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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kreta

den Erfolg erweisen, die ein neues Recht schafft. Wie sagt doch die Gräfin
Tcrzky zu Schillers Wallenstein?


Und wenn es glückt, so ist es auch verzieh",
Denn aller Ausgnng ist ein (Äottesurtel.

Es kommt also auf die innere Berechtigung dessen an, was aus Kreta
geschieht, und da besteht doch z. B. zwischen den griechischen Truppeusendungen
nach Kreta und dem sogar von dem xoelu. iMi'sinu" der Königin Viktoria ver¬
herrlichten Ritte Jamesons, der am 1. Januar 1896 bei Krügersdvrp ver¬
dientermaßen ein so schmähliches Ende fand, ein kleiner Unterschied. Die Kreter,
oder vielmehr die Griechen auf Kreta, die beiläufig erst seit wenig mehr als
zweihundert Jahren die Segnungen türkischer Herrschaft genießen, bis dahin
seit dem Zusammenbruch des byzantinischen Reichs 1204 unter venezianischer,
also abendländisch-christlicher Negierung standen, haben sich schon an dem
griechischen Freiheitskämpfe beteiligt und haben sich seitdem immer wieder er¬
hoben, um eine Tyrannei abzuschütteln, die um so unerträglicher wirkt, als
die türkische oder überhaupt die mohammedanische Bevölkerung der Insel in
den drei wichtigste!, Häfen und ihrer Umgebung, Kandia, Kcmea und Rethymo,
festsitzt und von dort ans den ganzen Verkehr Kretas beherrscht und ausbeutet.
Immer und immer wieder sind "Reformen" feierlich versprochen worden, 1858,
1868, 1878, 1896, geschehen aber ist niemals etwas durchgreifendes, weil unter
türkischer Verwaltung niemals so etwas geschehen kann, denn der Sultan darf
als Oberherr der Gläubigen den Ungläubigen niemals gleiches Recht zuge¬
stehen, und wo er es unter auswärtigem Drucke thut, da verhindern die
Gläubigen, wie jetzt auf Kreta, die Durchführung. Daher hat sich eine wirk¬
liche "Reform," d. h. die Einführung einer zivilisirten, modernen Verwaltung
im Osmanenreiche, immer nur so vollzogen, daß die überwiegend oder ganz
von Christen bevölkerten Länder eins nach dem andern, mit Güte oder Gewalt,
durch Revolution oder Krieg oder beides, vom Körper des Reiches losgelöst
und unter eine christliche Negierung gestellt worden sind, und sobald das einmal
geschehen war, ist das niemals wieder rückgängig gemacht worden, weil das
eine sittliche Unmöglichkeit gewesen wäre. Diese Verwaltungen in Griechen¬
land, Serbien, Bulgarien, Rumänien, von Bosnien noch ganz abgesehen, mögen
noch soviel zu wünschen übrig lassen, unter ihnen leben doch Christen der ver¬
schiedensten Konfessionen und Mohammedaner friedlich neben einander nach
gleichem Recht, und der Zustand des Landes hat sich, verglichen mit den Ver¬
hältnissen unter türkischer Herrschaft, so gehoben, daß kein Mensch daran denken
könnte, diese wiederherzustellen. Nun, was auderwürts seit dem Anfange unsers
Jahrhunderts so und so oft schon geschehen ist, das wird und muß sich auch in
irgend welcher Form auf Kreta wie in den andern ganz oder halb christlichen
Ländern der Balkanhalbinsel vollziehen. Diese friedliche oder gewaltsame Auf¬
lösung der europäischen Türkei ist unvermeidlich.


Kreta

den Erfolg erweisen, die ein neues Recht schafft. Wie sagt doch die Gräfin
Tcrzky zu Schillers Wallenstein?


Und wenn es glückt, so ist es auch verzieh»,
Denn aller Ausgnng ist ein (Äottesurtel.

Es kommt also auf die innere Berechtigung dessen an, was aus Kreta
geschieht, und da besteht doch z. B. zwischen den griechischen Truppeusendungen
nach Kreta und dem sogar von dem xoelu. iMi'sinu» der Königin Viktoria ver¬
herrlichten Ritte Jamesons, der am 1. Januar 1896 bei Krügersdvrp ver¬
dientermaßen ein so schmähliches Ende fand, ein kleiner Unterschied. Die Kreter,
oder vielmehr die Griechen auf Kreta, die beiläufig erst seit wenig mehr als
zweihundert Jahren die Segnungen türkischer Herrschaft genießen, bis dahin
seit dem Zusammenbruch des byzantinischen Reichs 1204 unter venezianischer,
also abendländisch-christlicher Negierung standen, haben sich schon an dem
griechischen Freiheitskämpfe beteiligt und haben sich seitdem immer wieder er¬
hoben, um eine Tyrannei abzuschütteln, die um so unerträglicher wirkt, als
die türkische oder überhaupt die mohammedanische Bevölkerung der Insel in
den drei wichtigste!, Häfen und ihrer Umgebung, Kandia, Kcmea und Rethymo,
festsitzt und von dort ans den ganzen Verkehr Kretas beherrscht und ausbeutet.
Immer und immer wieder sind „Reformen" feierlich versprochen worden, 1858,
1868, 1878, 1896, geschehen aber ist niemals etwas durchgreifendes, weil unter
türkischer Verwaltung niemals so etwas geschehen kann, denn der Sultan darf
als Oberherr der Gläubigen den Ungläubigen niemals gleiches Recht zuge¬
stehen, und wo er es unter auswärtigem Drucke thut, da verhindern die
Gläubigen, wie jetzt auf Kreta, die Durchführung. Daher hat sich eine wirk¬
liche „Reform," d. h. die Einführung einer zivilisirten, modernen Verwaltung
im Osmanenreiche, immer nur so vollzogen, daß die überwiegend oder ganz
von Christen bevölkerten Länder eins nach dem andern, mit Güte oder Gewalt,
durch Revolution oder Krieg oder beides, vom Körper des Reiches losgelöst
und unter eine christliche Negierung gestellt worden sind, und sobald das einmal
geschehen war, ist das niemals wieder rückgängig gemacht worden, weil das
eine sittliche Unmöglichkeit gewesen wäre. Diese Verwaltungen in Griechen¬
land, Serbien, Bulgarien, Rumänien, von Bosnien noch ganz abgesehen, mögen
noch soviel zu wünschen übrig lassen, unter ihnen leben doch Christen der ver¬
schiedensten Konfessionen und Mohammedaner friedlich neben einander nach
gleichem Recht, und der Zustand des Landes hat sich, verglichen mit den Ver¬
hältnissen unter türkischer Herrschaft, so gehoben, daß kein Mensch daran denken
könnte, diese wiederherzustellen. Nun, was auderwürts seit dem Anfange unsers
Jahrhunderts so und so oft schon geschehen ist, das wird und muß sich auch in
irgend welcher Form auf Kreta wie in den andern ganz oder halb christlichen
Ländern der Balkanhalbinsel vollziehen. Diese friedliche oder gewaltsame Auf¬
lösung der europäischen Türkei ist unvermeidlich.


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[0378] Kreta den Erfolg erweisen, die ein neues Recht schafft. Wie sagt doch die Gräfin Tcrzky zu Schillers Wallenstein? Und wenn es glückt, so ist es auch verzieh», Denn aller Ausgnng ist ein (Äottesurtel. Es kommt also auf die innere Berechtigung dessen an, was aus Kreta geschieht, und da besteht doch z. B. zwischen den griechischen Truppeusendungen nach Kreta und dem sogar von dem xoelu. iMi'sinu» der Königin Viktoria ver¬ herrlichten Ritte Jamesons, der am 1. Januar 1896 bei Krügersdvrp ver¬ dientermaßen ein so schmähliches Ende fand, ein kleiner Unterschied. Die Kreter, oder vielmehr die Griechen auf Kreta, die beiläufig erst seit wenig mehr als zweihundert Jahren die Segnungen türkischer Herrschaft genießen, bis dahin seit dem Zusammenbruch des byzantinischen Reichs 1204 unter venezianischer, also abendländisch-christlicher Negierung standen, haben sich schon an dem griechischen Freiheitskämpfe beteiligt und haben sich seitdem immer wieder er¬ hoben, um eine Tyrannei abzuschütteln, die um so unerträglicher wirkt, als die türkische oder überhaupt die mohammedanische Bevölkerung der Insel in den drei wichtigste!, Häfen und ihrer Umgebung, Kandia, Kcmea und Rethymo, festsitzt und von dort ans den ganzen Verkehr Kretas beherrscht und ausbeutet. Immer und immer wieder sind „Reformen" feierlich versprochen worden, 1858, 1868, 1878, 1896, geschehen aber ist niemals etwas durchgreifendes, weil unter türkischer Verwaltung niemals so etwas geschehen kann, denn der Sultan darf als Oberherr der Gläubigen den Ungläubigen niemals gleiches Recht zuge¬ stehen, und wo er es unter auswärtigem Drucke thut, da verhindern die Gläubigen, wie jetzt auf Kreta, die Durchführung. Daher hat sich eine wirk¬ liche „Reform," d. h. die Einführung einer zivilisirten, modernen Verwaltung im Osmanenreiche, immer nur so vollzogen, daß die überwiegend oder ganz von Christen bevölkerten Länder eins nach dem andern, mit Güte oder Gewalt, durch Revolution oder Krieg oder beides, vom Körper des Reiches losgelöst und unter eine christliche Negierung gestellt worden sind, und sobald das einmal geschehen war, ist das niemals wieder rückgängig gemacht worden, weil das eine sittliche Unmöglichkeit gewesen wäre. Diese Verwaltungen in Griechen¬ land, Serbien, Bulgarien, Rumänien, von Bosnien noch ganz abgesehen, mögen noch soviel zu wünschen übrig lassen, unter ihnen leben doch Christen der ver¬ schiedensten Konfessionen und Mohammedaner friedlich neben einander nach gleichem Recht, und der Zustand des Landes hat sich, verglichen mit den Ver¬ hältnissen unter türkischer Herrschaft, so gehoben, daß kein Mensch daran denken könnte, diese wiederherzustellen. Nun, was auderwürts seit dem Anfange unsers Jahrhunderts so und so oft schon geschehen ist, das wird und muß sich auch in irgend welcher Form auf Kreta wie in den andern ganz oder halb christlichen Ländern der Balkanhalbinsel vollziehen. Diese friedliche oder gewaltsame Auf¬ lösung der europäischen Türkei ist unvermeidlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/378>, abgerufen am 27.09.2024.