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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

zu finden, die sonst geneigt sind, in ihm die wirkliche Vertretung des Landes
anzuerkennen. Gerade in diesen Kreisen wird die Meinung gern so ausgedruckt,
daß der Landesausschuß zu viel Diäten koste. Meinesteils möchte ich die
Frage offen lassen, ob ein beträchtlicher Teil der Abgeordneten durch die
Diäten bestimmt wird, es wäre doch zu traurig; aber sehr stark, wenn auch
nicht aus vollem Bewußtsein, wirkt ein andrer Beweggrund persönlicher Art
mit. Daß unser Parlament ein Notabelnparlament ist, ist sicher, man mag
mit dieser Bezeichnung einen Vorwurf verbinden oder nicht; es giebt ja noch
andre Notabeln, aber die Mitglieder des Landesausschusses sind es alle, und in
hervorragendem Maße. Die Herren gelten viel, wenn sie nicht tagen, und wenn
sie tagen, noch mehr, einzeln und vereint; manchmal möchte man meinen, sie
gälten alles. Wir haben auf diese Weise außer dem natürlichen Wetter auch
politisches, die Jahreszeiten fallen keineswegs zusammen. Dem Deutschtum
und rechter Verwaltung sind die schönsten Jahreszeiten der Natur wenig
günstig: wenn der Frühling naht, kommt der Landesausschuß, wen" sich der
Sommer neigt, der Besuch aus Frankreich. Es widerspräche aller Seelenkunde,
wenn unsre Abgeordneten das für sie beste Wetter nicht möglichst lauge zu genießen
Neigung hätten und diese Neigung bethätigten. Für die Verzettelung der Budget¬
beratung in Kommissionen spricht freilich noch weiteres mit. In der Kom¬
mission ist man mehr unter sich, die Auskünfte und Verheißungen fließen
reichlicher, mancher führt das Wort, der im Plenum schweigt. So werden
die Plenarsitzungen noch mehr als anderwärts zu Haupt- und Staatsaktionen
für wenige. Ich möchte glauben, daß unsre Abgeordneten auch besonders von
ihrer Vorliebe für die französische Sprache zu deu Kommisstonen hingezogen
werden; in ihnen herrscht dem Gesetz zuwider noch immer der Gebrauch des
Französischen vor.

Für die Regierung sollten diese Triebfedern nicht gelten. Wenn sie nicht
selbst Vorberatung des Staatshaushalts im Plenum und ganz allgemein
schnellere Erledigung anregen will, so kann sie es durch gleichgesinnte oder er¬
gebne Abgeordnete thun, und sie müßte es, schon um das Zusammenlagen des
Landesausschusses mit dem Reichstag auf den kürzesten Zeitraum zu be¬
schränken. Warum unterläßt sie es? Nicht aus Unkenntnis, denn die Negierung
kennt die Schwächen des Landesausschusfes sehr gut; das Lächeln der Über¬
legenheit ist in Elsaß-Lothringen häufiger als das der Augurn in Rom, aber
es reizt bei uns sehr vielerlei dazu, den Spruch: eine Hand wäscht die andre,
wahr zu machen, und die Ursachen, die den Landesausschuß heben, heben auch
die rechtlich beschränkte Stellung der Negierungsmitglieder. Sie tragen dazu
bei, dieser Stellung ministeriellen Glanz zu verleihen. Staats- und verwaltungs-
rechtlich giebt es in Elsaß-Lothringen nur einen Minister, das ist der Statt¬
halter. Der Staatssekretär hat zwar zum Teil die ministerielle Gegenzeichnung,
ist aber nach seinen sonstigen Zuständigkeiten Unterstaatssekretär, und die


Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

zu finden, die sonst geneigt sind, in ihm die wirkliche Vertretung des Landes
anzuerkennen. Gerade in diesen Kreisen wird die Meinung gern so ausgedruckt,
daß der Landesausschuß zu viel Diäten koste. Meinesteils möchte ich die
Frage offen lassen, ob ein beträchtlicher Teil der Abgeordneten durch die
Diäten bestimmt wird, es wäre doch zu traurig; aber sehr stark, wenn auch
nicht aus vollem Bewußtsein, wirkt ein andrer Beweggrund persönlicher Art
mit. Daß unser Parlament ein Notabelnparlament ist, ist sicher, man mag
mit dieser Bezeichnung einen Vorwurf verbinden oder nicht; es giebt ja noch
andre Notabeln, aber die Mitglieder des Landesausschusses sind es alle, und in
hervorragendem Maße. Die Herren gelten viel, wenn sie nicht tagen, und wenn
sie tagen, noch mehr, einzeln und vereint; manchmal möchte man meinen, sie
gälten alles. Wir haben auf diese Weise außer dem natürlichen Wetter auch
politisches, die Jahreszeiten fallen keineswegs zusammen. Dem Deutschtum
und rechter Verwaltung sind die schönsten Jahreszeiten der Natur wenig
günstig: wenn der Frühling naht, kommt der Landesausschuß, wen» sich der
Sommer neigt, der Besuch aus Frankreich. Es widerspräche aller Seelenkunde,
wenn unsre Abgeordneten das für sie beste Wetter nicht möglichst lauge zu genießen
Neigung hätten und diese Neigung bethätigten. Für die Verzettelung der Budget¬
beratung in Kommissionen spricht freilich noch weiteres mit. In der Kom¬
mission ist man mehr unter sich, die Auskünfte und Verheißungen fließen
reichlicher, mancher führt das Wort, der im Plenum schweigt. So werden
die Plenarsitzungen noch mehr als anderwärts zu Haupt- und Staatsaktionen
für wenige. Ich möchte glauben, daß unsre Abgeordneten auch besonders von
ihrer Vorliebe für die französische Sprache zu deu Kommisstonen hingezogen
werden; in ihnen herrscht dem Gesetz zuwider noch immer der Gebrauch des
Französischen vor.

Für die Regierung sollten diese Triebfedern nicht gelten. Wenn sie nicht
selbst Vorberatung des Staatshaushalts im Plenum und ganz allgemein
schnellere Erledigung anregen will, so kann sie es durch gleichgesinnte oder er¬
gebne Abgeordnete thun, und sie müßte es, schon um das Zusammenlagen des
Landesausschusses mit dem Reichstag auf den kürzesten Zeitraum zu be¬
schränken. Warum unterläßt sie es? Nicht aus Unkenntnis, denn die Negierung
kennt die Schwächen des Landesausschusfes sehr gut; das Lächeln der Über¬
legenheit ist in Elsaß-Lothringen häufiger als das der Augurn in Rom, aber
es reizt bei uns sehr vielerlei dazu, den Spruch: eine Hand wäscht die andre,
wahr zu machen, und die Ursachen, die den Landesausschuß heben, heben auch
die rechtlich beschränkte Stellung der Negierungsmitglieder. Sie tragen dazu
bei, dieser Stellung ministeriellen Glanz zu verleihen. Staats- und verwaltungs-
rechtlich giebt es in Elsaß-Lothringen nur einen Minister, das ist der Statt¬
halter. Der Staatssekretär hat zwar zum Teil die ministerielle Gegenzeichnung,
ist aber nach seinen sonstigen Zuständigkeiten Unterstaatssekretär, und die


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[0218] Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande zu finden, die sonst geneigt sind, in ihm die wirkliche Vertretung des Landes anzuerkennen. Gerade in diesen Kreisen wird die Meinung gern so ausgedruckt, daß der Landesausschuß zu viel Diäten koste. Meinesteils möchte ich die Frage offen lassen, ob ein beträchtlicher Teil der Abgeordneten durch die Diäten bestimmt wird, es wäre doch zu traurig; aber sehr stark, wenn auch nicht aus vollem Bewußtsein, wirkt ein andrer Beweggrund persönlicher Art mit. Daß unser Parlament ein Notabelnparlament ist, ist sicher, man mag mit dieser Bezeichnung einen Vorwurf verbinden oder nicht; es giebt ja noch andre Notabeln, aber die Mitglieder des Landesausschusses sind es alle, und in hervorragendem Maße. Die Herren gelten viel, wenn sie nicht tagen, und wenn sie tagen, noch mehr, einzeln und vereint; manchmal möchte man meinen, sie gälten alles. Wir haben auf diese Weise außer dem natürlichen Wetter auch politisches, die Jahreszeiten fallen keineswegs zusammen. Dem Deutschtum und rechter Verwaltung sind die schönsten Jahreszeiten der Natur wenig günstig: wenn der Frühling naht, kommt der Landesausschuß, wen» sich der Sommer neigt, der Besuch aus Frankreich. Es widerspräche aller Seelenkunde, wenn unsre Abgeordneten das für sie beste Wetter nicht möglichst lauge zu genießen Neigung hätten und diese Neigung bethätigten. Für die Verzettelung der Budget¬ beratung in Kommissionen spricht freilich noch weiteres mit. In der Kom¬ mission ist man mehr unter sich, die Auskünfte und Verheißungen fließen reichlicher, mancher führt das Wort, der im Plenum schweigt. So werden die Plenarsitzungen noch mehr als anderwärts zu Haupt- und Staatsaktionen für wenige. Ich möchte glauben, daß unsre Abgeordneten auch besonders von ihrer Vorliebe für die französische Sprache zu deu Kommisstonen hingezogen werden; in ihnen herrscht dem Gesetz zuwider noch immer der Gebrauch des Französischen vor. Für die Regierung sollten diese Triebfedern nicht gelten. Wenn sie nicht selbst Vorberatung des Staatshaushalts im Plenum und ganz allgemein schnellere Erledigung anregen will, so kann sie es durch gleichgesinnte oder er¬ gebne Abgeordnete thun, und sie müßte es, schon um das Zusammenlagen des Landesausschusses mit dem Reichstag auf den kürzesten Zeitraum zu be¬ schränken. Warum unterläßt sie es? Nicht aus Unkenntnis, denn die Negierung kennt die Schwächen des Landesausschusfes sehr gut; das Lächeln der Über¬ legenheit ist in Elsaß-Lothringen häufiger als das der Augurn in Rom, aber es reizt bei uns sehr vielerlei dazu, den Spruch: eine Hand wäscht die andre, wahr zu machen, und die Ursachen, die den Landesausschuß heben, heben auch die rechtlich beschränkte Stellung der Negierungsmitglieder. Sie tragen dazu bei, dieser Stellung ministeriellen Glanz zu verleihen. Staats- und verwaltungs- rechtlich giebt es in Elsaß-Lothringen nur einen Minister, das ist der Statt¬ halter. Der Staatssekretär hat zwar zum Teil die ministerielle Gegenzeichnung, ist aber nach seinen sonstigen Zuständigkeiten Unterstaatssekretär, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/218>, abgerufen am 27.09.2024.