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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

der Dinge verhüllt, ganz weggezogen wird. Günstiger steht es im Reich, wohin
das Kampffeld verlegt worden ist, denn die Reichstagsmehrheit war nur klein
und die eines Rumpfparlaments, die verbündeten Regierungen sind nicht durch
die Rücksichten gebunden, die die Landesregierung hemmen, und die Reaktion
gegen die Bismarckische Politik, jede Form der Revolution zu bekämpfen, ist
schon lange im Ebben,' Fürst Bismarck erlangt anch darin wieder seinen Ein¬
fluß auf die Gemüter. Die Freunde ordnungsmäßiger Freiheit finden also
eine sehr starke Strömung für ihre Ziele vor. Sie können und sollten die
Kampfziele selbst erweitern und auf das ganze Reich ausdehnen. Aussicht auf
Erfolg haben sie um so mehr, als ihnen die Erfahrungen der Vergangenheit,
namentlich auch die in Elsaß-Lothringen, ein fertiges Programm gewähren.

Den festen und dauernden Bestand des Programms bildet der Diktatur-
Paragraph, dessen Handhabung den höchsten Reichs- und Landesbehörden zu¬
fiele. Vorübergehend sind daneben noch besondere Vollmachten notwendig, bei
deren Ausübung auch weniger hochgestellte Behörden mitzuwirken haben. Sie
können nach dem Muster des Sozialistengesetzes festgestellt werden, aber so,
daß die Möglichkeit, mit den Anstachlungen revolutionärer Gesinnung auch den
wirklichen Geisteskampf zu knebeln, wirksam ausgeschlossen wird. Dazu wird
schon die Bezeichnung revolutionär viel thun, statt der mißglückter Definition
des Sozialistengesetzes; die richtige Bezeichnung hat auch den Vorzug, daß da¬
durch alle Revolutionäre, nicht bloß die sozialdemokratischen Bekenntnisses, ge¬
troffen werde", und daß der Vorwurf des Parteigesetzes keinen Anhalt findet.
Gerechte und unparteiische Ausführung setzt aber vor allem voraus, daß Will-
kttrlichkeiten und persönliche Übergriffe nicht vertuscht, sondern bestraft und
verhütet werden. Den außerordentlichen Vollmachten entspricht außerordentliche
Verantwortung; der Beamte, der mit diesen Vollmachten Mißbrauch treibt, muß
strengerer und schnellerer Ahndung gewärtig sein, als das regelmäßige Dis-
ziplinarrecht ermöglicht.

Durch die Verwirklichung dieses Programms wird ja nicht der soziale
Streit verschwinden, aber seine revolutionären Wucherungen werden beseitigt
Werden, und er wird nicht mehr so leicht zur Geführdung der öffentlichen
Sicherheit auswachsen; die Freiheit wird durch das Programm nicht bedroht.
Gerade wir Freunde der sozialen Reform sollten uns dazu bekennen und dafür
wirken. Jeder hat einen Kreis, dessen natürlicher Vorarbeiter er ist, er be¬
mühe sich darin, die Vorurteile zu zerstreuen und für das Ziel zu werben.
Das ist wirkliche politische Arbeit, die auch für die Zukunft säet, und sie ist
nicht nur unsre wie aller Bürgerpflicht, wir haben noch weiter zu bedenken,
daß ohne Sicherung friedlichen Verlaufs auf keine Reform der sozialen und
wirtschaftlichen Mißstände zu rechnen ist. Die Arbeit für das Ordnungs¬
programm wird uns auch zu einem sozialen anspornen; auch für dieses bedarf
es fester und darum begrenzter Ziele, gangbarer, also erprobter Wege. . Außer


Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

der Dinge verhüllt, ganz weggezogen wird. Günstiger steht es im Reich, wohin
das Kampffeld verlegt worden ist, denn die Reichstagsmehrheit war nur klein
und die eines Rumpfparlaments, die verbündeten Regierungen sind nicht durch
die Rücksichten gebunden, die die Landesregierung hemmen, und die Reaktion
gegen die Bismarckische Politik, jede Form der Revolution zu bekämpfen, ist
schon lange im Ebben,' Fürst Bismarck erlangt anch darin wieder seinen Ein¬
fluß auf die Gemüter. Die Freunde ordnungsmäßiger Freiheit finden also
eine sehr starke Strömung für ihre Ziele vor. Sie können und sollten die
Kampfziele selbst erweitern und auf das ganze Reich ausdehnen. Aussicht auf
Erfolg haben sie um so mehr, als ihnen die Erfahrungen der Vergangenheit,
namentlich auch die in Elsaß-Lothringen, ein fertiges Programm gewähren.

Den festen und dauernden Bestand des Programms bildet der Diktatur-
Paragraph, dessen Handhabung den höchsten Reichs- und Landesbehörden zu¬
fiele. Vorübergehend sind daneben noch besondere Vollmachten notwendig, bei
deren Ausübung auch weniger hochgestellte Behörden mitzuwirken haben. Sie
können nach dem Muster des Sozialistengesetzes festgestellt werden, aber so,
daß die Möglichkeit, mit den Anstachlungen revolutionärer Gesinnung auch den
wirklichen Geisteskampf zu knebeln, wirksam ausgeschlossen wird. Dazu wird
schon die Bezeichnung revolutionär viel thun, statt der mißglückter Definition
des Sozialistengesetzes; die richtige Bezeichnung hat auch den Vorzug, daß da¬
durch alle Revolutionäre, nicht bloß die sozialdemokratischen Bekenntnisses, ge¬
troffen werde», und daß der Vorwurf des Parteigesetzes keinen Anhalt findet.
Gerechte und unparteiische Ausführung setzt aber vor allem voraus, daß Will-
kttrlichkeiten und persönliche Übergriffe nicht vertuscht, sondern bestraft und
verhütet werden. Den außerordentlichen Vollmachten entspricht außerordentliche
Verantwortung; der Beamte, der mit diesen Vollmachten Mißbrauch treibt, muß
strengerer und schnellerer Ahndung gewärtig sein, als das regelmäßige Dis-
ziplinarrecht ermöglicht.

Durch die Verwirklichung dieses Programms wird ja nicht der soziale
Streit verschwinden, aber seine revolutionären Wucherungen werden beseitigt
Werden, und er wird nicht mehr so leicht zur Geführdung der öffentlichen
Sicherheit auswachsen; die Freiheit wird durch das Programm nicht bedroht.
Gerade wir Freunde der sozialen Reform sollten uns dazu bekennen und dafür
wirken. Jeder hat einen Kreis, dessen natürlicher Vorarbeiter er ist, er be¬
mühe sich darin, die Vorurteile zu zerstreuen und für das Ziel zu werben.
Das ist wirkliche politische Arbeit, die auch für die Zukunft säet, und sie ist
nicht nur unsre wie aller Bürgerpflicht, wir haben noch weiter zu bedenken,
daß ohne Sicherung friedlichen Verlaufs auf keine Reform der sozialen und
wirtschaftlichen Mißstände zu rechnen ist. Die Arbeit für das Ordnungs¬
programm wird uns auch zu einem sozialen anspornen; auch für dieses bedarf
es fester und darum begrenzter Ziele, gangbarer, also erprobter Wege. . Außer


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[0391] Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz der Dinge verhüllt, ganz weggezogen wird. Günstiger steht es im Reich, wohin das Kampffeld verlegt worden ist, denn die Reichstagsmehrheit war nur klein und die eines Rumpfparlaments, die verbündeten Regierungen sind nicht durch die Rücksichten gebunden, die die Landesregierung hemmen, und die Reaktion gegen die Bismarckische Politik, jede Form der Revolution zu bekämpfen, ist schon lange im Ebben,' Fürst Bismarck erlangt anch darin wieder seinen Ein¬ fluß auf die Gemüter. Die Freunde ordnungsmäßiger Freiheit finden also eine sehr starke Strömung für ihre Ziele vor. Sie können und sollten die Kampfziele selbst erweitern und auf das ganze Reich ausdehnen. Aussicht auf Erfolg haben sie um so mehr, als ihnen die Erfahrungen der Vergangenheit, namentlich auch die in Elsaß-Lothringen, ein fertiges Programm gewähren. Den festen und dauernden Bestand des Programms bildet der Diktatur- Paragraph, dessen Handhabung den höchsten Reichs- und Landesbehörden zu¬ fiele. Vorübergehend sind daneben noch besondere Vollmachten notwendig, bei deren Ausübung auch weniger hochgestellte Behörden mitzuwirken haben. Sie können nach dem Muster des Sozialistengesetzes festgestellt werden, aber so, daß die Möglichkeit, mit den Anstachlungen revolutionärer Gesinnung auch den wirklichen Geisteskampf zu knebeln, wirksam ausgeschlossen wird. Dazu wird schon die Bezeichnung revolutionär viel thun, statt der mißglückter Definition des Sozialistengesetzes; die richtige Bezeichnung hat auch den Vorzug, daß da¬ durch alle Revolutionäre, nicht bloß die sozialdemokratischen Bekenntnisses, ge¬ troffen werde», und daß der Vorwurf des Parteigesetzes keinen Anhalt findet. Gerechte und unparteiische Ausführung setzt aber vor allem voraus, daß Will- kttrlichkeiten und persönliche Übergriffe nicht vertuscht, sondern bestraft und verhütet werden. Den außerordentlichen Vollmachten entspricht außerordentliche Verantwortung; der Beamte, der mit diesen Vollmachten Mißbrauch treibt, muß strengerer und schnellerer Ahndung gewärtig sein, als das regelmäßige Dis- ziplinarrecht ermöglicht. Durch die Verwirklichung dieses Programms wird ja nicht der soziale Streit verschwinden, aber seine revolutionären Wucherungen werden beseitigt Werden, und er wird nicht mehr so leicht zur Geführdung der öffentlichen Sicherheit auswachsen; die Freiheit wird durch das Programm nicht bedroht. Gerade wir Freunde der sozialen Reform sollten uns dazu bekennen und dafür wirken. Jeder hat einen Kreis, dessen natürlicher Vorarbeiter er ist, er be¬ mühe sich darin, die Vorurteile zu zerstreuen und für das Ziel zu werben. Das ist wirkliche politische Arbeit, die auch für die Zukunft säet, und sie ist nicht nur unsre wie aller Bürgerpflicht, wir haben noch weiter zu bedenken, daß ohne Sicherung friedlichen Verlaufs auf keine Reform der sozialen und wirtschaftlichen Mißstände zu rechnen ist. Die Arbeit für das Ordnungs¬ programm wird uns auch zu einem sozialen anspornen; auch für dieses bedarf es fester und darum begrenzter Ziele, gangbarer, also erprobter Wege. . Außer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/391>, abgerufen am 27.09.2024.