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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Ver Aufstand als Waffe im Lohnkampf

häusiger sie mit der Zeit vorkommen. Die ersten großen Aufstände haben,
namentlich wo sie plötzlich eintraten und in eine Zeit fielen, die für den
Arbeitgeber reich an Auftrügen war, den Unternehmern oft riesigen Schaden
zugefügt, da sie Konventionalstrafen zahlen mußten, oder ihnen die verspätete
Arbeit gar nicht oder nur zu herabgesetzten Preise von den Bestellern ab¬
genommen wurde. Dem hat man seitdem vorgebeugt. In die meisten größern
Lieferungsverträge wird jetzt neben andern Klauseln auch die Klausel auf¬
genommen, daß der Ausbruch eines Streiks den Fabrikanten von der Licfe-
rungspflicht entbinden solle, gerade wie Lebensversicherungsgesellschaften ihre
Verpflichtung ausdrücklich für den Kriegsfall aufheben. Zahlreiche "Werke"
gehen schon hente keine andern Verträge mehr ein. Dann bleibt nur der
Verlust an Kapitalzius und Unternehmergewinn für die Zeit, wo die Maschinen
stillstehen. In Australien sollen in Streikfällen die Fabrikanten heute die
Fabrik schließen, ihren Beamten acht Wochen Urlaub geben und selbst die Zeit
zu einer Erholungsreise benutzen. Auf diese Weise -- daß vertragsmäßig alle
Urlande in die Streikzeit gelegt werden können -- werden die Kosten nicht
unbeträchtlich verringert. Wo aber, was nirgends ganz zu vermeiden sein
wird, doch noch Verluste entstehen, da müssen sich die Unternehmer in der
Zeit, wo gearbeitet wird, dafür schadlos halten, und künftig wird es ver¬
mutlich zu einem geordneten Kostenanschlag für jedes Geschäftsjahr gehören,
auf Verlust durch Aufstände zu rechnen. Dadurch muß aber Kapital gebunden
werden, das nun nicht in Erweiterungen zum Ausdruck kommen kann, ja sogar
zu Einschränkungen der Arbeiterzahl führen muß, und dadurch wieder zu Über¬
schuß an Arbeitskräften, dem Hauptgrund niedriger Löhne.

Aber noch in andrer Beziehung führen Aufstände zu demselben Ergebnis.
Es hat bisher -- vielleicht abgesehen von Australien, wo die Bevölkerung sehr
dünn ist -- noch keinen Aufstand gegeben, der nicht nur alle Angehörige"
eines bestimmten Jndustriezweigs, sondern auch alle in Ausstandszeiten möglicher¬
weise verwendbaren Kräfte aus ähnlichen Arbeitszweigen umfaßt hätte. So¬
lange das so sein wird, werden auch beim Ausbruch eines Streiks aus allen
nahestehenden Arbeitsfächern Ersatzkrüfte heranströmen, was, wie der Hamburger
Hafenarbeiterstreik gezeigt hat, deu Ausständigen sehr verhängnisvoll werden
kann. Selbst wenn der Streik "siegreich" ist, d. h. wenn nach einer lungern
oder kürzern Arbeitsunterbrechung die Arbeitgeber die Lohnerhöhung bewilligen,
ist damit noch nicht die Rückkehr zu den frühern Verhältnissen gewonnen,
sondern in dem Angenblick, wo die Aufständischen die Arbeit wieder aufnehmen,
besteht ein Überschuß an Arbeitskräften wie nie zuvor. Denn die "Streik¬
brecher," die inzwischen in größerer oder kleinerer Anzahl in dem von dem
Aufstand betroffnen Gebiete gearbeitet haben, sind doch anch da. Damit ist
aber wieder ein gewichtiger Grund für eine Lohnverringerung statt für eine
Lohnstcigerung gegeben. Der Streik wirkt also nicht nur dadurch schädlich für


Ver Aufstand als Waffe im Lohnkampf

häusiger sie mit der Zeit vorkommen. Die ersten großen Aufstände haben,
namentlich wo sie plötzlich eintraten und in eine Zeit fielen, die für den
Arbeitgeber reich an Auftrügen war, den Unternehmern oft riesigen Schaden
zugefügt, da sie Konventionalstrafen zahlen mußten, oder ihnen die verspätete
Arbeit gar nicht oder nur zu herabgesetzten Preise von den Bestellern ab¬
genommen wurde. Dem hat man seitdem vorgebeugt. In die meisten größern
Lieferungsverträge wird jetzt neben andern Klauseln auch die Klausel auf¬
genommen, daß der Ausbruch eines Streiks den Fabrikanten von der Licfe-
rungspflicht entbinden solle, gerade wie Lebensversicherungsgesellschaften ihre
Verpflichtung ausdrücklich für den Kriegsfall aufheben. Zahlreiche „Werke"
gehen schon hente keine andern Verträge mehr ein. Dann bleibt nur der
Verlust an Kapitalzius und Unternehmergewinn für die Zeit, wo die Maschinen
stillstehen. In Australien sollen in Streikfällen die Fabrikanten heute die
Fabrik schließen, ihren Beamten acht Wochen Urlaub geben und selbst die Zeit
zu einer Erholungsreise benutzen. Auf diese Weise — daß vertragsmäßig alle
Urlande in die Streikzeit gelegt werden können — werden die Kosten nicht
unbeträchtlich verringert. Wo aber, was nirgends ganz zu vermeiden sein
wird, doch noch Verluste entstehen, da müssen sich die Unternehmer in der
Zeit, wo gearbeitet wird, dafür schadlos halten, und künftig wird es ver¬
mutlich zu einem geordneten Kostenanschlag für jedes Geschäftsjahr gehören,
auf Verlust durch Aufstände zu rechnen. Dadurch muß aber Kapital gebunden
werden, das nun nicht in Erweiterungen zum Ausdruck kommen kann, ja sogar
zu Einschränkungen der Arbeiterzahl führen muß, und dadurch wieder zu Über¬
schuß an Arbeitskräften, dem Hauptgrund niedriger Löhne.

Aber noch in andrer Beziehung führen Aufstände zu demselben Ergebnis.
Es hat bisher — vielleicht abgesehen von Australien, wo die Bevölkerung sehr
dünn ist — noch keinen Aufstand gegeben, der nicht nur alle Angehörige«
eines bestimmten Jndustriezweigs, sondern auch alle in Ausstandszeiten möglicher¬
weise verwendbaren Kräfte aus ähnlichen Arbeitszweigen umfaßt hätte. So¬
lange das so sein wird, werden auch beim Ausbruch eines Streiks aus allen
nahestehenden Arbeitsfächern Ersatzkrüfte heranströmen, was, wie der Hamburger
Hafenarbeiterstreik gezeigt hat, deu Ausständigen sehr verhängnisvoll werden
kann. Selbst wenn der Streik „siegreich" ist, d. h. wenn nach einer lungern
oder kürzern Arbeitsunterbrechung die Arbeitgeber die Lohnerhöhung bewilligen,
ist damit noch nicht die Rückkehr zu den frühern Verhältnissen gewonnen,
sondern in dem Angenblick, wo die Aufständischen die Arbeit wieder aufnehmen,
besteht ein Überschuß an Arbeitskräften wie nie zuvor. Denn die „Streik¬
brecher," die inzwischen in größerer oder kleinerer Anzahl in dem von dem
Aufstand betroffnen Gebiete gearbeitet haben, sind doch anch da. Damit ist
aber wieder ein gewichtiger Grund für eine Lohnverringerung statt für eine
Lohnstcigerung gegeben. Der Streik wirkt also nicht nur dadurch schädlich für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/226>, abgerufen am 27.09.2024.