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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf

die Arbeiter, daß er das der Industrie zu Gebote stehende Kapital schwächt,
sondern auch dadurch, daß er in ganz unbesonnener Weise von örtlichen und
sachlichen Nachbargebieten Arbeiter anlockt, die sonst nie daran gedacht hätten,
sich auf dem neuen Felde zu versuchen, um aber, nachdem sie einmal über¬
getreten sind, dableiben und so die Zahl der auf diesem Gebiete thätigen
Arbeitskräfte dauernd vermehren. Damit ist aber wieder die Hauptursache
für niedrige Löhne gegeben.

Der Punkt, gegen dessen Anerkennung sich die Arbeiter am stärksten
sträuben, ist der, daß auch die menschliche Arbeit eine Ware ist, deren Preis
sich nach Angebot und Nachfrage bemißt. Hoffentlich haben sie für dieses
Sträuben in Zukunft uicht allzusehr zu büßen.

Aber wenn auch nach Beendigung eines Aufstandes die Lage für die
Arbeiter weniger günstig ist als vor seinem Beginn, so entsteht doch Wohl
wenigstens während des Aufstandes, der ja das Angebot von Arbeitskräften
stark vermindert, eine günstige Lage sür sie? Nun, diese günstige Lage unter¬
scheidet sich zunächst in einem wichtigen Punkte von der, die ein natürlicher
Maugel an leistungsfähigen Arbeitskräften erzeugt. Während nämlich bei
einem solchen natürlichen Mangel alle in Arbeit befindlichen Arbeiter eine
Lohnsteigerung erfahren, und durch das Steigen ihrer Löhne andre angelockt
werden, sich derselben Beschäftigung zuzuwenden, so zieht zwar ein Streik eben¬
falls andre Arbeitskräfte nach dem Beschäftigungszweig, in dem er stattfindet;
aber die in ihm regelmäßig arbeitenden Leute erfahren nicht nur keine Lohn-
fteigerung, sondern sie beziehen überhaupt keinen Lohn, höchstens Unterstützungen
aus der Ausstandskasse. Aber das ist vielleicht nur etwas Äußerliches. Was
würde man aber wohl von ein paar Kaufleuten eines bestimmten Zweiges
sagen, die erklärten (obwohl sie zehnmal soviel Konkurrenten haben, als ihre
Zahl beträgt), sie würden auf unbestimmte Zeit hinaus nichts mehr verkaufen,
bis die von ihnen vertretenen Artikel einen gewissen Preis erreicht hätten?
Und dabei wüßte überdies noch jedermann, daß sie in nicht zu langer Zeit,
seien es nun Wochen oder Monate, durch die Not gezwungen sein würden,
doch zu verkaufen? Würde ihr Verhalten irgend welchen Einfluß auf den
Preis des fraglichen Artikels ausüben? Gewiß würden alle Aufträge an ihre
Konkurrenten gehen, und deren Geschäft würde dadurch zu doppelter Blüte
gelangen. Selbst wenn alle Händler dieses Zweigs einen Ring bildeten und
den Gesamtverkauf des Artikels einstellten, so würde doch, wenn jedermann
wüßte, daß die Not sie bald zum Verkauf zwingen müsse, die Sache auf
niemand irgend welchen Eindruck machen. Die kurze Zeit würde man sich
eben so behelfen. Beträfe die Sache aber z. B. Kohlen oder Lebensmittel, so
würde sich die Gesellschaft gewaltsam erheben und deu betreffenden ihren Besitz
einfach entreißen. Und das wäre nur die gerechte Strafe für den Mißbrauch
eines Monopols. Und da sollte bei einem Aufstand von Arbeitern die Sache


Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf

die Arbeiter, daß er das der Industrie zu Gebote stehende Kapital schwächt,
sondern auch dadurch, daß er in ganz unbesonnener Weise von örtlichen und
sachlichen Nachbargebieten Arbeiter anlockt, die sonst nie daran gedacht hätten,
sich auf dem neuen Felde zu versuchen, um aber, nachdem sie einmal über¬
getreten sind, dableiben und so die Zahl der auf diesem Gebiete thätigen
Arbeitskräfte dauernd vermehren. Damit ist aber wieder die Hauptursache
für niedrige Löhne gegeben.

Der Punkt, gegen dessen Anerkennung sich die Arbeiter am stärksten
sträuben, ist der, daß auch die menschliche Arbeit eine Ware ist, deren Preis
sich nach Angebot und Nachfrage bemißt. Hoffentlich haben sie für dieses
Sträuben in Zukunft uicht allzusehr zu büßen.

Aber wenn auch nach Beendigung eines Aufstandes die Lage für die
Arbeiter weniger günstig ist als vor seinem Beginn, so entsteht doch Wohl
wenigstens während des Aufstandes, der ja das Angebot von Arbeitskräften
stark vermindert, eine günstige Lage sür sie? Nun, diese günstige Lage unter¬
scheidet sich zunächst in einem wichtigen Punkte von der, die ein natürlicher
Maugel an leistungsfähigen Arbeitskräften erzeugt. Während nämlich bei
einem solchen natürlichen Mangel alle in Arbeit befindlichen Arbeiter eine
Lohnsteigerung erfahren, und durch das Steigen ihrer Löhne andre angelockt
werden, sich derselben Beschäftigung zuzuwenden, so zieht zwar ein Streik eben¬
falls andre Arbeitskräfte nach dem Beschäftigungszweig, in dem er stattfindet;
aber die in ihm regelmäßig arbeitenden Leute erfahren nicht nur keine Lohn-
fteigerung, sondern sie beziehen überhaupt keinen Lohn, höchstens Unterstützungen
aus der Ausstandskasse. Aber das ist vielleicht nur etwas Äußerliches. Was
würde man aber wohl von ein paar Kaufleuten eines bestimmten Zweiges
sagen, die erklärten (obwohl sie zehnmal soviel Konkurrenten haben, als ihre
Zahl beträgt), sie würden auf unbestimmte Zeit hinaus nichts mehr verkaufen,
bis die von ihnen vertretenen Artikel einen gewissen Preis erreicht hätten?
Und dabei wüßte überdies noch jedermann, daß sie in nicht zu langer Zeit,
seien es nun Wochen oder Monate, durch die Not gezwungen sein würden,
doch zu verkaufen? Würde ihr Verhalten irgend welchen Einfluß auf den
Preis des fraglichen Artikels ausüben? Gewiß würden alle Aufträge an ihre
Konkurrenten gehen, und deren Geschäft würde dadurch zu doppelter Blüte
gelangen. Selbst wenn alle Händler dieses Zweigs einen Ring bildeten und
den Gesamtverkauf des Artikels einstellten, so würde doch, wenn jedermann
wüßte, daß die Not sie bald zum Verkauf zwingen müsse, die Sache auf
niemand irgend welchen Eindruck machen. Die kurze Zeit würde man sich
eben so behelfen. Beträfe die Sache aber z. B. Kohlen oder Lebensmittel, so
würde sich die Gesellschaft gewaltsam erheben und deu betreffenden ihren Besitz
einfach entreißen. Und das wäre nur die gerechte Strafe für den Mißbrauch
eines Monopols. Und da sollte bei einem Aufstand von Arbeitern die Sache


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[0227] Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf die Arbeiter, daß er das der Industrie zu Gebote stehende Kapital schwächt, sondern auch dadurch, daß er in ganz unbesonnener Weise von örtlichen und sachlichen Nachbargebieten Arbeiter anlockt, die sonst nie daran gedacht hätten, sich auf dem neuen Felde zu versuchen, um aber, nachdem sie einmal über¬ getreten sind, dableiben und so die Zahl der auf diesem Gebiete thätigen Arbeitskräfte dauernd vermehren. Damit ist aber wieder die Hauptursache für niedrige Löhne gegeben. Der Punkt, gegen dessen Anerkennung sich die Arbeiter am stärksten sträuben, ist der, daß auch die menschliche Arbeit eine Ware ist, deren Preis sich nach Angebot und Nachfrage bemißt. Hoffentlich haben sie für dieses Sträuben in Zukunft uicht allzusehr zu büßen. Aber wenn auch nach Beendigung eines Aufstandes die Lage für die Arbeiter weniger günstig ist als vor seinem Beginn, so entsteht doch Wohl wenigstens während des Aufstandes, der ja das Angebot von Arbeitskräften stark vermindert, eine günstige Lage sür sie? Nun, diese günstige Lage unter¬ scheidet sich zunächst in einem wichtigen Punkte von der, die ein natürlicher Maugel an leistungsfähigen Arbeitskräften erzeugt. Während nämlich bei einem solchen natürlichen Mangel alle in Arbeit befindlichen Arbeiter eine Lohnsteigerung erfahren, und durch das Steigen ihrer Löhne andre angelockt werden, sich derselben Beschäftigung zuzuwenden, so zieht zwar ein Streik eben¬ falls andre Arbeitskräfte nach dem Beschäftigungszweig, in dem er stattfindet; aber die in ihm regelmäßig arbeitenden Leute erfahren nicht nur keine Lohn- fteigerung, sondern sie beziehen überhaupt keinen Lohn, höchstens Unterstützungen aus der Ausstandskasse. Aber das ist vielleicht nur etwas Äußerliches. Was würde man aber wohl von ein paar Kaufleuten eines bestimmten Zweiges sagen, die erklärten (obwohl sie zehnmal soviel Konkurrenten haben, als ihre Zahl beträgt), sie würden auf unbestimmte Zeit hinaus nichts mehr verkaufen, bis die von ihnen vertretenen Artikel einen gewissen Preis erreicht hätten? Und dabei wüßte überdies noch jedermann, daß sie in nicht zu langer Zeit, seien es nun Wochen oder Monate, durch die Not gezwungen sein würden, doch zu verkaufen? Würde ihr Verhalten irgend welchen Einfluß auf den Preis des fraglichen Artikels ausüben? Gewiß würden alle Aufträge an ihre Konkurrenten gehen, und deren Geschäft würde dadurch zu doppelter Blüte gelangen. Selbst wenn alle Händler dieses Zweigs einen Ring bildeten und den Gesamtverkauf des Artikels einstellten, so würde doch, wenn jedermann wüßte, daß die Not sie bald zum Verkauf zwingen müsse, die Sache auf niemand irgend welchen Eindruck machen. Die kurze Zeit würde man sich eben so behelfen. Beträfe die Sache aber z. B. Kohlen oder Lebensmittel, so würde sich die Gesellschaft gewaltsam erheben und deu betreffenden ihren Besitz einfach entreißen. Und das wäre nur die gerechte Strafe für den Mißbrauch eines Monopols. Und da sollte bei einem Aufstand von Arbeitern die Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/227>, abgerufen am 27.09.2024.