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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

Justiz und Verwaltung vereint recht viel thun. Das ist doch einige Hilfe.
Haben wir sie geleistet?

Gerade in dem, worin wir mäßig sein und die Leute an uns heran¬
kommen lassen sollten, sind wir unersättlich und locken sie an. Um von einem
Mann, den wir erst notabel gemacht haben, ein paar Worte oder einige Schein-
Werke zu erhalten, die wie Anerkennung gedeutet werdeu können, mit Biegen
oder Brechen, geben wir ihm wirkliche Macht in die Hand. Er benutzt sie
vor allem dazu, seine Gegner zu unterdrücken. Wie oft sind das Leute, denen
wir gegen ihn helfen sollten, Schwache oder Hilfsbedürftige oder solche, die
sich wirklich von Herzen zu uns halten mochten! Ist erst der große Hans
fertig, dann wird er gegen uns kalt, spielt den Cato oder was sonst nach
seinem Temperament für eine Rolle, für uns ist er nicht mehr zu haben. Er
kehrt sogar seine Macht gegen uns, und wir müssen es uns gefallen lassen und
mit ihn: rechnen, denn unsern Irrtum einzugestehen und die Folgerungen zu
ziehen, haben wir zu viel Eigenliebe und sind wir zu schwach. Aus vielen
Fällen wird auch eine Kette, die schwerer zu durchbrechen ist.

Das und ähnliches hat unsre Unterwerfung unter die Notabeln und ihre
Vertretungen, den Landesausschuß mit seinen Lokaltrabauten, zur Folge gehabt.
Sie herrschen mit und über uns, gerade wie die Kirche in unsrer Stciatsschnle
herrscht. In den Vertretungen haben wir sogar kaum den formellen Ober¬
befehl behalten, während wir in ihnen nicht geringere Klagen über schlechte Be¬
handlung zu hören bekommen. Die Kirche sündigt nur in ihren Dienern, aus
der Schule dürfen wir sie nicht entfernen; ihre Taktik, daß sie jede Hilfe
annimmt, von welchem Geiste sie auch eingegeben sein möge, und daß sie nie
dankt, sondern immer weiter fordert, mahnt uns nur daran, daß auch wir das
alö ut <i<zö nicht vergessen dürfen. Das 6o ut ass gehört einesteils zum
unentbehrlichen Handwerkszeug des Politikers und zum Kunstgcrät des Staats¬
manns, es enthält auch eine ethische Mahnung, es heißt ja weiterhin av ut
Kuziiis. Bei den Notabeln brauchen wir nicht dieselben Rücksichten zu nehmen
wie bei der Kirche, wir können ihnen geradeswegs an den Leib. Sie gelten nur,
weil wir sie gelten lassen- Daß sich die Verhältnisse nach fünfundzwanzig
Jahren gesetzt haben, fordert uns mit verstärktem Nachdruck auf, die Notabeln
nach ihrem Wert für uns und für das Gemeinwohl zu sichten und uns den Nest
nicht wieder über den Kopf wachsen zu lassen. Wenn wir den Landesansschuß
mit Vorlagen auf halbe Ration setzen und die richtige Beratung des Budgets
verlangen, wird das rechte Verhältnis eingeleitet sein, und der Landesausschuß
kann sich für manches recht brauchbar erweisen. Gewisse Geisteseigenschaften
sind ja in ihm nicht reichlich vertreten oder haben mehr französisches als
deutsches Gepräge, aber es findet sich in ihm viel gesunder Menschenverstand
und ein besondres Verständnis für die wirklichen Machtverhältnisse. Auch an
gutem Willen kann es bei vielen Mitgliedern nicht fehlen; dieser Teil ist jetzt


Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

Justiz und Verwaltung vereint recht viel thun. Das ist doch einige Hilfe.
Haben wir sie geleistet?

Gerade in dem, worin wir mäßig sein und die Leute an uns heran¬
kommen lassen sollten, sind wir unersättlich und locken sie an. Um von einem
Mann, den wir erst notabel gemacht haben, ein paar Worte oder einige Schein-
Werke zu erhalten, die wie Anerkennung gedeutet werdeu können, mit Biegen
oder Brechen, geben wir ihm wirkliche Macht in die Hand. Er benutzt sie
vor allem dazu, seine Gegner zu unterdrücken. Wie oft sind das Leute, denen
wir gegen ihn helfen sollten, Schwache oder Hilfsbedürftige oder solche, die
sich wirklich von Herzen zu uns halten mochten! Ist erst der große Hans
fertig, dann wird er gegen uns kalt, spielt den Cato oder was sonst nach
seinem Temperament für eine Rolle, für uns ist er nicht mehr zu haben. Er
kehrt sogar seine Macht gegen uns, und wir müssen es uns gefallen lassen und
mit ihn: rechnen, denn unsern Irrtum einzugestehen und die Folgerungen zu
ziehen, haben wir zu viel Eigenliebe und sind wir zu schwach. Aus vielen
Fällen wird auch eine Kette, die schwerer zu durchbrechen ist.

Das und ähnliches hat unsre Unterwerfung unter die Notabeln und ihre
Vertretungen, den Landesausschuß mit seinen Lokaltrabauten, zur Folge gehabt.
Sie herrschen mit und über uns, gerade wie die Kirche in unsrer Stciatsschnle
herrscht. In den Vertretungen haben wir sogar kaum den formellen Ober¬
befehl behalten, während wir in ihnen nicht geringere Klagen über schlechte Be¬
handlung zu hören bekommen. Die Kirche sündigt nur in ihren Dienern, aus
der Schule dürfen wir sie nicht entfernen; ihre Taktik, daß sie jede Hilfe
annimmt, von welchem Geiste sie auch eingegeben sein möge, und daß sie nie
dankt, sondern immer weiter fordert, mahnt uns nur daran, daß auch wir das
alö ut <i<zö nicht vergessen dürfen. Das 6o ut ass gehört einesteils zum
unentbehrlichen Handwerkszeug des Politikers und zum Kunstgcrät des Staats¬
manns, es enthält auch eine ethische Mahnung, es heißt ja weiterhin av ut
Kuziiis. Bei den Notabeln brauchen wir nicht dieselben Rücksichten zu nehmen
wie bei der Kirche, wir können ihnen geradeswegs an den Leib. Sie gelten nur,
weil wir sie gelten lassen- Daß sich die Verhältnisse nach fünfundzwanzig
Jahren gesetzt haben, fordert uns mit verstärktem Nachdruck auf, die Notabeln
nach ihrem Wert für uns und für das Gemeinwohl zu sichten und uns den Nest
nicht wieder über den Kopf wachsen zu lassen. Wenn wir den Landesansschuß
mit Vorlagen auf halbe Ration setzen und die richtige Beratung des Budgets
verlangen, wird das rechte Verhältnis eingeleitet sein, und der Landesausschuß
kann sich für manches recht brauchbar erweisen. Gewisse Geisteseigenschaften
sind ja in ihm nicht reichlich vertreten oder haben mehr französisches als
deutsches Gepräge, aber es findet sich in ihm viel gesunder Menschenverstand
und ein besondres Verständnis für die wirklichen Machtverhältnisse. Auch an
gutem Willen kann es bei vielen Mitgliedern nicht fehlen; dieser Teil ist jetzt


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[0223] Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande Justiz und Verwaltung vereint recht viel thun. Das ist doch einige Hilfe. Haben wir sie geleistet? Gerade in dem, worin wir mäßig sein und die Leute an uns heran¬ kommen lassen sollten, sind wir unersättlich und locken sie an. Um von einem Mann, den wir erst notabel gemacht haben, ein paar Worte oder einige Schein- Werke zu erhalten, die wie Anerkennung gedeutet werdeu können, mit Biegen oder Brechen, geben wir ihm wirkliche Macht in die Hand. Er benutzt sie vor allem dazu, seine Gegner zu unterdrücken. Wie oft sind das Leute, denen wir gegen ihn helfen sollten, Schwache oder Hilfsbedürftige oder solche, die sich wirklich von Herzen zu uns halten mochten! Ist erst der große Hans fertig, dann wird er gegen uns kalt, spielt den Cato oder was sonst nach seinem Temperament für eine Rolle, für uns ist er nicht mehr zu haben. Er kehrt sogar seine Macht gegen uns, und wir müssen es uns gefallen lassen und mit ihn: rechnen, denn unsern Irrtum einzugestehen und die Folgerungen zu ziehen, haben wir zu viel Eigenliebe und sind wir zu schwach. Aus vielen Fällen wird auch eine Kette, die schwerer zu durchbrechen ist. Das und ähnliches hat unsre Unterwerfung unter die Notabeln und ihre Vertretungen, den Landesausschuß mit seinen Lokaltrabauten, zur Folge gehabt. Sie herrschen mit und über uns, gerade wie die Kirche in unsrer Stciatsschnle herrscht. In den Vertretungen haben wir sogar kaum den formellen Ober¬ befehl behalten, während wir in ihnen nicht geringere Klagen über schlechte Be¬ handlung zu hören bekommen. Die Kirche sündigt nur in ihren Dienern, aus der Schule dürfen wir sie nicht entfernen; ihre Taktik, daß sie jede Hilfe annimmt, von welchem Geiste sie auch eingegeben sein möge, und daß sie nie dankt, sondern immer weiter fordert, mahnt uns nur daran, daß auch wir das alö ut <i<zö nicht vergessen dürfen. Das 6o ut ass gehört einesteils zum unentbehrlichen Handwerkszeug des Politikers und zum Kunstgcrät des Staats¬ manns, es enthält auch eine ethische Mahnung, es heißt ja weiterhin av ut Kuziiis. Bei den Notabeln brauchen wir nicht dieselben Rücksichten zu nehmen wie bei der Kirche, wir können ihnen geradeswegs an den Leib. Sie gelten nur, weil wir sie gelten lassen- Daß sich die Verhältnisse nach fünfundzwanzig Jahren gesetzt haben, fordert uns mit verstärktem Nachdruck auf, die Notabeln nach ihrem Wert für uns und für das Gemeinwohl zu sichten und uns den Nest nicht wieder über den Kopf wachsen zu lassen. Wenn wir den Landesansschuß mit Vorlagen auf halbe Ration setzen und die richtige Beratung des Budgets verlangen, wird das rechte Verhältnis eingeleitet sein, und der Landesausschuß kann sich für manches recht brauchbar erweisen. Gewisse Geisteseigenschaften sind ja in ihm nicht reichlich vertreten oder haben mehr französisches als deutsches Gepräge, aber es findet sich in ihm viel gesunder Menschenverstand und ein besondres Verständnis für die wirklichen Machtverhältnisse. Auch an gutem Willen kann es bei vielen Mitgliedern nicht fehlen; dieser Teil ist jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/223>, abgerufen am 27.09.2024.