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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

,'Bnutnjet" des Bauern; und doch redete hier einer der einflußreichsten, wenn
nicht der einflußreichste Würdenträger Rußlands nach dein Zaren. Es ist
immer noch der Standpunkt eines welterobernden Dschingis-Khan, das
stolze Selbstbewußtsein roher, gewalttiger Massen, der Dünkel von Führern zahl¬
reicher, abgeschlossener und willenloser Naturvölker. Im Auge der Russen
revoltirt Osterreich gegen deu Zaren, indem es sich der Einigung der Süd¬
slawen unter dem Zarenszepter widersetzt, und wenn die Stimme des Zaren
das Volk zum. Zuge gegen die "Heiden" in Wien aufrufen sollte, so wird man
u> Rußland dem Rufe heute ebenso zujubeln wie 1876 dem Aufrufe gegen den
Türken. Wie sich die Dinge heute in Belgrad und auch in Sofia gestaltet
haben, kann täglich der Anlaß zu einer Bewegung in der slawischen Welt auf¬
tauchen, die stärker werden könnte, als der friedliche Sinn des Zaren ist. Und
zuletzt darf man nicht übersehen, daß dieser friedliche Sinn in der Meinung
des Zaren selbst eine Grenze hat: alle die eifrigen, vorsichtigen und plan¬
mäßigen Zurüstungen und Aufstellungen in der russischen Armee, die eben noch
fortdauern, lasten erkennen, daß Rußland seine ganze Macht für den Zeitpunkt
Ul Bereitschaft setzt, wo die Orientfrage nochmals aufgeworfen wird. Sobald
in Serbien, Bulgarien, Makedonien die heutige Ordnung der Dinge in gewalt¬
same Verwirrung gerät, hört jene Friedensliebe auf, dann ist auch der Zar
entschlossen, seine Ansprüche mit Waffengewalt geltend zu machen. Jedermann
wird heute zugeben, daß dieser Endpunkt der Friedensliebe in nicht gar so
weiter Ferne zu liegen scheint. Und dann wird nicht or. Rieger, fondern
Gregr Führer der Westslawen sein, welcher in der bereits erwähnten
Debatte des österreichischen Abgeordnetenhauses vom 7. Dezember vorigen Jahres
ossen erklärte, er bewillige die Stärkung der österreichischen Wehrkraft nicht
für den Fall, daß der deutsch-österreichische Bund dessen bedürfte, fondern für
den Fall, daß Österreich seines Heeres gegen Deutschland bedürfte.

Erst durch die Betrachtung der Stellung Rußlands zu dem slawisch-deutschen
Kampfe erlaugt der zu Anfang dieser Erörterung berührte nationale Hader in
den österreichischen Kronländern seine volle Beleuchtung für uns. Der Stoß
Rußlands ist vor allein gegen Österreich gerichtet. Sollen wir Österreich decken,
so muß es ein deutsches Österreich sein. So lange Rußland europäische Gro߬
wacht ist und Deutschland seine gegenwärtige Kraft bewahrt, kann es kein
^Wisches Österreich geben. Ein slawisches Donanreich nnter habsburgischer
Führung wäre erst denkbar, wenn Nußland bis über den Dujepr zurückgeworfen
und Pole,, in gewissen Grenzen wieder hergestellt wäre. Der slawische Katholi-
Mmus ist kein ausreichendes Fuudnment für einen österreichischen Kaiserstaat.
Unsre Reichspolitik wird ohne Zweifel die Bundestreue heilig halten; aber
Welche.Sicherung auch nur militärischer Art kann uns in einem etwaigen Kampfe
und Rußland ein Österreich bieten, in welchem Staat und Heer von slawischen
leiste beseelt wären? Mit einem deutsch-ungarischen Kulturstaate haben wir


Deutschland und das Slawentum

,'Bnutnjet" des Bauern; und doch redete hier einer der einflußreichsten, wenn
nicht der einflußreichste Würdenträger Rußlands nach dein Zaren. Es ist
immer noch der Standpunkt eines welterobernden Dschingis-Khan, das
stolze Selbstbewußtsein roher, gewalttiger Massen, der Dünkel von Führern zahl¬
reicher, abgeschlossener und willenloser Naturvölker. Im Auge der Russen
revoltirt Osterreich gegen deu Zaren, indem es sich der Einigung der Süd¬
slawen unter dem Zarenszepter widersetzt, und wenn die Stimme des Zaren
das Volk zum. Zuge gegen die „Heiden" in Wien aufrufen sollte, so wird man
u> Rußland dem Rufe heute ebenso zujubeln wie 1876 dem Aufrufe gegen den
Türken. Wie sich die Dinge heute in Belgrad und auch in Sofia gestaltet
haben, kann täglich der Anlaß zu einer Bewegung in der slawischen Welt auf¬
tauchen, die stärker werden könnte, als der friedliche Sinn des Zaren ist. Und
zuletzt darf man nicht übersehen, daß dieser friedliche Sinn in der Meinung
des Zaren selbst eine Grenze hat: alle die eifrigen, vorsichtigen und plan¬
mäßigen Zurüstungen und Aufstellungen in der russischen Armee, die eben noch
fortdauern, lasten erkennen, daß Rußland seine ganze Macht für den Zeitpunkt
Ul Bereitschaft setzt, wo die Orientfrage nochmals aufgeworfen wird. Sobald
in Serbien, Bulgarien, Makedonien die heutige Ordnung der Dinge in gewalt¬
same Verwirrung gerät, hört jene Friedensliebe auf, dann ist auch der Zar
entschlossen, seine Ansprüche mit Waffengewalt geltend zu machen. Jedermann
wird heute zugeben, daß dieser Endpunkt der Friedensliebe in nicht gar so
weiter Ferne zu liegen scheint. Und dann wird nicht or. Rieger, fondern
Gregr Führer der Westslawen sein, welcher in der bereits erwähnten
Debatte des österreichischen Abgeordnetenhauses vom 7. Dezember vorigen Jahres
ossen erklärte, er bewillige die Stärkung der österreichischen Wehrkraft nicht
für den Fall, daß der deutsch-österreichische Bund dessen bedürfte, fondern für
den Fall, daß Österreich seines Heeres gegen Deutschland bedürfte.

Erst durch die Betrachtung der Stellung Rußlands zu dem slawisch-deutschen
Kampfe erlaugt der zu Anfang dieser Erörterung berührte nationale Hader in
den österreichischen Kronländern seine volle Beleuchtung für uns. Der Stoß
Rußlands ist vor allein gegen Österreich gerichtet. Sollen wir Österreich decken,
so muß es ein deutsches Österreich sein. So lange Rußland europäische Gro߬
wacht ist und Deutschland seine gegenwärtige Kraft bewahrt, kann es kein
^Wisches Österreich geben. Ein slawisches Donanreich nnter habsburgischer
Führung wäre erst denkbar, wenn Nußland bis über den Dujepr zurückgeworfen
und Pole,, in gewissen Grenzen wieder hergestellt wäre. Der slawische Katholi-
Mmus ist kein ausreichendes Fuudnment für einen österreichischen Kaiserstaat.
Unsre Reichspolitik wird ohne Zweifel die Bundestreue heilig halten; aber
Welche.Sicherung auch nur militärischer Art kann uns in einem etwaigen Kampfe
und Rußland ein Österreich bieten, in welchem Staat und Heer von slawischen
leiste beseelt wären? Mit einem deutsch-ungarischen Kulturstaate haben wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/119>, abgerufen am 27.09.2024.