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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

zu verteidigen suchte! Dieser Krimkrieg wird heute vielfach als eine Thorheit
verspottet, zu der Frankreich durch England verleitet worden sei. Sehr mit
Unrecht, aber weil man nur an den Mangel barer Beute des Sieges denkt,
deren letzter Rest 1870 durch die Franzosen selbst verscherzt wurde, statt im
Auge zu behalten, daß der Krimkrieg ganz Europa von einem bedrohlichen
Druck der slawischen Welt befreite. Wenn es Frankreich heute gelänge, Deutsch¬
land niederzuwerfen, so müßte es morgen einen zweiten Krimkrieg beginnen,
sofern es uoch seinen Ruhm wie früher darein setzen wollte, Schützerin der
europäischen Zivilisation zu sein. Sonst wäre kein Leben mehr in Europa.
Das ist gemeinsamer Boden deutscher und französischer Interessen, das ist
Familieninteresse des alten Europas, für das so gut die Knochen des pommerschen
Grenadiers, wie die Knochen der Grenadiere aller andern Kulturvölker unsers
Weltteils einzustehen haben. Die Vernichtung Deutschlands, wie die Franzosen
sie wollen, würde auf die französischen Schultern die Aufgabe laden, ganz
Europa gegen den Osten zu verteidigen. Was würde ans Österreich, aus der
Balkanhalbinsel nach der Zerstörung Deutschlands? Wie lange würde Moskau
zögern, Österreich-Ungarn nebst den Balkanländern in seine Lehensfvlge zu
zwingen? Was gälte ohne Deutschland das Haus Habsburg in Belgrads
Bukarest, Konstantinopel, in dem slawisirten Prag, in Ungarn? Ja was
hätten die Polen von einem siegreichen Frankreich andres zu erwarten, als
an Moskau nochmals verhandelt zu werden?

Umgekehrt weiß jedermann, wie sehr wir der Deckung durch Österreich
bedürfen. Wie kaun hier von Vasallentum, von Schleppenträgern, oder wie
man sich sonst ausdrücken mag, die Rede sein? Daß Deutschland in dem Bunde
die Führung hat, ergiebt sich aus seiner nationalen Einheitlichkeit, seiner größeren
Kriegskraft und vor allein aus seiner größeren Kulturkraft. Aber Führung
auf dieser Seite heißt noch nicht Vasallentum auf der andern. Die Führung
nicht allein, sondern der ganze Wert des Bündnisses hört für uns in dem
Augenblicke auf, wo wir durch Österreich uicht mehr gegen Moskau gedeckt
sind; das wird aber eintreten, sobald Wien in der Hand der Slawen ist. Für
uns hat es eine sehr ähnliche Bedeutung, ob Wien nun von den Tschechen
auf dem parlamentarischen Kampfplatze erobert, oder von den Russen erstürmt
wird; der Erfolg wäre in beiden Fällen, daß die Donau ein russischer Strom
würde und die Kaulbars, Chitrowo u. s. w. dort zu Hause wären. Das Tanzen
nach russischer Pfeife brauchen Tschechen, Serben, Rnthenen, Kroaten nicht
erst zu lernen, und die Russen in Wien und Konstantinopel würden es den
Franzosen so gut lehren wie uns und dem übrigen Europa.

In dem Jahrzehnt seit dem Berliner Frieden haben die orientalischen
Dinge sich in einer für Österreich günstigen Weise gestaltet. Seine Verwaltung
von Bosnien und der Herzegowina hat diese Provinzen nicht nur beruhigt,
sondern in ihnen in erfreulichster Weise den Grund gelegt für eine blühende


Deutschland und das Slawentum

zu verteidigen suchte! Dieser Krimkrieg wird heute vielfach als eine Thorheit
verspottet, zu der Frankreich durch England verleitet worden sei. Sehr mit
Unrecht, aber weil man nur an den Mangel barer Beute des Sieges denkt,
deren letzter Rest 1870 durch die Franzosen selbst verscherzt wurde, statt im
Auge zu behalten, daß der Krimkrieg ganz Europa von einem bedrohlichen
Druck der slawischen Welt befreite. Wenn es Frankreich heute gelänge, Deutsch¬
land niederzuwerfen, so müßte es morgen einen zweiten Krimkrieg beginnen,
sofern es uoch seinen Ruhm wie früher darein setzen wollte, Schützerin der
europäischen Zivilisation zu sein. Sonst wäre kein Leben mehr in Europa.
Das ist gemeinsamer Boden deutscher und französischer Interessen, das ist
Familieninteresse des alten Europas, für das so gut die Knochen des pommerschen
Grenadiers, wie die Knochen der Grenadiere aller andern Kulturvölker unsers
Weltteils einzustehen haben. Die Vernichtung Deutschlands, wie die Franzosen
sie wollen, würde auf die französischen Schultern die Aufgabe laden, ganz
Europa gegen den Osten zu verteidigen. Was würde ans Österreich, aus der
Balkanhalbinsel nach der Zerstörung Deutschlands? Wie lange würde Moskau
zögern, Österreich-Ungarn nebst den Balkanländern in seine Lehensfvlge zu
zwingen? Was gälte ohne Deutschland das Haus Habsburg in Belgrads
Bukarest, Konstantinopel, in dem slawisirten Prag, in Ungarn? Ja was
hätten die Polen von einem siegreichen Frankreich andres zu erwarten, als
an Moskau nochmals verhandelt zu werden?

Umgekehrt weiß jedermann, wie sehr wir der Deckung durch Österreich
bedürfen. Wie kaun hier von Vasallentum, von Schleppenträgern, oder wie
man sich sonst ausdrücken mag, die Rede sein? Daß Deutschland in dem Bunde
die Führung hat, ergiebt sich aus seiner nationalen Einheitlichkeit, seiner größeren
Kriegskraft und vor allein aus seiner größeren Kulturkraft. Aber Führung
auf dieser Seite heißt noch nicht Vasallentum auf der andern. Die Führung
nicht allein, sondern der ganze Wert des Bündnisses hört für uns in dem
Augenblicke auf, wo wir durch Österreich uicht mehr gegen Moskau gedeckt
sind; das wird aber eintreten, sobald Wien in der Hand der Slawen ist. Für
uns hat es eine sehr ähnliche Bedeutung, ob Wien nun von den Tschechen
auf dem parlamentarischen Kampfplatze erobert, oder von den Russen erstürmt
wird; der Erfolg wäre in beiden Fällen, daß die Donau ein russischer Strom
würde und die Kaulbars, Chitrowo u. s. w. dort zu Hause wären. Das Tanzen
nach russischer Pfeife brauchen Tschechen, Serben, Rnthenen, Kroaten nicht
erst zu lernen, und die Russen in Wien und Konstantinopel würden es den
Franzosen so gut lehren wie uns und dem übrigen Europa.

In dem Jahrzehnt seit dem Berliner Frieden haben die orientalischen
Dinge sich in einer für Österreich günstigen Weise gestaltet. Seine Verwaltung
von Bosnien und der Herzegowina hat diese Provinzen nicht nur beruhigt,
sondern in ihnen in erfreulichster Weise den Grund gelegt für eine blühende


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[0122] Deutschland und das Slawentum zu verteidigen suchte! Dieser Krimkrieg wird heute vielfach als eine Thorheit verspottet, zu der Frankreich durch England verleitet worden sei. Sehr mit Unrecht, aber weil man nur an den Mangel barer Beute des Sieges denkt, deren letzter Rest 1870 durch die Franzosen selbst verscherzt wurde, statt im Auge zu behalten, daß der Krimkrieg ganz Europa von einem bedrohlichen Druck der slawischen Welt befreite. Wenn es Frankreich heute gelänge, Deutsch¬ land niederzuwerfen, so müßte es morgen einen zweiten Krimkrieg beginnen, sofern es uoch seinen Ruhm wie früher darein setzen wollte, Schützerin der europäischen Zivilisation zu sein. Sonst wäre kein Leben mehr in Europa. Das ist gemeinsamer Boden deutscher und französischer Interessen, das ist Familieninteresse des alten Europas, für das so gut die Knochen des pommerschen Grenadiers, wie die Knochen der Grenadiere aller andern Kulturvölker unsers Weltteils einzustehen haben. Die Vernichtung Deutschlands, wie die Franzosen sie wollen, würde auf die französischen Schultern die Aufgabe laden, ganz Europa gegen den Osten zu verteidigen. Was würde ans Österreich, aus der Balkanhalbinsel nach der Zerstörung Deutschlands? Wie lange würde Moskau zögern, Österreich-Ungarn nebst den Balkanländern in seine Lehensfvlge zu zwingen? Was gälte ohne Deutschland das Haus Habsburg in Belgrads Bukarest, Konstantinopel, in dem slawisirten Prag, in Ungarn? Ja was hätten die Polen von einem siegreichen Frankreich andres zu erwarten, als an Moskau nochmals verhandelt zu werden? Umgekehrt weiß jedermann, wie sehr wir der Deckung durch Österreich bedürfen. Wie kaun hier von Vasallentum, von Schleppenträgern, oder wie man sich sonst ausdrücken mag, die Rede sein? Daß Deutschland in dem Bunde die Führung hat, ergiebt sich aus seiner nationalen Einheitlichkeit, seiner größeren Kriegskraft und vor allein aus seiner größeren Kulturkraft. Aber Führung auf dieser Seite heißt noch nicht Vasallentum auf der andern. Die Führung nicht allein, sondern der ganze Wert des Bündnisses hört für uns in dem Augenblicke auf, wo wir durch Österreich uicht mehr gegen Moskau gedeckt sind; das wird aber eintreten, sobald Wien in der Hand der Slawen ist. Für uns hat es eine sehr ähnliche Bedeutung, ob Wien nun von den Tschechen auf dem parlamentarischen Kampfplatze erobert, oder von den Russen erstürmt wird; der Erfolg wäre in beiden Fällen, daß die Donau ein russischer Strom würde und die Kaulbars, Chitrowo u. s. w. dort zu Hause wären. Das Tanzen nach russischer Pfeife brauchen Tschechen, Serben, Rnthenen, Kroaten nicht erst zu lernen, und die Russen in Wien und Konstantinopel würden es den Franzosen so gut lehren wie uns und dem übrigen Europa. In dem Jahrzehnt seit dem Berliner Frieden haben die orientalischen Dinge sich in einer für Österreich günstigen Weise gestaltet. Seine Verwaltung von Bosnien und der Herzegowina hat diese Provinzen nicht nur beruhigt, sondern in ihnen in erfreulichster Weise den Grund gelegt für eine blühende

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/122>, abgerufen am 27.09.2024.