Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

ist aber nicht mechanisch eine gewisse Zahl von Jahren als Grenze aufzustellen,
sondern man muß sich den ganzen Mann ansehen. Das Reichsgericht hatte
und hat Präsidenten, die weit über die Mitte der Siebziger hinaus ihr Amt
in voller Geistesfrische, weit Jüngern zu glänzendem Vorbilde, verwalten.
Nach dem guten altpreußischen Grundsatz, daß die Ernennung zu ähnlich hohen
Ämtern sich noch lohne, wenn noch auf fünfjährige Rüstigkeit mit Wahr¬
scheinlichkeit zu rechnen sei, würden sie auch in der zweiten Hälfte ihrer sechziger
Jahre noch mit bestem Erfolge in ihrer Stellen berufen worden sein. Und
wie tief verletzend, die letzte Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit raubend, ist es
für Männer, wie sie das Reichsgericht ebenfalls gehabt hat und noch hat, die
Jahr um Jahr einen Senatspräsidenten in anerkannt trefflichster Weise ver¬
treten haben, wenn ihnen bei Eintritt einer Vakanz zugerufen wird: Du hast
zwar die Geschäfte des Präsidenten bestens verwaltet, kannst und magst es auch
weiter thun, aber den Namen des Präsidenten zu führen bist du zu alt, wärest
du sogar schon während der ganzen Zeit, die du das Amt verwaltet hast, zu
alt gewesen! Vor allem aber besetze man nicht die Stellen der Senats-
präsidenten dnrch Einschiebung. Das Reichsgericht hat unter seinen Räten
genug Männer, die zum Vorsitz vollständig befähigt find, und es ist kein ver¬
werflicher Ehrgeiz, wenn sie und alle ihre Kollegen mit ihnen es als schwere
Kränkung empfinden, daß die wenigen Ehrenstellen, die ihnen offen stehen
könnten, Fremden verliehen werden, deren Verdienste auf ganz andern Gebieten
liegen, und die daher nicht diesen Lohn zu beanspruchen haben. Eben weil es
sich um eine Einschiebung aus einem ganz fremden Ressort handelt, hat auch
die von Henrici als überraschend bezeichnete Ernennung aus jüngster Zeit so
großes "Aufsehen" in juristischen, zumal in Reichsgerichtskreisen gemacht; nicht
etwa, weil man die Befähigung des Ernannten bezweifelt hätte. Darüber nur
die Zukunft entscheiden zu lassen, ist man beim Reichsgerichte selbst einsichtig
genug. Übrigens dürfte auch diese jüngste Ernennung nichts gegen das Vor¬
schlagsrecht der Einzelstaaten beweisen, denn sie hat einen Beamten getroffen,
der schon im Neichsdienste stand, sie hat also schwerlich in einem Vorschlage
des preußischen Justizministers ihren Grund.

Lasse man also den Räten des Reichsgerichts die volle Aussicht, je nach
Verdienst und Befähigung in die Senatspräsidentenstellen auszurücken, und besetze
man, wenn irgend möglich, in künftigen Fällen auch die Stelle des ersten
Präsidenten aus dem Gerichtshofe selbst.




Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

ist aber nicht mechanisch eine gewisse Zahl von Jahren als Grenze aufzustellen,
sondern man muß sich den ganzen Mann ansehen. Das Reichsgericht hatte
und hat Präsidenten, die weit über die Mitte der Siebziger hinaus ihr Amt
in voller Geistesfrische, weit Jüngern zu glänzendem Vorbilde, verwalten.
Nach dem guten altpreußischen Grundsatz, daß die Ernennung zu ähnlich hohen
Ämtern sich noch lohne, wenn noch auf fünfjährige Rüstigkeit mit Wahr¬
scheinlichkeit zu rechnen sei, würden sie auch in der zweiten Hälfte ihrer sechziger
Jahre noch mit bestem Erfolge in ihrer Stellen berufen worden sein. Und
wie tief verletzend, die letzte Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit raubend, ist es
für Männer, wie sie das Reichsgericht ebenfalls gehabt hat und noch hat, die
Jahr um Jahr einen Senatspräsidenten in anerkannt trefflichster Weise ver¬
treten haben, wenn ihnen bei Eintritt einer Vakanz zugerufen wird: Du hast
zwar die Geschäfte des Präsidenten bestens verwaltet, kannst und magst es auch
weiter thun, aber den Namen des Präsidenten zu führen bist du zu alt, wärest
du sogar schon während der ganzen Zeit, die du das Amt verwaltet hast, zu
alt gewesen! Vor allem aber besetze man nicht die Stellen der Senats-
präsidenten dnrch Einschiebung. Das Reichsgericht hat unter seinen Räten
genug Männer, die zum Vorsitz vollständig befähigt find, und es ist kein ver¬
werflicher Ehrgeiz, wenn sie und alle ihre Kollegen mit ihnen es als schwere
Kränkung empfinden, daß die wenigen Ehrenstellen, die ihnen offen stehen
könnten, Fremden verliehen werden, deren Verdienste auf ganz andern Gebieten
liegen, und die daher nicht diesen Lohn zu beanspruchen haben. Eben weil es
sich um eine Einschiebung aus einem ganz fremden Ressort handelt, hat auch
die von Henrici als überraschend bezeichnete Ernennung aus jüngster Zeit so
großes „Aufsehen" in juristischen, zumal in Reichsgerichtskreisen gemacht; nicht
etwa, weil man die Befähigung des Ernannten bezweifelt hätte. Darüber nur
die Zukunft entscheiden zu lassen, ist man beim Reichsgerichte selbst einsichtig
genug. Übrigens dürfte auch diese jüngste Ernennung nichts gegen das Vor¬
schlagsrecht der Einzelstaaten beweisen, denn sie hat einen Beamten getroffen,
der schon im Neichsdienste stand, sie hat also schwerlich in einem Vorschlage
des preußischen Justizministers ihren Grund.

Lasse man also den Räten des Reichsgerichts die volle Aussicht, je nach
Verdienst und Befähigung in die Senatspräsidentenstellen auszurücken, und besetze
man, wenn irgend möglich, in künftigen Fällen auch die Stelle des ersten
Präsidenten aus dem Gerichtshofe selbst.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224481"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_626" prev="#ID_625"> ist aber nicht mechanisch eine gewisse Zahl von Jahren als Grenze aufzustellen,<lb/>
sondern man muß sich den ganzen Mann ansehen. Das Reichsgericht hatte<lb/>
und hat Präsidenten, die weit über die Mitte der Siebziger hinaus ihr Amt<lb/>
in voller Geistesfrische, weit Jüngern zu glänzendem Vorbilde, verwalten.<lb/>
Nach dem guten altpreußischen Grundsatz, daß die Ernennung zu ähnlich hohen<lb/>
Ämtern sich noch lohne, wenn noch auf fünfjährige Rüstigkeit mit Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit zu rechnen sei, würden sie auch in der zweiten Hälfte ihrer sechziger<lb/>
Jahre noch mit bestem Erfolge in ihrer Stellen berufen worden sein. Und<lb/>
wie tief verletzend, die letzte Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit raubend, ist es<lb/>
für Männer, wie sie das Reichsgericht ebenfalls gehabt hat und noch hat, die<lb/>
Jahr um Jahr einen Senatspräsidenten in anerkannt trefflichster Weise ver¬<lb/>
treten haben, wenn ihnen bei Eintritt einer Vakanz zugerufen wird: Du hast<lb/>
zwar die Geschäfte des Präsidenten bestens verwaltet, kannst und magst es auch<lb/>
weiter thun, aber den Namen des Präsidenten zu führen bist du zu alt, wärest<lb/>
du sogar schon während der ganzen Zeit, die du das Amt verwaltet hast, zu<lb/>
alt gewesen! Vor allem aber besetze man nicht die Stellen der Senats-<lb/>
präsidenten dnrch Einschiebung. Das Reichsgericht hat unter seinen Räten<lb/>
genug Männer, die zum Vorsitz vollständig befähigt find, und es ist kein ver¬<lb/>
werflicher Ehrgeiz, wenn sie und alle ihre Kollegen mit ihnen es als schwere<lb/>
Kränkung empfinden, daß die wenigen Ehrenstellen, die ihnen offen stehen<lb/>
könnten, Fremden verliehen werden, deren Verdienste auf ganz andern Gebieten<lb/>
liegen, und die daher nicht diesen Lohn zu beanspruchen haben. Eben weil es<lb/>
sich um eine Einschiebung aus einem ganz fremden Ressort handelt, hat auch<lb/>
die von Henrici als überraschend bezeichnete Ernennung aus jüngster Zeit so<lb/>
großes &#x201E;Aufsehen" in juristischen, zumal in Reichsgerichtskreisen gemacht; nicht<lb/>
etwa, weil man die Befähigung des Ernannten bezweifelt hätte. Darüber nur<lb/>
die Zukunft entscheiden zu lassen, ist man beim Reichsgerichte selbst einsichtig<lb/>
genug. Übrigens dürfte auch diese jüngste Ernennung nichts gegen das Vor¬<lb/>
schlagsrecht der Einzelstaaten beweisen, denn sie hat einen Beamten getroffen,<lb/>
der schon im Neichsdienste stand, sie hat also schwerlich in einem Vorschlage<lb/>
des preußischen Justizministers ihren Grund.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_627"> Lasse man also den Räten des Reichsgerichts die volle Aussicht, je nach<lb/>
Verdienst und Befähigung in die Senatspräsidentenstellen auszurücken, und besetze<lb/>
man, wenn irgend möglich, in künftigen Fällen auch die Stelle des ersten<lb/>
Präsidenten aus dem Gerichtshofe selbst.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts ist aber nicht mechanisch eine gewisse Zahl von Jahren als Grenze aufzustellen, sondern man muß sich den ganzen Mann ansehen. Das Reichsgericht hatte und hat Präsidenten, die weit über die Mitte der Siebziger hinaus ihr Amt in voller Geistesfrische, weit Jüngern zu glänzendem Vorbilde, verwalten. Nach dem guten altpreußischen Grundsatz, daß die Ernennung zu ähnlich hohen Ämtern sich noch lohne, wenn noch auf fünfjährige Rüstigkeit mit Wahr¬ scheinlichkeit zu rechnen sei, würden sie auch in der zweiten Hälfte ihrer sechziger Jahre noch mit bestem Erfolge in ihrer Stellen berufen worden sein. Und wie tief verletzend, die letzte Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit raubend, ist es für Männer, wie sie das Reichsgericht ebenfalls gehabt hat und noch hat, die Jahr um Jahr einen Senatspräsidenten in anerkannt trefflichster Weise ver¬ treten haben, wenn ihnen bei Eintritt einer Vakanz zugerufen wird: Du hast zwar die Geschäfte des Präsidenten bestens verwaltet, kannst und magst es auch weiter thun, aber den Namen des Präsidenten zu führen bist du zu alt, wärest du sogar schon während der ganzen Zeit, die du das Amt verwaltet hast, zu alt gewesen! Vor allem aber besetze man nicht die Stellen der Senats- präsidenten dnrch Einschiebung. Das Reichsgericht hat unter seinen Räten genug Männer, die zum Vorsitz vollständig befähigt find, und es ist kein ver¬ werflicher Ehrgeiz, wenn sie und alle ihre Kollegen mit ihnen es als schwere Kränkung empfinden, daß die wenigen Ehrenstellen, die ihnen offen stehen könnten, Fremden verliehen werden, deren Verdienste auf ganz andern Gebieten liegen, und die daher nicht diesen Lohn zu beanspruchen haben. Eben weil es sich um eine Einschiebung aus einem ganz fremden Ressort handelt, hat auch die von Henrici als überraschend bezeichnete Ernennung aus jüngster Zeit so großes „Aufsehen" in juristischen, zumal in Reichsgerichtskreisen gemacht; nicht etwa, weil man die Befähigung des Ernannten bezweifelt hätte. Darüber nur die Zukunft entscheiden zu lassen, ist man beim Reichsgerichte selbst einsichtig genug. Übrigens dürfte auch diese jüngste Ernennung nichts gegen das Vor¬ schlagsrecht der Einzelstaaten beweisen, denn sie hat einen Beamten getroffen, der schon im Neichsdienste stand, sie hat also schwerlich in einem Vorschlage des preußischen Justizministers ihren Grund. Lasse man also den Räten des Reichsgerichts die volle Aussicht, je nach Verdienst und Befähigung in die Senatspräsidentenstellen auszurücken, und besetze man, wenn irgend möglich, in künftigen Fällen auch die Stelle des ersten Präsidenten aus dem Gerichtshofe selbst.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/235>, abgerufen am 27.09.2024.