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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Aleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

wollten ihnen ja nichts thun, sie sollten es nach Wunsch haben, für ihre Wunden
wollten wir Doktor, Apotheker und an Schmerzensgeld bezahlen, so viel wie
sie nur wollten, aber sie müßten nicht nur aufhören zu Protestiren, sie müßten
auch bei Gelegenheit ihre Zufriedenheit bezeugen durch Fahnen, Schärpen,
Hurraschreien, sonst könnten sie thun und lassen, wozu sie Lust hätten. Wenn
man Franzosen oder Frcmzöslingen so kommt, so kann man sicher sein, daß
sie alles nehmen und noch alles mögliche dazu fordern, jeden Tag mehr, und
dabei immer wehleidigere Gesichter machen. Es rentirt sich. Versprechungen
geben sie nicht, dazu sind sie zu schlau, und stillschweigende Zusagen deuten
sie, wie sie wollen. Unter einander lachen sie über uns, und die Schmeichel-
namen, mit denen sie dabei unsre Klugheit bedenken, will ich lieber verschweigen.
Öffentlich legen sie die Gesichter in ernste, traurig resignirte Falten und nennen
uns ungeduldig und chauvinistisch.

Zweierlei fürchten sie: unsre höhere Kraft und unsern reinern Willen.
Wir sind wirklich das männliche Volk. Was brauchen wir denn ihren Bei¬
fall, ihre Zustimmung, ein freundliches Lächeln? Was verschlägt es, ob sie
zu unsern Festen Fahnen heraushängen oder nicht? Was kommt dabei
heraus? So etwas beachtet man, man merkt sichs, bei Gelegenheit kann man
wie halb verloren darauf anspielen, aber Ärger und unmittelbaren Vorhalt ver¬
meidet man, die wirken weniger und geben Blößen. Das Protestiren und Demon-
striren sollen sie wohl bleiben lassen. Diese fremdgenannten Dinge sind unserm
Wesen auch fremde Sachen; lassen sie sich dennoch dergleichen oder andre Aus-
lündereien beikommen, so wird es an einer deutschen Antwort nicht fehlen. Aber
sonst wollen wir sie ihre Wege gehen lassen, um wenigsten ihnen nachlaufen;
sie brauchen uns, nicht wir sie, sie müssen uns kommen. Der Landesausschuß
z. B. braucht uns sehr, seine Wurzel im Volk ist schwach; es ist nicht schwer,
ihn in anständige Abhängigkeit zu bringen. Allerdings, die Gesetzmacherei
müssen wir aufgeben, aber die ist schädlich genug, und dann werden wir auch
auf andre "Erfolge" verzichten müssen. So auf den, den wir erlebt haben,
als der Pfarrer und Reichstagsabgeordnete Gerber zu einem französischen
Journalisten sagte, Elsaß-Lothringen sei fest an Deutschland geschmiedet. Ein
Mißverständnis legte ihm die Worte in den Mund, er wolle nicht mehr von
Deutschland loskommen, und daraus wurde das größte Wesen gemacht, als
wenn nun alles erreicht wäre. Wenn wir derartige Nichtigkeiten und Un¬
ziemlichkeiten ein für allemal aufgeben, heben wir nicht nur wieder unsre
Würde, wir können unsre Kraft auch auf wirkliche Aufgaben verwenden. Da
hat z. B. derselbe Herr Gerber bemerkt, seit der Einverleibung sei die Wohl¬
habenheit auf dem Lande geringer geworden, nur in den Städten habe der
Reichtum zugenommen. In Frankreich ists ja auch so, wohl überall, aber
richtig ist es und auch traurig. Mit Verwaltungsmaßregeln allein wird da
nicht zu helfen sein, aber gegen die Schmarotzer, die am Bauer saugen, können


Aleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

wollten ihnen ja nichts thun, sie sollten es nach Wunsch haben, für ihre Wunden
wollten wir Doktor, Apotheker und an Schmerzensgeld bezahlen, so viel wie
sie nur wollten, aber sie müßten nicht nur aufhören zu Protestiren, sie müßten
auch bei Gelegenheit ihre Zufriedenheit bezeugen durch Fahnen, Schärpen,
Hurraschreien, sonst könnten sie thun und lassen, wozu sie Lust hätten. Wenn
man Franzosen oder Frcmzöslingen so kommt, so kann man sicher sein, daß
sie alles nehmen und noch alles mögliche dazu fordern, jeden Tag mehr, und
dabei immer wehleidigere Gesichter machen. Es rentirt sich. Versprechungen
geben sie nicht, dazu sind sie zu schlau, und stillschweigende Zusagen deuten
sie, wie sie wollen. Unter einander lachen sie über uns, und die Schmeichel-
namen, mit denen sie dabei unsre Klugheit bedenken, will ich lieber verschweigen.
Öffentlich legen sie die Gesichter in ernste, traurig resignirte Falten und nennen
uns ungeduldig und chauvinistisch.

Zweierlei fürchten sie: unsre höhere Kraft und unsern reinern Willen.
Wir sind wirklich das männliche Volk. Was brauchen wir denn ihren Bei¬
fall, ihre Zustimmung, ein freundliches Lächeln? Was verschlägt es, ob sie
zu unsern Festen Fahnen heraushängen oder nicht? Was kommt dabei
heraus? So etwas beachtet man, man merkt sichs, bei Gelegenheit kann man
wie halb verloren darauf anspielen, aber Ärger und unmittelbaren Vorhalt ver¬
meidet man, die wirken weniger und geben Blößen. Das Protestiren und Demon-
striren sollen sie wohl bleiben lassen. Diese fremdgenannten Dinge sind unserm
Wesen auch fremde Sachen; lassen sie sich dennoch dergleichen oder andre Aus-
lündereien beikommen, so wird es an einer deutschen Antwort nicht fehlen. Aber
sonst wollen wir sie ihre Wege gehen lassen, um wenigsten ihnen nachlaufen;
sie brauchen uns, nicht wir sie, sie müssen uns kommen. Der Landesausschuß
z. B. braucht uns sehr, seine Wurzel im Volk ist schwach; es ist nicht schwer,
ihn in anständige Abhängigkeit zu bringen. Allerdings, die Gesetzmacherei
müssen wir aufgeben, aber die ist schädlich genug, und dann werden wir auch
auf andre „Erfolge" verzichten müssen. So auf den, den wir erlebt haben,
als der Pfarrer und Reichstagsabgeordnete Gerber zu einem französischen
Journalisten sagte, Elsaß-Lothringen sei fest an Deutschland geschmiedet. Ein
Mißverständnis legte ihm die Worte in den Mund, er wolle nicht mehr von
Deutschland loskommen, und daraus wurde das größte Wesen gemacht, als
wenn nun alles erreicht wäre. Wenn wir derartige Nichtigkeiten und Un¬
ziemlichkeiten ein für allemal aufgeben, heben wir nicht nur wieder unsre
Würde, wir können unsre Kraft auch auf wirkliche Aufgaben verwenden. Da
hat z. B. derselbe Herr Gerber bemerkt, seit der Einverleibung sei die Wohl¬
habenheit auf dem Lande geringer geworden, nur in den Städten habe der
Reichtum zugenommen. In Frankreich ists ja auch so, wohl überall, aber
richtig ist es und auch traurig. Mit Verwaltungsmaßregeln allein wird da
nicht zu helfen sein, aber gegen die Schmarotzer, die am Bauer saugen, können


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[0222] Aleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande wollten ihnen ja nichts thun, sie sollten es nach Wunsch haben, für ihre Wunden wollten wir Doktor, Apotheker und an Schmerzensgeld bezahlen, so viel wie sie nur wollten, aber sie müßten nicht nur aufhören zu Protestiren, sie müßten auch bei Gelegenheit ihre Zufriedenheit bezeugen durch Fahnen, Schärpen, Hurraschreien, sonst könnten sie thun und lassen, wozu sie Lust hätten. Wenn man Franzosen oder Frcmzöslingen so kommt, so kann man sicher sein, daß sie alles nehmen und noch alles mögliche dazu fordern, jeden Tag mehr, und dabei immer wehleidigere Gesichter machen. Es rentirt sich. Versprechungen geben sie nicht, dazu sind sie zu schlau, und stillschweigende Zusagen deuten sie, wie sie wollen. Unter einander lachen sie über uns, und die Schmeichel- namen, mit denen sie dabei unsre Klugheit bedenken, will ich lieber verschweigen. Öffentlich legen sie die Gesichter in ernste, traurig resignirte Falten und nennen uns ungeduldig und chauvinistisch. Zweierlei fürchten sie: unsre höhere Kraft und unsern reinern Willen. Wir sind wirklich das männliche Volk. Was brauchen wir denn ihren Bei¬ fall, ihre Zustimmung, ein freundliches Lächeln? Was verschlägt es, ob sie zu unsern Festen Fahnen heraushängen oder nicht? Was kommt dabei heraus? So etwas beachtet man, man merkt sichs, bei Gelegenheit kann man wie halb verloren darauf anspielen, aber Ärger und unmittelbaren Vorhalt ver¬ meidet man, die wirken weniger und geben Blößen. Das Protestiren und Demon- striren sollen sie wohl bleiben lassen. Diese fremdgenannten Dinge sind unserm Wesen auch fremde Sachen; lassen sie sich dennoch dergleichen oder andre Aus- lündereien beikommen, so wird es an einer deutschen Antwort nicht fehlen. Aber sonst wollen wir sie ihre Wege gehen lassen, um wenigsten ihnen nachlaufen; sie brauchen uns, nicht wir sie, sie müssen uns kommen. Der Landesausschuß z. B. braucht uns sehr, seine Wurzel im Volk ist schwach; es ist nicht schwer, ihn in anständige Abhängigkeit zu bringen. Allerdings, die Gesetzmacherei müssen wir aufgeben, aber die ist schädlich genug, und dann werden wir auch auf andre „Erfolge" verzichten müssen. So auf den, den wir erlebt haben, als der Pfarrer und Reichstagsabgeordnete Gerber zu einem französischen Journalisten sagte, Elsaß-Lothringen sei fest an Deutschland geschmiedet. Ein Mißverständnis legte ihm die Worte in den Mund, er wolle nicht mehr von Deutschland loskommen, und daraus wurde das größte Wesen gemacht, als wenn nun alles erreicht wäre. Wenn wir derartige Nichtigkeiten und Un¬ ziemlichkeiten ein für allemal aufgeben, heben wir nicht nur wieder unsre Würde, wir können unsre Kraft auch auf wirkliche Aufgaben verwenden. Da hat z. B. derselbe Herr Gerber bemerkt, seit der Einverleibung sei die Wohl¬ habenheit auf dem Lande geringer geworden, nur in den Städten habe der Reichtum zugenommen. In Frankreich ists ja auch so, wohl überall, aber richtig ist es und auch traurig. Mit Verwaltungsmaßregeln allein wird da nicht zu helfen sein, aber gegen die Schmarotzer, die am Bauer saugen, können

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/222>, abgerufen am 27.09.2024.