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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Innere Politik oder Äußere?

arbeiten, sondern jedermann wird arbeiten müssen. Der sozialistische Staat
wird Mittel zu finden haben, dieser Verarmung unsrer Kultur vorzubeugen.

Nachdem auch diese Abzüge gemacht sind, bleibt endlich der Teil des
Tributs der Arbeit übrig (nach dem Urteil derer, die keinen Anteil daran
haben, ein recht großer Teil), der von dem Privatbesitz für "wirklichen Luxus"
verbraucht wird, schönen und unschönen, anständigen und unanständigen, be¬
scheidnen und unbescheidnen, und mit diesem Überfluß der Reichen soll dem Elend
der Armen geholfen werden. Jedermann aber wird einsehen, daß man auch
diesen Goldstrom nicht leichtsinnig durch andre Taschen leiten darf. Man läuft
sonst Gefahr, ebensoviel zu schaden als zu nützen. Verbietet ihr den Reichen
ihren Luxus in schönen Wagen, um damit Arbeitslose zu füttern, so werden
bald ebensoviel hungrige Wagenarbeiter vor euern Thüren stehen, die Arbeit
und Brot verlangen. Die Reichen verschlucken ja nicht das Geld, das ihnen
ihre Arbeiter verdient haben, sondern sie geben es wieder aus als Arbeits¬
löhne, und zwar alles ohne Abzug. Trinkt ein Gutsbesitzer eine Flasche feinen
Rheinwein, so zahlt er darin Arbeitslöhne für Transport und Winzerarbeit,
freilich auch noch einen Beitrag für Bodenrenke an den Besitzer des Weingutes.
Aber der ist ja auch Kapitalist, das Geld ist also vorläufig noch in der Ka¬
pitalistenklasse geblieben, der eine hat dem andern einen Teil des von ihm
eroberten Mehrwertes abgegeben. Aber schließlich kehrt auch dieser Teil als
Arbeitslohn an die Arbeiter zurück. Bloß die ins Ausland gehenden Summen
sind zu beklagen. Aber unsre Arbeiter denken ja international, vielleicht mit
Recht, denn auch diese Summen kommen wieder.

Worin besteht also der Reichtum der Reichen? Nicht darin, daß sie den
Armen das Brot vom Munde wegnehmen. Um ihretwillen braucht in Deutsch¬
land keiner zu hungern. Es können sich mit ihnen so viel Menschen in unserm
Vaterlande durchschlagen, wie ohne sie! Ihr Reichtum besteht in ihrer Macht;
darin, daß sie den einen Teil der Arbeiter länger arbeiten lassen, damit ein
andrer Teil Zeit hat, für den Luxus der Herren zu sorgen. Die große Masse
schafft Brot, Kleider, Häuser, Bier und Cigarren für sich selbst und noch ein
wenig mehr, und diesen Überschuß geben die Herren an eine andre Truppe,
die sich dafür mit Luxusgütern erkenntlich zeigt.

Man könnte ja nun die Herren der Arbeit übergehen und den Mehrwert
unmittelbar an die ehemaligen Luxusarbeiter zahlen. Man würde dann die
Erfahrung machen, daß gar keine Glücksgüter übrig wären, außer der freien
Zeit dieser Arbeiterklasse, die nun in der Lage wäre, den andern einen Teil
ihres Tagewerks abzunehmen oder bei gleichbleibender Arbeitszeit für einen
bescheidnen Überfluß und Komfort aller zu arbeiten. Wieviel das abwerfen
würde, hängt von dem Zahlenverhältnis der Luxusarbeiter zu den Gesamt¬
arbeitern ab, aber nur derer, die für den Staat der Reichen, nicht auch derer,
die für den Flitter der Armen arbeiten, worüber es nicht schwer sein kann


Innere Politik oder Äußere?

arbeiten, sondern jedermann wird arbeiten müssen. Der sozialistische Staat
wird Mittel zu finden haben, dieser Verarmung unsrer Kultur vorzubeugen.

Nachdem auch diese Abzüge gemacht sind, bleibt endlich der Teil des
Tributs der Arbeit übrig (nach dem Urteil derer, die keinen Anteil daran
haben, ein recht großer Teil), der von dem Privatbesitz für „wirklichen Luxus"
verbraucht wird, schönen und unschönen, anständigen und unanständigen, be¬
scheidnen und unbescheidnen, und mit diesem Überfluß der Reichen soll dem Elend
der Armen geholfen werden. Jedermann aber wird einsehen, daß man auch
diesen Goldstrom nicht leichtsinnig durch andre Taschen leiten darf. Man läuft
sonst Gefahr, ebensoviel zu schaden als zu nützen. Verbietet ihr den Reichen
ihren Luxus in schönen Wagen, um damit Arbeitslose zu füttern, so werden
bald ebensoviel hungrige Wagenarbeiter vor euern Thüren stehen, die Arbeit
und Brot verlangen. Die Reichen verschlucken ja nicht das Geld, das ihnen
ihre Arbeiter verdient haben, sondern sie geben es wieder aus als Arbeits¬
löhne, und zwar alles ohne Abzug. Trinkt ein Gutsbesitzer eine Flasche feinen
Rheinwein, so zahlt er darin Arbeitslöhne für Transport und Winzerarbeit,
freilich auch noch einen Beitrag für Bodenrenke an den Besitzer des Weingutes.
Aber der ist ja auch Kapitalist, das Geld ist also vorläufig noch in der Ka¬
pitalistenklasse geblieben, der eine hat dem andern einen Teil des von ihm
eroberten Mehrwertes abgegeben. Aber schließlich kehrt auch dieser Teil als
Arbeitslohn an die Arbeiter zurück. Bloß die ins Ausland gehenden Summen
sind zu beklagen. Aber unsre Arbeiter denken ja international, vielleicht mit
Recht, denn auch diese Summen kommen wieder.

Worin besteht also der Reichtum der Reichen? Nicht darin, daß sie den
Armen das Brot vom Munde wegnehmen. Um ihretwillen braucht in Deutsch¬
land keiner zu hungern. Es können sich mit ihnen so viel Menschen in unserm
Vaterlande durchschlagen, wie ohne sie! Ihr Reichtum besteht in ihrer Macht;
darin, daß sie den einen Teil der Arbeiter länger arbeiten lassen, damit ein
andrer Teil Zeit hat, für den Luxus der Herren zu sorgen. Die große Masse
schafft Brot, Kleider, Häuser, Bier und Cigarren für sich selbst und noch ein
wenig mehr, und diesen Überschuß geben die Herren an eine andre Truppe,
die sich dafür mit Luxusgütern erkenntlich zeigt.

Man könnte ja nun die Herren der Arbeit übergehen und den Mehrwert
unmittelbar an die ehemaligen Luxusarbeiter zahlen. Man würde dann die
Erfahrung machen, daß gar keine Glücksgüter übrig wären, außer der freien
Zeit dieser Arbeiterklasse, die nun in der Lage wäre, den andern einen Teil
ihres Tagewerks abzunehmen oder bei gleichbleibender Arbeitszeit für einen
bescheidnen Überfluß und Komfort aller zu arbeiten. Wieviel das abwerfen
würde, hängt von dem Zahlenverhältnis der Luxusarbeiter zu den Gesamt¬
arbeitern ab, aber nur derer, die für den Staat der Reichen, nicht auch derer,
die für den Flitter der Armen arbeiten, worüber es nicht schwer sein kann


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[0014] Innere Politik oder Äußere? arbeiten, sondern jedermann wird arbeiten müssen. Der sozialistische Staat wird Mittel zu finden haben, dieser Verarmung unsrer Kultur vorzubeugen. Nachdem auch diese Abzüge gemacht sind, bleibt endlich der Teil des Tributs der Arbeit übrig (nach dem Urteil derer, die keinen Anteil daran haben, ein recht großer Teil), der von dem Privatbesitz für „wirklichen Luxus" verbraucht wird, schönen und unschönen, anständigen und unanständigen, be¬ scheidnen und unbescheidnen, und mit diesem Überfluß der Reichen soll dem Elend der Armen geholfen werden. Jedermann aber wird einsehen, daß man auch diesen Goldstrom nicht leichtsinnig durch andre Taschen leiten darf. Man läuft sonst Gefahr, ebensoviel zu schaden als zu nützen. Verbietet ihr den Reichen ihren Luxus in schönen Wagen, um damit Arbeitslose zu füttern, so werden bald ebensoviel hungrige Wagenarbeiter vor euern Thüren stehen, die Arbeit und Brot verlangen. Die Reichen verschlucken ja nicht das Geld, das ihnen ihre Arbeiter verdient haben, sondern sie geben es wieder aus als Arbeits¬ löhne, und zwar alles ohne Abzug. Trinkt ein Gutsbesitzer eine Flasche feinen Rheinwein, so zahlt er darin Arbeitslöhne für Transport und Winzerarbeit, freilich auch noch einen Beitrag für Bodenrenke an den Besitzer des Weingutes. Aber der ist ja auch Kapitalist, das Geld ist also vorläufig noch in der Ka¬ pitalistenklasse geblieben, der eine hat dem andern einen Teil des von ihm eroberten Mehrwertes abgegeben. Aber schließlich kehrt auch dieser Teil als Arbeitslohn an die Arbeiter zurück. Bloß die ins Ausland gehenden Summen sind zu beklagen. Aber unsre Arbeiter denken ja international, vielleicht mit Recht, denn auch diese Summen kommen wieder. Worin besteht also der Reichtum der Reichen? Nicht darin, daß sie den Armen das Brot vom Munde wegnehmen. Um ihretwillen braucht in Deutsch¬ land keiner zu hungern. Es können sich mit ihnen so viel Menschen in unserm Vaterlande durchschlagen, wie ohne sie! Ihr Reichtum besteht in ihrer Macht; darin, daß sie den einen Teil der Arbeiter länger arbeiten lassen, damit ein andrer Teil Zeit hat, für den Luxus der Herren zu sorgen. Die große Masse schafft Brot, Kleider, Häuser, Bier und Cigarren für sich selbst und noch ein wenig mehr, und diesen Überschuß geben die Herren an eine andre Truppe, die sich dafür mit Luxusgütern erkenntlich zeigt. Man könnte ja nun die Herren der Arbeit übergehen und den Mehrwert unmittelbar an die ehemaligen Luxusarbeiter zahlen. Man würde dann die Erfahrung machen, daß gar keine Glücksgüter übrig wären, außer der freien Zeit dieser Arbeiterklasse, die nun in der Lage wäre, den andern einen Teil ihres Tagewerks abzunehmen oder bei gleichbleibender Arbeitszeit für einen bescheidnen Überfluß und Komfort aller zu arbeiten. Wieviel das abwerfen würde, hängt von dem Zahlenverhältnis der Luxusarbeiter zu den Gesamt¬ arbeitern ab, aber nur derer, die für den Staat der Reichen, nicht auch derer, die für den Flitter der Armen arbeiten, worüber es nicht schwer sein kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/14>, abgerufen am 27.09.2024.