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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlinie

Ermessen entschließen. So entschied ich mich denn, am andern Morgen mit
dem Bürgermeister zu fahren. Unterwegs auf der Eisenbahn sagte er mir,
Michelis habe versprochen, den fraglichen Gottesdienst zu halten. Aber mein
Gott, rief ich, warum haben Sie mich da geholt? Michelis ist ein Mann,
der Wort hält! -- Aber er war gestern Abend noch nicht da; dn dachten wir,
er würde uns im Stich lassen. -- Passen Sie auf, er kommt; vielleicht sitzt
er in diesem Zuge! -- Als wir auf der Stntiou O. ausstiegen, stieg Michelis,
der von K. kam, wo er den versprochueu Gottesdienst gehalten hatte, eben
ein, um nach Freiburg weiter zu fahren, und rief dem Bürgermeister zürnend
zu: Sie einfältiger Mensk, wenn ich gesagt habe, ich komme, so komme ich
auch! Ich fuhr nun vollends nach dem noch ein Stündchen entfernten K.
hinüber ('s isch kei Woage da, meinte der Bürgermeister, da nehme mer der
Omnibus) und las vor leeren Bänken eine Messe. Als ich nach Offenburg
zurückkam, wurde ich mit Vorwürfen überhäuft; die ganze Stadt sei zusammen¬
geströmt gewesen. So einmal getäuscht, kam "die ganze Stadt" nicht wieder;
die Frnueu waren jn fleißige Kirchgängerinnen, von den Männern aber blieb
nur ein Stämmlein getreu; in größerer Zahl erschienen sie nur an Hochfesten;
an einem Kaisergebnrtstagsfeste stellten sich sogar alle Behörden in oorpors
ein; man hatte nämlich beschlossen, die amtlichen Gottesdienste nmzechig in der
evangelischen, in der römisch-katholischen und in der altkathvlischen Kirche -- es
war das die Gymnasialkirche -- zu begehen. Einmal erblickte ich im Hinter¬
grunde der sonst ziemlich leeren Männerseite zwei oder drei Reihen roter Westen.
Mit Entsetzen erfüllte mich die zwar nicht, aber doch mit Verwunderung,
die noch stieg, als die Rvtbewesteten sämtlich die Kommunion empfingen. Nach
dein Gottesdienst sagte man mir: "Das sind die Schntterwälder Barre, die
habe mit ihrem Pfarrer Streit bekomme, da habe sie ihn amol gründlich ärgere
wolle und sind zum altkatholische Abendmahl gange."

Die Bauern von K, haltens nicht gethan, um ihren Pfarrer zu ärgern
-- die Pfarrei war gerade erledigt --, sondern um die hohen städtischen Gönner
zu erfreuen, vor denen der badische Bauer einen so heillosen Respekt hat, be¬
sonders den Herrn Oberamtsrichter Beck,^) einen der eifrigsten Gemeindegründer,
der des Bürgermeisters Vetter war und diesem das Blaue vom Himmel ver¬
sprochen hatte. Ich bemerkte sehr bald, daß der Bürgermeister und die Kirchen¬
vorsteher allerlei materiellen Vorteil von der Sache erwarteten und vorläufig
kleine Prvfitchen machten, z. B. die üblichen Opfer einzunehmen fortfuhren,
obwohl der Geistliche nichts davon bekam, und ihre Auslagen für den Gottes¬
dienst aus der Kirchkasse reichlich gedeckt wurden. Es mochte ja noch ein Rest
des rationalistischen Sauerteigs, der sich auch anderwärts in Baden erhalten



1 Er gab "Weckstimmen" heraus. Nun sprechen die Leutchen dort sowohl das Wort
Bäcker wie den Ruinen Aeck gleich aus: Beck, und da sangen denn die ultrnmontnuen Gassen¬
bube": Der Beet, der Beet, der Weckebeek.
Grenzboten I 1897 ut
Jenseits der Mainlinie

Ermessen entschließen. So entschied ich mich denn, am andern Morgen mit
dem Bürgermeister zu fahren. Unterwegs auf der Eisenbahn sagte er mir,
Michelis habe versprochen, den fraglichen Gottesdienst zu halten. Aber mein
Gott, rief ich, warum haben Sie mich da geholt? Michelis ist ein Mann,
der Wort hält! — Aber er war gestern Abend noch nicht da; dn dachten wir,
er würde uns im Stich lassen. — Passen Sie auf, er kommt; vielleicht sitzt
er in diesem Zuge! — Als wir auf der Stntiou O. ausstiegen, stieg Michelis,
der von K. kam, wo er den versprochueu Gottesdienst gehalten hatte, eben
ein, um nach Freiburg weiter zu fahren, und rief dem Bürgermeister zürnend
zu: Sie einfältiger Mensk, wenn ich gesagt habe, ich komme, so komme ich
auch! Ich fuhr nun vollends nach dem noch ein Stündchen entfernten K.
hinüber ('s isch kei Woage da, meinte der Bürgermeister, da nehme mer der
Omnibus) und las vor leeren Bänken eine Messe. Als ich nach Offenburg
zurückkam, wurde ich mit Vorwürfen überhäuft; die ganze Stadt sei zusammen¬
geströmt gewesen. So einmal getäuscht, kam „die ganze Stadt" nicht wieder;
die Frnueu waren jn fleißige Kirchgängerinnen, von den Männern aber blieb
nur ein Stämmlein getreu; in größerer Zahl erschienen sie nur an Hochfesten;
an einem Kaisergebnrtstagsfeste stellten sich sogar alle Behörden in oorpors
ein; man hatte nämlich beschlossen, die amtlichen Gottesdienste nmzechig in der
evangelischen, in der römisch-katholischen und in der altkathvlischen Kirche — es
war das die Gymnasialkirche — zu begehen. Einmal erblickte ich im Hinter¬
grunde der sonst ziemlich leeren Männerseite zwei oder drei Reihen roter Westen.
Mit Entsetzen erfüllte mich die zwar nicht, aber doch mit Verwunderung,
die noch stieg, als die Rvtbewesteten sämtlich die Kommunion empfingen. Nach
dein Gottesdienst sagte man mir: „Das sind die Schntterwälder Barre, die
habe mit ihrem Pfarrer Streit bekomme, da habe sie ihn amol gründlich ärgere
wolle und sind zum altkatholische Abendmahl gange."

Die Bauern von K, haltens nicht gethan, um ihren Pfarrer zu ärgern
— die Pfarrei war gerade erledigt —, sondern um die hohen städtischen Gönner
zu erfreuen, vor denen der badische Bauer einen so heillosen Respekt hat, be¬
sonders den Herrn Oberamtsrichter Beck,^) einen der eifrigsten Gemeindegründer,
der des Bürgermeisters Vetter war und diesem das Blaue vom Himmel ver¬
sprochen hatte. Ich bemerkte sehr bald, daß der Bürgermeister und die Kirchen¬
vorsteher allerlei materiellen Vorteil von der Sache erwarteten und vorläufig
kleine Prvfitchen machten, z. B. die üblichen Opfer einzunehmen fortfuhren,
obwohl der Geistliche nichts davon bekam, und ihre Auslagen für den Gottes¬
dienst aus der Kirchkasse reichlich gedeckt wurden. Es mochte ja noch ein Rest
des rationalistischen Sauerteigs, der sich auch anderwärts in Baden erhalten



1 Er gab „Weckstimmen" heraus. Nun sprechen die Leutchen dort sowohl das Wort
Bäcker wie den Ruinen Aeck gleich aus: Beck, und da sangen denn die ultrnmontnuen Gassen¬
bube»: Der Beet, der Beet, der Weckebeek.
Grenzboten I 1897 ut
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[0249] Jenseits der Mainlinie Ermessen entschließen. So entschied ich mich denn, am andern Morgen mit dem Bürgermeister zu fahren. Unterwegs auf der Eisenbahn sagte er mir, Michelis habe versprochen, den fraglichen Gottesdienst zu halten. Aber mein Gott, rief ich, warum haben Sie mich da geholt? Michelis ist ein Mann, der Wort hält! — Aber er war gestern Abend noch nicht da; dn dachten wir, er würde uns im Stich lassen. — Passen Sie auf, er kommt; vielleicht sitzt er in diesem Zuge! — Als wir auf der Stntiou O. ausstiegen, stieg Michelis, der von K. kam, wo er den versprochueu Gottesdienst gehalten hatte, eben ein, um nach Freiburg weiter zu fahren, und rief dem Bürgermeister zürnend zu: Sie einfältiger Mensk, wenn ich gesagt habe, ich komme, so komme ich auch! Ich fuhr nun vollends nach dem noch ein Stündchen entfernten K. hinüber ('s isch kei Woage da, meinte der Bürgermeister, da nehme mer der Omnibus) und las vor leeren Bänken eine Messe. Als ich nach Offenburg zurückkam, wurde ich mit Vorwürfen überhäuft; die ganze Stadt sei zusammen¬ geströmt gewesen. So einmal getäuscht, kam „die ganze Stadt" nicht wieder; die Frnueu waren jn fleißige Kirchgängerinnen, von den Männern aber blieb nur ein Stämmlein getreu; in größerer Zahl erschienen sie nur an Hochfesten; an einem Kaisergebnrtstagsfeste stellten sich sogar alle Behörden in oorpors ein; man hatte nämlich beschlossen, die amtlichen Gottesdienste nmzechig in der evangelischen, in der römisch-katholischen und in der altkathvlischen Kirche — es war das die Gymnasialkirche — zu begehen. Einmal erblickte ich im Hinter¬ grunde der sonst ziemlich leeren Männerseite zwei oder drei Reihen roter Westen. Mit Entsetzen erfüllte mich die zwar nicht, aber doch mit Verwunderung, die noch stieg, als die Rvtbewesteten sämtlich die Kommunion empfingen. Nach dein Gottesdienst sagte man mir: „Das sind die Schntterwälder Barre, die habe mit ihrem Pfarrer Streit bekomme, da habe sie ihn amol gründlich ärgere wolle und sind zum altkatholische Abendmahl gange." Die Bauern von K, haltens nicht gethan, um ihren Pfarrer zu ärgern — die Pfarrei war gerade erledigt —, sondern um die hohen städtischen Gönner zu erfreuen, vor denen der badische Bauer einen so heillosen Respekt hat, be¬ sonders den Herrn Oberamtsrichter Beck,^) einen der eifrigsten Gemeindegründer, der des Bürgermeisters Vetter war und diesem das Blaue vom Himmel ver¬ sprochen hatte. Ich bemerkte sehr bald, daß der Bürgermeister und die Kirchen¬ vorsteher allerlei materiellen Vorteil von der Sache erwarteten und vorläufig kleine Prvfitchen machten, z. B. die üblichen Opfer einzunehmen fortfuhren, obwohl der Geistliche nichts davon bekam, und ihre Auslagen für den Gottes¬ dienst aus der Kirchkasse reichlich gedeckt wurden. Es mochte ja noch ein Rest des rationalistischen Sauerteigs, der sich auch anderwärts in Baden erhalten 1 Er gab „Weckstimmen" heraus. Nun sprechen die Leutchen dort sowohl das Wort Bäcker wie den Ruinen Aeck gleich aus: Beck, und da sangen denn die ultrnmontnuen Gassen¬ bube»: Der Beet, der Beet, der Weckebeek. Grenzboten I 1897 ut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/249>, abgerufen am 27.09.2024.