Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der juristische Zopf erhalten im allgemeinen erst in einem um zehn Jahre höhern Lebensalter den Die Klagen über diese Zustande sind so bekannt und so alt, daß über den Aber die Sache ist damit durchaus nicht erledigt. Es muß unter allen Der juristische Zopf erhalten im allgemeinen erst in einem um zehn Jahre höhern Lebensalter den Die Klagen über diese Zustande sind so bekannt und so alt, daß über den Aber die Sache ist damit durchaus nicht erledigt. Es muß unter allen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224268"/> <fw type="header" place="top"> Der juristische Zopf</fw><lb/> <p xml:id="ID_61" prev="#ID_60"> erhalten im allgemeinen erst in einem um zehn Jahre höhern Lebensalter den<lb/> Rang eines Regierungs- und Baurath.</p><lb/> <p xml:id="ID_62"> Die Klagen über diese Zustande sind so bekannt und so alt, daß über den<lb/> thatsächlichen Sachverhalt kurz hinweggegangen werden kann. Um so not¬<lb/> wendiger ist eine Beleuchtung der Gründe, mit denen seinerzeit der Minister<lb/> der öffentlichen Arbeiten im Abgeordnetenhause diese Zustände zu rechtfertigen<lb/> versucht hat. Er sagte, die Bevorzugung von juristisch gebildeten Beamten<lb/> in den leitenden Stellungen sei deshalb nötig, weil dort der technische Betrieb<lb/> verhältnismäßig zurücktrete, und die rechtlichen und volkswirtschaftlichen Seiten<lb/> des Eisenbahnwesens die Hauptrolle spielten. Wenn aber der Minister damit<lb/> Recht hätte, daß für die Beurteilung der Fragen, die in dem Geschäftsbetrieb<lb/> der Eisenbahndirektionen die Hauptrolle spielen, die juristische Vorbildung not¬<lb/> wendig sei, so dürften doch an dieser Stelle nur Juristen verwendet werden,<lb/> und es wäre auch für die drei Techniker, die jetzt als Eisenbahndirektions-<lb/> präsidenten angestellt sind, kein Raum. Wenn es thatsächlich doch möglich<lb/> ist, daß diese Stellen von nicht juristisch gebildeten Fachmännern sachgemäß<lb/> verwaltet werden, dann füllt der Beweisgrund des Ministers von selbst in<lb/> sich zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_63" next="#ID_64"> Aber die Sache ist damit durchaus nicht erledigt. Es muß unter allen<lb/> Umständen dagegen Verwahrung eingelegt werden, daß die rechtliche und die<lb/> volkswirtschaftliche Seite des Eisenbahnbetriebs als mit einander zusammen¬<lb/> hängend hingestellt werden. Rechtsfragen werden ja im Eisenbahnwesen stets<lb/> auftreten, namentlich bei neuen Anlagen, wo es sich um Landerwerbungen<lb/> u. tgi. handelt, aber kein Mensch kann doch behaupten, daß diese Rechtsfragen<lb/> den Kern des Eisenbahnwesens bildeten. Zu ihrer Bearbeitung mögen rechts¬<lb/> verständige Syndici in geeigneter Anzahl angestellt werden; es wird sich das<lb/> umso mehr empfehlen, als die im Eisenbahndienst angestellten Juristen aus<lb/> den Richterkreisen, aus denen sie stammen, fast durchgängig! viel zu lange<lb/> herausgetreten sind, als daß sie über die Rechtsfragen noch mit vollkommener<lb/> Sicherheit urteilen könnten. Thatsächlich wird auch bei jeder irgendwie ver¬<lb/> wickelten Frage das Gutachten eines noch wirklich im Rechtsleben stehenden<lb/> Juristen, eines Rechtsanwalts oder Richters, eingeholt. Was aber die volks¬<lb/> wirtschaftliche Befähigung anlangt, so kann man hier wirklich sagen: An ihren<lb/> Früchten sollt ihr sie erkennen. In Wahrheit darf man fragen: Welchen<lb/> Vorteil in volkswirtschaftlicher Hinsicht hat denn der Eisenbahnassesforismus<lb/> unserm Verkehrswesen bisher gebracht? Haben wir nicht im Personenverkehr<lb/> den alten Postkutschentarif noch heute? Ist nicht im Güterverkehr die einzige<lb/> von weiteren Blick zeigende Maßregel, die Einführung der Staffeltarife,<lb/> schleunigst wieder rückgängig gemacht werden? Wo ist der wirklich von hohen<lb/> Gesichtspunkten urteilende Nationalökonom, der in das verwickelte, aus tausend<lb/> Zufälligkeiten systemlos heraufgewachsene Gewirr unsrer Tarifbestimmungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Der juristische Zopf
erhalten im allgemeinen erst in einem um zehn Jahre höhern Lebensalter den
Rang eines Regierungs- und Baurath.
Die Klagen über diese Zustande sind so bekannt und so alt, daß über den
thatsächlichen Sachverhalt kurz hinweggegangen werden kann. Um so not¬
wendiger ist eine Beleuchtung der Gründe, mit denen seinerzeit der Minister
der öffentlichen Arbeiten im Abgeordnetenhause diese Zustände zu rechtfertigen
versucht hat. Er sagte, die Bevorzugung von juristisch gebildeten Beamten
in den leitenden Stellungen sei deshalb nötig, weil dort der technische Betrieb
verhältnismäßig zurücktrete, und die rechtlichen und volkswirtschaftlichen Seiten
des Eisenbahnwesens die Hauptrolle spielten. Wenn aber der Minister damit
Recht hätte, daß für die Beurteilung der Fragen, die in dem Geschäftsbetrieb
der Eisenbahndirektionen die Hauptrolle spielen, die juristische Vorbildung not¬
wendig sei, so dürften doch an dieser Stelle nur Juristen verwendet werden,
und es wäre auch für die drei Techniker, die jetzt als Eisenbahndirektions-
präsidenten angestellt sind, kein Raum. Wenn es thatsächlich doch möglich
ist, daß diese Stellen von nicht juristisch gebildeten Fachmännern sachgemäß
verwaltet werden, dann füllt der Beweisgrund des Ministers von selbst in
sich zusammen.
Aber die Sache ist damit durchaus nicht erledigt. Es muß unter allen
Umständen dagegen Verwahrung eingelegt werden, daß die rechtliche und die
volkswirtschaftliche Seite des Eisenbahnbetriebs als mit einander zusammen¬
hängend hingestellt werden. Rechtsfragen werden ja im Eisenbahnwesen stets
auftreten, namentlich bei neuen Anlagen, wo es sich um Landerwerbungen
u. tgi. handelt, aber kein Mensch kann doch behaupten, daß diese Rechtsfragen
den Kern des Eisenbahnwesens bildeten. Zu ihrer Bearbeitung mögen rechts¬
verständige Syndici in geeigneter Anzahl angestellt werden; es wird sich das
umso mehr empfehlen, als die im Eisenbahndienst angestellten Juristen aus
den Richterkreisen, aus denen sie stammen, fast durchgängig! viel zu lange
herausgetreten sind, als daß sie über die Rechtsfragen noch mit vollkommener
Sicherheit urteilen könnten. Thatsächlich wird auch bei jeder irgendwie ver¬
wickelten Frage das Gutachten eines noch wirklich im Rechtsleben stehenden
Juristen, eines Rechtsanwalts oder Richters, eingeholt. Was aber die volks¬
wirtschaftliche Befähigung anlangt, so kann man hier wirklich sagen: An ihren
Früchten sollt ihr sie erkennen. In Wahrheit darf man fragen: Welchen
Vorteil in volkswirtschaftlicher Hinsicht hat denn der Eisenbahnassesforismus
unserm Verkehrswesen bisher gebracht? Haben wir nicht im Personenverkehr
den alten Postkutschentarif noch heute? Ist nicht im Güterverkehr die einzige
von weiteren Blick zeigende Maßregel, die Einführung der Staffeltarife,
schleunigst wieder rückgängig gemacht werden? Wo ist der wirklich von hohen
Gesichtspunkten urteilende Nationalökonom, der in das verwickelte, aus tausend
Zufälligkeiten systemlos heraufgewachsene Gewirr unsrer Tarifbestimmungen
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