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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

daß die Fortsetzung des Aufstandes die Arbeiter benachteiligt, genügt den Ur¬
hebern des Ausrufs, im Namen der Gerechtigkeit und Billigkeit Geldspenden
zu verlangen, die den Ausständigen die selbst verschuldeten Nachteile vergüten
sollen, bis sie ihre Forderungen vor Wiederaufnahme der Arbeit durchgesetzt
haben. Schon durch dieses Prüfungslose Parteiergreifen kennzeichnet sich das
Vorgehen als leichtfertig, mit wissenschaftlicher und politischer Ernsthaftigkeit
unverträglich.

Die Urheber des Ausrufs haben wohl auch gefühlt, daß es nötig sei, über
diesen schweren Fehler hinwegzutäuschen. Zu diesem Zweck haben sie versucht,
die wirkliche praktische Streitfrage dadurch der Beurteilung zu entziehen, daß
sie, ganz nach sozialdemokratischen Muster, angeblich damit zusammenhängende
Prinzipienfragen in den Vordergrund schieben, unklare, zweideutige, ganz be¬
weislos gelassene akademische Thesen, die als Rechtfertigung des zweischneidigen
praktischen Zwecks des Ausrufs erst recht die unverantwortliche Frivolität des
Unternehmens in grelles Licht setzen. Zunächst wird behauptet, der Kampf habe
sich schon seit lcingerm zu der Frage zugespitzt, "ob derartige Streitigkeiten
bis zur Niederwerfung des einen Teils durchgekämpft, oder ob sie durch
schiedsrichterliche und einigungsamtliche Thätigkeit beendigt werden sollen,"
dann weiter: "ein derartiger Sieg des Unterwerfungsprinzips würde eine be¬
dauerliche Verschärfung für alle in Zukunft auftauchenden Streitigkeiten zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern bedeuten," und schließlich versteigt man sich
zu folgender klassischen Leistung, die, wenn sie keine Heuchelei ist, von der
naivsten Selbsttäuschung eingegeben ist: "Wir greifen nicht in den Kampf,
um den Streitenden zu einem Triumphe zu verhelfen, wir wollen nur erwirken,
daß die jetzt stattfindenden Verhandlungen, wie auf der einen, so auf der andern
Seite ohne den Druck drohender Not geführt werden. Nicht also von irgend
einem Parteistandpunkte aus, ganz gewiß nicht in einer Regung der Ver¬
bitterung gegen die Arbeitgeber, lediglich in dem Drange nach einem endlichen
Inkrafttreten andrer Anschauungen über Recht und Billigkeit."

Fürwahr, "andre" Anschauungen über Recht und Billigkeit, als die in
unsrer ganzen nationalen Kultur und im deutschen Volksgewissen begründeten
sind es, die diesen Aufruf möglich gemacht haben, "andre" Anschauungen,
solche, die alles, was bis heute für recht und billig gilt, auf den Kopf stellen
wollen! Ist es denn wirklich möglich, und ist es noch weiter erträglich, daß
sich Leute, die sich auch nicht mit einem Gedanken bemühen, das Recht der
Arbeitgeber zu würdigen, Leute, die in schroffster Einseitigkeit grundsätzlich und
von vornherein Partei nehmen für die ausständigen Arbeiter, zum Richter
aufwerfen wollen, nicht etwa nur über den Hamburger Aufstand, nein über
das, was das deutsche Volk als Recht und Billigkeit hoch und heilig hält?
Doch das ist eben die bis zur Krankheit gesteigerte Anmaßung, die alles als
"neu" und "anders" entdeckt zu haben vermeint, und die man jugendlichen


Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

daß die Fortsetzung des Aufstandes die Arbeiter benachteiligt, genügt den Ur¬
hebern des Ausrufs, im Namen der Gerechtigkeit und Billigkeit Geldspenden
zu verlangen, die den Ausständigen die selbst verschuldeten Nachteile vergüten
sollen, bis sie ihre Forderungen vor Wiederaufnahme der Arbeit durchgesetzt
haben. Schon durch dieses Prüfungslose Parteiergreifen kennzeichnet sich das
Vorgehen als leichtfertig, mit wissenschaftlicher und politischer Ernsthaftigkeit
unverträglich.

Die Urheber des Ausrufs haben wohl auch gefühlt, daß es nötig sei, über
diesen schweren Fehler hinwegzutäuschen. Zu diesem Zweck haben sie versucht,
die wirkliche praktische Streitfrage dadurch der Beurteilung zu entziehen, daß
sie, ganz nach sozialdemokratischen Muster, angeblich damit zusammenhängende
Prinzipienfragen in den Vordergrund schieben, unklare, zweideutige, ganz be¬
weislos gelassene akademische Thesen, die als Rechtfertigung des zweischneidigen
praktischen Zwecks des Ausrufs erst recht die unverantwortliche Frivolität des
Unternehmens in grelles Licht setzen. Zunächst wird behauptet, der Kampf habe
sich schon seit lcingerm zu der Frage zugespitzt, „ob derartige Streitigkeiten
bis zur Niederwerfung des einen Teils durchgekämpft, oder ob sie durch
schiedsrichterliche und einigungsamtliche Thätigkeit beendigt werden sollen,"
dann weiter: „ein derartiger Sieg des Unterwerfungsprinzips würde eine be¬
dauerliche Verschärfung für alle in Zukunft auftauchenden Streitigkeiten zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern bedeuten," und schließlich versteigt man sich
zu folgender klassischen Leistung, die, wenn sie keine Heuchelei ist, von der
naivsten Selbsttäuschung eingegeben ist: „Wir greifen nicht in den Kampf,
um den Streitenden zu einem Triumphe zu verhelfen, wir wollen nur erwirken,
daß die jetzt stattfindenden Verhandlungen, wie auf der einen, so auf der andern
Seite ohne den Druck drohender Not geführt werden. Nicht also von irgend
einem Parteistandpunkte aus, ganz gewiß nicht in einer Regung der Ver¬
bitterung gegen die Arbeitgeber, lediglich in dem Drange nach einem endlichen
Inkrafttreten andrer Anschauungen über Recht und Billigkeit."

Fürwahr, „andre" Anschauungen über Recht und Billigkeit, als die in
unsrer ganzen nationalen Kultur und im deutschen Volksgewissen begründeten
sind es, die diesen Aufruf möglich gemacht haben, „andre" Anschauungen,
solche, die alles, was bis heute für recht und billig gilt, auf den Kopf stellen
wollen! Ist es denn wirklich möglich, und ist es noch weiter erträglich, daß
sich Leute, die sich auch nicht mit einem Gedanken bemühen, das Recht der
Arbeitgeber zu würdigen, Leute, die in schroffster Einseitigkeit grundsätzlich und
von vornherein Partei nehmen für die ausständigen Arbeiter, zum Richter
aufwerfen wollen, nicht etwa nur über den Hamburger Aufstand, nein über
das, was das deutsche Volk als Recht und Billigkeit hoch und heilig hält?
Doch das ist eben die bis zur Krankheit gesteigerte Anmaßung, die alles als
„neu" und „anders" entdeckt zu haben vermeint, und die man jugendlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/200>, abgerufen am 27.09.2024.