese Artikel veranlaßten das Münchner Altkatholikenkvmitee, mir die Redaktion des Deutschen Merkur anzubieten. nomineller Redakteur war nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/397
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/397>, abgerufen am 27.09.2024.