Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Jenseits der Mainlinie Meinung aus der Stadt, beeifern sich, jeden städtischen Wandel mitzumachen, und Das sind nun freilich alles nur sehr oberflächliche Wahrnehmungen ge¬ Jenseits der Mainlinie Meinung aus der Stadt, beeifern sich, jeden städtischen Wandel mitzumachen, und Das sind nun freilich alles nur sehr oberflächliche Wahrnehmungen ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224494"/> <fw type="header" place="top"> Jenseits der Mainlinie</fw><lb/> <p xml:id="ID_649" prev="#ID_648"> Meinung aus der Stadt, beeifern sich, jeden städtischen Wandel mitzumachen, und<lb/> die Dörfer sind mit politischem und kommunalen Gezänk erfüllt, das wegen der<lb/> Kleinlichkeit der dabei spielenden Interessen einen noch widerwärtigern Eindruck<lb/> macht. Zum Lobe muß jedoch den Landleuten nachgesagt werden, daß sie<lb/> darüber ihre Wirtschaften nicht versäumen; sie sind unermüdlich fleißig und<lb/> rackern sich rechtschaffen ab, wenn auch freilich bei den Nebbauern ein gutes Teil<lb/> der Frucht des sauren Schweißes der Weiber und Kinder durch des Mannes<lb/> Gurgel rinnt. Aber auch die Landwirtschaft mit ihren schmalen, sorgfältig<lb/> ausgenutzten Beeten und den saubern, ziemlich städtisch aussehenden Häuschen<lb/> macht auf das norddeutsche, an stattliche Hofe und große Gewanne gewöhnte<lb/> Auge den Eindruck des Kleinlichen; zudem wird in der Rheinebne das Land-<lb/> schaftsbild durch die schnurgrade gelegten Flußläufe mit ihren ebenfalls schnur¬<lb/> geraden Paralleldämmen zerstört.</p><lb/> <p xml:id="ID_650" next="#ID_651"> Das sind nun freilich alles nur sehr oberflächliche Wahrnehmungen ge¬<lb/> wesen. Ein wenig näher getreten bin ich den Bauern nur an einem einzigen<lb/> Orte, wo sie eben nicht den besten Eindruck auf mich machten, und es würde<lb/> ungerecht sein, wenn ich meine dortigen Erfahrungen verallgemeinern wollte.<lb/> Als ich am Sonnabend nach Pfingsten 1877 mit Jntlekofer von der Bonner<lb/> Synode zurückkam, begleitete mich dieser in das Gasthaus, wo ich vorläufig<lb/> noch wohnte. Dort erwartete mich Geiger mit dem Bürgermeister des Dorfes K.<lb/> Dieser bat mich, am andern Morgen nach K. zu kommen und dort Gottesdienst<lb/> zu halten. Ich antwortete: Das wird nicht gut gehen; ich bin erst seit Himmel¬<lb/> fahrt hier, bin heut vor acht Tagen zum Pfarrer gewählt worden, die Gemeinde<lb/> erwartet selbstverständlich, daß ich morgen Gottesdienst halte, und da kann ich<lb/> unmöglich den Gottesdienst ausfallen lassen, ohne es wenigstens bekannt zu<lb/> machen. Dazu war es doch abends um zehn Uhr zu spät. Der Bürgermeister<lb/> aber versicherte, ich müsse unbedingt kommen; die Sache sei von höchster<lb/> Wichtigkeit, K. sei eine sehr angesehene Gemeinde, habe sich eben erst der alt¬<lb/> katholischen Bewegung angeschlossen, Michelis habe den ersten Gottesdienst<lb/> abgehalten, die Leute seien Feuer und Flamme, aber man müsse das Eisen<lb/> schmieden, so lange es warm sei; man könne nicht wissen, ob nicht die vielen<lb/> noch Schwankenden wieder abfielen, wenn sie morgen vergebens zur Kirche<lb/> kämen. Und auf K. schaue das ganze Oberland; es sei eine strategische Position<lb/> (diesen Ausdruck gebrauchte der Bürgermeister selbst freilich nicht) ersten Ranges;<lb/> Offenburg sei sicher gewonnen, da könne das Ausfallen eines Gottesdienstes<lb/> keinen Schaden anrichten. Geiger sekundirte dem Bürgermeister, und beide be¬<lb/> stürmten mich. Ich sagte zu Jntlekofer: Wir Altkatholiken haben die Priester-<lb/> Herrschaft abgeschafft, der Kirchenvorstand leitet die Gemeindeangelegenheiten,<lb/> Sie sind der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, also bitte, entscheiden Sie!<lb/> Der aber zuckte verlegen die Achseln und sagte: Nein, nein! in solchen<lb/> Dingen habe ich nichts zu entscheide, da müssen Sie sich schon nach eignem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Jenseits der Mainlinie
Meinung aus der Stadt, beeifern sich, jeden städtischen Wandel mitzumachen, und
die Dörfer sind mit politischem und kommunalen Gezänk erfüllt, das wegen der
Kleinlichkeit der dabei spielenden Interessen einen noch widerwärtigern Eindruck
macht. Zum Lobe muß jedoch den Landleuten nachgesagt werden, daß sie
darüber ihre Wirtschaften nicht versäumen; sie sind unermüdlich fleißig und
rackern sich rechtschaffen ab, wenn auch freilich bei den Nebbauern ein gutes Teil
der Frucht des sauren Schweißes der Weiber und Kinder durch des Mannes
Gurgel rinnt. Aber auch die Landwirtschaft mit ihren schmalen, sorgfältig
ausgenutzten Beeten und den saubern, ziemlich städtisch aussehenden Häuschen
macht auf das norddeutsche, an stattliche Hofe und große Gewanne gewöhnte
Auge den Eindruck des Kleinlichen; zudem wird in der Rheinebne das Land-
schaftsbild durch die schnurgrade gelegten Flußläufe mit ihren ebenfalls schnur¬
geraden Paralleldämmen zerstört.
Das sind nun freilich alles nur sehr oberflächliche Wahrnehmungen ge¬
wesen. Ein wenig näher getreten bin ich den Bauern nur an einem einzigen
Orte, wo sie eben nicht den besten Eindruck auf mich machten, und es würde
ungerecht sein, wenn ich meine dortigen Erfahrungen verallgemeinern wollte.
Als ich am Sonnabend nach Pfingsten 1877 mit Jntlekofer von der Bonner
Synode zurückkam, begleitete mich dieser in das Gasthaus, wo ich vorläufig
noch wohnte. Dort erwartete mich Geiger mit dem Bürgermeister des Dorfes K.
Dieser bat mich, am andern Morgen nach K. zu kommen und dort Gottesdienst
zu halten. Ich antwortete: Das wird nicht gut gehen; ich bin erst seit Himmel¬
fahrt hier, bin heut vor acht Tagen zum Pfarrer gewählt worden, die Gemeinde
erwartet selbstverständlich, daß ich morgen Gottesdienst halte, und da kann ich
unmöglich den Gottesdienst ausfallen lassen, ohne es wenigstens bekannt zu
machen. Dazu war es doch abends um zehn Uhr zu spät. Der Bürgermeister
aber versicherte, ich müsse unbedingt kommen; die Sache sei von höchster
Wichtigkeit, K. sei eine sehr angesehene Gemeinde, habe sich eben erst der alt¬
katholischen Bewegung angeschlossen, Michelis habe den ersten Gottesdienst
abgehalten, die Leute seien Feuer und Flamme, aber man müsse das Eisen
schmieden, so lange es warm sei; man könne nicht wissen, ob nicht die vielen
noch Schwankenden wieder abfielen, wenn sie morgen vergebens zur Kirche
kämen. Und auf K. schaue das ganze Oberland; es sei eine strategische Position
(diesen Ausdruck gebrauchte der Bürgermeister selbst freilich nicht) ersten Ranges;
Offenburg sei sicher gewonnen, da könne das Ausfallen eines Gottesdienstes
keinen Schaden anrichten. Geiger sekundirte dem Bürgermeister, und beide be¬
stürmten mich. Ich sagte zu Jntlekofer: Wir Altkatholiken haben die Priester-
Herrschaft abgeschafft, der Kirchenvorstand leitet die Gemeindeangelegenheiten,
Sie sind der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, also bitte, entscheiden Sie!
Der aber zuckte verlegen die Achseln und sagte: Nein, nein! in solchen
Dingen habe ich nichts zu entscheide, da müssen Sie sich schon nach eignem
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