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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

Beamten, die den Titel Unterstaatssekretär führen, sind im preußischen Sinne
nur Ministerialdirektoren. Thatsächlich sind sie Ressortchefs, die Ministerial-
abteilungen unabhängige Ministerien geworden und werden es immer mehr.
So liegt z. B. die sehr wichtige Attribution der Zentralstellen, der entscheidende
Vorschlag zu den Stellenbesetzungen, in den Abteilungen; der Statthalter,
dessen Entscheidung die Regel sein sollte, trifft sie nur ausnahmsweise. Auch
die meisten Generalverfügungen gehen von den Abteilungen aus. Das reizt dazu,
sie häufiger zu erlassen, als wenn sie in einer Hand wären, und fördert Büreau-
kratismus und Vielregiererei. Namentlich in der Vertretung der Regierungs¬
vorlage vor dem Landesausschuß tritt die Stellung der Abteilungsvorstände
leicht als die leitende hervor, da der Statthalter herkömmlicherweise an den
Verhandlungen nicht teilnimmt. Dieses Relief würde sich schon bei kurzen
Tagungen abzeichnen, bei längern prägt sichs sehr stark aus. Dergleichen hat
jeder gern, es liegt in der menschlichen Natur, man müßte sich Zwang anthun,
sich diesen Genuß zu verkürzen. So werden nicht nur die Geschäfte durch die
langen Tagungen geschädigt, diese sind auch ein Zeichen und im verderblichen
Kreislauf wieder Ursache kleinstaatlicher Großmannssucht. Das Reichsland ist
in der That auf dem Sande der Kleinstaaterei aufgelaufen.

Die Verhältnisse haben sich so entwickelt, es wird immer schwerer, die
Richtung zu verändern, und in dieser Richtung schließen sich die wirkenden
Kräfte trotz sonstigen Auseinandergehens immer mehr zusammen. Der Landes¬
ausschuß verkennt die Pflichten seiner als Spitze der Selbstverwaltung gedachten
Stellung, aber das Mitherrschende seiner Stellung kennt er sehr wohl und
zeigt es durch die Ansprüche, die er erhebt und durchsetzt, die auch von
den einzelnen Mitgliedern auf den eignen Einfluß ausgedehnt werden. Diese
Gegenwart wissen alle Mitglieder zu schätzen, meist ohne bei ihrer Vorliebe für
französisches Wesen dem deutschen Wesen und dem Reich etwas andres als
Abneigung und Abweisung zuzukehren. Das Beamtentum ist von einheitlichem
Gepräge weit entfernt: zu den landsmannschaftlichen Verschiedenheiten gesellen
sich unnötige Spezialisirungen in Prüfung und Anstellung; der Adel rechten
Amtsgefühls ist schwächer vertreten als das Streben nach Rang und Ver¬
sorgung. Aber so groß die Gegensätze sind, den Zufluß von außen wollen
doch alle verengern, frisches Blut wäre sast allen lästig, denn im Innern
machen sich, wie nur in irgend einem Mittel- oder Kleinstaat, Vetterschaft und
Gönnerschaft geltend. Bei den Zentralbehörden müssen sich die Erscheinungen
steigern, und wenn schwächliche Zugeständnisse der Abteilungsvorstände an das
Parlament häufig sind, so hört man, daß einzelnen Abgeordneten ihre Kom¬
missionsberichte von Ministerialrätcn gemacht werden. Auch an der über¬
ragenden Stellung des Statthalters haben sich die Verhältnisse stärker als die
Menschen erwiesen; das Beispiel des jetzigen Reichskanzlers zeigt es. Er ist
gewiß ein sehr kluger Mann und von gewöhnlicher Eitelkeit frei, und doch hat


Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

Beamten, die den Titel Unterstaatssekretär führen, sind im preußischen Sinne
nur Ministerialdirektoren. Thatsächlich sind sie Ressortchefs, die Ministerial-
abteilungen unabhängige Ministerien geworden und werden es immer mehr.
So liegt z. B. die sehr wichtige Attribution der Zentralstellen, der entscheidende
Vorschlag zu den Stellenbesetzungen, in den Abteilungen; der Statthalter,
dessen Entscheidung die Regel sein sollte, trifft sie nur ausnahmsweise. Auch
die meisten Generalverfügungen gehen von den Abteilungen aus. Das reizt dazu,
sie häufiger zu erlassen, als wenn sie in einer Hand wären, und fördert Büreau-
kratismus und Vielregiererei. Namentlich in der Vertretung der Regierungs¬
vorlage vor dem Landesausschuß tritt die Stellung der Abteilungsvorstände
leicht als die leitende hervor, da der Statthalter herkömmlicherweise an den
Verhandlungen nicht teilnimmt. Dieses Relief würde sich schon bei kurzen
Tagungen abzeichnen, bei längern prägt sichs sehr stark aus. Dergleichen hat
jeder gern, es liegt in der menschlichen Natur, man müßte sich Zwang anthun,
sich diesen Genuß zu verkürzen. So werden nicht nur die Geschäfte durch die
langen Tagungen geschädigt, diese sind auch ein Zeichen und im verderblichen
Kreislauf wieder Ursache kleinstaatlicher Großmannssucht. Das Reichsland ist
in der That auf dem Sande der Kleinstaaterei aufgelaufen.

Die Verhältnisse haben sich so entwickelt, es wird immer schwerer, die
Richtung zu verändern, und in dieser Richtung schließen sich die wirkenden
Kräfte trotz sonstigen Auseinandergehens immer mehr zusammen. Der Landes¬
ausschuß verkennt die Pflichten seiner als Spitze der Selbstverwaltung gedachten
Stellung, aber das Mitherrschende seiner Stellung kennt er sehr wohl und
zeigt es durch die Ansprüche, die er erhebt und durchsetzt, die auch von
den einzelnen Mitgliedern auf den eignen Einfluß ausgedehnt werden. Diese
Gegenwart wissen alle Mitglieder zu schätzen, meist ohne bei ihrer Vorliebe für
französisches Wesen dem deutschen Wesen und dem Reich etwas andres als
Abneigung und Abweisung zuzukehren. Das Beamtentum ist von einheitlichem
Gepräge weit entfernt: zu den landsmannschaftlichen Verschiedenheiten gesellen
sich unnötige Spezialisirungen in Prüfung und Anstellung; der Adel rechten
Amtsgefühls ist schwächer vertreten als das Streben nach Rang und Ver¬
sorgung. Aber so groß die Gegensätze sind, den Zufluß von außen wollen
doch alle verengern, frisches Blut wäre sast allen lästig, denn im Innern
machen sich, wie nur in irgend einem Mittel- oder Kleinstaat, Vetterschaft und
Gönnerschaft geltend. Bei den Zentralbehörden müssen sich die Erscheinungen
steigern, und wenn schwächliche Zugeständnisse der Abteilungsvorstände an das
Parlament häufig sind, so hört man, daß einzelnen Abgeordneten ihre Kom¬
missionsberichte von Ministerialrätcn gemacht werden. Auch an der über¬
ragenden Stellung des Statthalters haben sich die Verhältnisse stärker als die
Menschen erwiesen; das Beispiel des jetzigen Reichskanzlers zeigt es. Er ist
gewiß ein sehr kluger Mann und von gewöhnlicher Eitelkeit frei, und doch hat


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[0219] Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande Beamten, die den Titel Unterstaatssekretär führen, sind im preußischen Sinne nur Ministerialdirektoren. Thatsächlich sind sie Ressortchefs, die Ministerial- abteilungen unabhängige Ministerien geworden und werden es immer mehr. So liegt z. B. die sehr wichtige Attribution der Zentralstellen, der entscheidende Vorschlag zu den Stellenbesetzungen, in den Abteilungen; der Statthalter, dessen Entscheidung die Regel sein sollte, trifft sie nur ausnahmsweise. Auch die meisten Generalverfügungen gehen von den Abteilungen aus. Das reizt dazu, sie häufiger zu erlassen, als wenn sie in einer Hand wären, und fördert Büreau- kratismus und Vielregiererei. Namentlich in der Vertretung der Regierungs¬ vorlage vor dem Landesausschuß tritt die Stellung der Abteilungsvorstände leicht als die leitende hervor, da der Statthalter herkömmlicherweise an den Verhandlungen nicht teilnimmt. Dieses Relief würde sich schon bei kurzen Tagungen abzeichnen, bei längern prägt sichs sehr stark aus. Dergleichen hat jeder gern, es liegt in der menschlichen Natur, man müßte sich Zwang anthun, sich diesen Genuß zu verkürzen. So werden nicht nur die Geschäfte durch die langen Tagungen geschädigt, diese sind auch ein Zeichen und im verderblichen Kreislauf wieder Ursache kleinstaatlicher Großmannssucht. Das Reichsland ist in der That auf dem Sande der Kleinstaaterei aufgelaufen. Die Verhältnisse haben sich so entwickelt, es wird immer schwerer, die Richtung zu verändern, und in dieser Richtung schließen sich die wirkenden Kräfte trotz sonstigen Auseinandergehens immer mehr zusammen. Der Landes¬ ausschuß verkennt die Pflichten seiner als Spitze der Selbstverwaltung gedachten Stellung, aber das Mitherrschende seiner Stellung kennt er sehr wohl und zeigt es durch die Ansprüche, die er erhebt und durchsetzt, die auch von den einzelnen Mitgliedern auf den eignen Einfluß ausgedehnt werden. Diese Gegenwart wissen alle Mitglieder zu schätzen, meist ohne bei ihrer Vorliebe für französisches Wesen dem deutschen Wesen und dem Reich etwas andres als Abneigung und Abweisung zuzukehren. Das Beamtentum ist von einheitlichem Gepräge weit entfernt: zu den landsmannschaftlichen Verschiedenheiten gesellen sich unnötige Spezialisirungen in Prüfung und Anstellung; der Adel rechten Amtsgefühls ist schwächer vertreten als das Streben nach Rang und Ver¬ sorgung. Aber so groß die Gegensätze sind, den Zufluß von außen wollen doch alle verengern, frisches Blut wäre sast allen lästig, denn im Innern machen sich, wie nur in irgend einem Mittel- oder Kleinstaat, Vetterschaft und Gönnerschaft geltend. Bei den Zentralbehörden müssen sich die Erscheinungen steigern, und wenn schwächliche Zugeständnisse der Abteilungsvorstände an das Parlament häufig sind, so hört man, daß einzelnen Abgeordneten ihre Kom¬ missionsberichte von Ministerialrätcn gemacht werden. Auch an der über¬ ragenden Stellung des Statthalters haben sich die Verhältnisse stärker als die Menschen erwiesen; das Beispiel des jetzigen Reichskanzlers zeigt es. Er ist gewiß ein sehr kluger Mann und von gewöhnlicher Eitelkeit frei, und doch hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/219>, abgerufen am 27.09.2024.