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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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im Verlaufe der oben ans der Nachlese zu Aristoteles' Poetik citirten Stelle
derartige Erweckungen der Moral durch die Kunst rein zufällige, wie er sich
ja auch aufs entschiedenste gegen diejenige" wandte, welche die didaktische Wir¬
kung ans dem Stoffe als das Ziel der dramatischen Kunst hinstellten.

Wie ganz anders urtheilte Schiller! Hatte er im ersten Feuer seines
jugendlichen Jdenlsinnes die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet
~~ eine Abhandlung aus dem Jahre 1784 trägt ebeu diesen Titel --, so konnte
er sich auch als gereifter Mann nicht entschließen, ihr, wie Goethe es that, jed-
weden Eiufliiß auf die Sittlichkeit abzusprechen. Vielmehr blieb es ihm stets
ein Glaubenssatz seines künstlerischen Schaffens, daß die Kunst sittlich wirke,
weil sie durch sittliche Mittel ergötze.") ..Es ist gewiß -- sagt er in der Ab¬
handlung über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792) --
es ist gewiß, daß jedes Vergnügen, insofern es ans sittlichen Quellen fließt,
den Menschen sittlich verbessert, und daß hier die Wirkung wieder zur Ursache
werden muß." Das Vergnügen, welches die Kunst hervorbringt, kann aber
schlechterdings nur durch moralische Mittel erreicht werden, und die Kunst muß
-- um das Vergnügen zu erreichen - dnrch die Moralität ihren Weg nehmen.
Dies thut sie, indem sie die moralische Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Be¬
wußtsein bringt, und das Vergnügen an tragischen Gegenständen beruht eben
darauf, daß wir uus über deu Sieg der hohem moralischen Zweckmäßigkeit
gegenüber der bloßen Natnrzweckmäßigkeit ergötzen.

Es ist hier nicht der Ort. ans die Erklärung der genannten technischen
Ausdrücke sowie überhaupt auf die tiefere Begründung der Schillerschen Lehre
von der Wirkung der tragischen Kunst einzugehen. Es genügt vielmehr hervorzu¬
heben, wie nahe sich Schiller sowohl in der Betonung wie in der Begründung
des sittlichen Werthes der Tragödie mit Lessing berührt. In diesem einen
Punkte stehen beide Dichter dem Goethischen Standpunkte gleich fern, und sie
kommen auch darin wieder überein, daß sie die ethische Wirkung nicht aus dem
jedesmaligen Stoffe, souderu aus dem Charakter der Gattung ableiten. Aber
>" einem sehr wesentlichen Punkte unterscheidet sich Schiller von Lessing. "Für
die Natur - sagt er in der Abhandlung über die tragische Kunst -- mag das
Vergnügen nur ein mittelbarer Zweck sein; für die Kunst ist eS der höchste."
Zu der Höhe dieser rein ästhetischen Anschauung hat Lessing sich nie empor-
gerungen, er nähert sich ihr nur von ferne, wenn er zugiebt, daß Nutzen und
Vergilt'nM beim Trauerspiel nicht zu trennen, ja daß die ganze Hälfte des
Mitleids und des Lachens Vergnügen sei. (Lessing an Nicolai, 13. Nov. 17S6.)



V^l, hin>t' Abhnndlum, über die ton>M,o Kunst (17!>2),
Lcssmgstudien.

im Verlaufe der oben ans der Nachlese zu Aristoteles' Poetik citirten Stelle
derartige Erweckungen der Moral durch die Kunst rein zufällige, wie er sich
ja auch aufs entschiedenste gegen diejenige» wandte, welche die didaktische Wir¬
kung ans dem Stoffe als das Ziel der dramatischen Kunst hinstellten.

Wie ganz anders urtheilte Schiller! Hatte er im ersten Feuer seines
jugendlichen Jdenlsinnes die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet
~~ eine Abhandlung aus dem Jahre 1784 trägt ebeu diesen Titel —, so konnte
er sich auch als gereifter Mann nicht entschließen, ihr, wie Goethe es that, jed-
weden Eiufliiß auf die Sittlichkeit abzusprechen. Vielmehr blieb es ihm stets
ein Glaubenssatz seines künstlerischen Schaffens, daß die Kunst sittlich wirke,
weil sie durch sittliche Mittel ergötze.") ..Es ist gewiß — sagt er in der Ab¬
handlung über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792) —
es ist gewiß, daß jedes Vergnügen, insofern es ans sittlichen Quellen fließt,
den Menschen sittlich verbessert, und daß hier die Wirkung wieder zur Ursache
werden muß." Das Vergnügen, welches die Kunst hervorbringt, kann aber
schlechterdings nur durch moralische Mittel erreicht werden, und die Kunst muß
— um das Vergnügen zu erreichen - dnrch die Moralität ihren Weg nehmen.
Dies thut sie, indem sie die moralische Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Be¬
wußtsein bringt, und das Vergnügen an tragischen Gegenständen beruht eben
darauf, daß wir uus über deu Sieg der hohem moralischen Zweckmäßigkeit
gegenüber der bloßen Natnrzweckmäßigkeit ergötzen.

Es ist hier nicht der Ort. ans die Erklärung der genannten technischen
Ausdrücke sowie überhaupt auf die tiefere Begründung der Schillerschen Lehre
von der Wirkung der tragischen Kunst einzugehen. Es genügt vielmehr hervorzu¬
heben, wie nahe sich Schiller sowohl in der Betonung wie in der Begründung
des sittlichen Werthes der Tragödie mit Lessing berührt. In diesem einen
Punkte stehen beide Dichter dem Goethischen Standpunkte gleich fern, und sie
kommen auch darin wieder überein, daß sie die ethische Wirkung nicht aus dem
jedesmaligen Stoffe, souderu aus dem Charakter der Gattung ableiten. Aber
>" einem sehr wesentlichen Punkte unterscheidet sich Schiller von Lessing. „Für
die Natur - sagt er in der Abhandlung über die tragische Kunst — mag das
Vergnügen nur ein mittelbarer Zweck sein; für die Kunst ist eS der höchste."
Zu der Höhe dieser rein ästhetischen Anschauung hat Lessing sich nie empor-
gerungen, er nähert sich ihr nur von ferne, wenn er zugiebt, daß Nutzen und
Vergilt'nM beim Trauerspiel nicht zu trennen, ja daß die ganze Hälfte des
Mitleids und des Lachens Vergnügen sei. (Lessing an Nicolai, 13. Nov. 17S6.)



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[0247] Lcssmgstudien. im Verlaufe der oben ans der Nachlese zu Aristoteles' Poetik citirten Stelle derartige Erweckungen der Moral durch die Kunst rein zufällige, wie er sich ja auch aufs entschiedenste gegen diejenige» wandte, welche die didaktische Wir¬ kung ans dem Stoffe als das Ziel der dramatischen Kunst hinstellten. Wie ganz anders urtheilte Schiller! Hatte er im ersten Feuer seines jugendlichen Jdenlsinnes die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet ~~ eine Abhandlung aus dem Jahre 1784 trägt ebeu diesen Titel —, so konnte er sich auch als gereifter Mann nicht entschließen, ihr, wie Goethe es that, jed- weden Eiufliiß auf die Sittlichkeit abzusprechen. Vielmehr blieb es ihm stets ein Glaubenssatz seines künstlerischen Schaffens, daß die Kunst sittlich wirke, weil sie durch sittliche Mittel ergötze.") ..Es ist gewiß — sagt er in der Ab¬ handlung über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792) — es ist gewiß, daß jedes Vergnügen, insofern es ans sittlichen Quellen fließt, den Menschen sittlich verbessert, und daß hier die Wirkung wieder zur Ursache werden muß." Das Vergnügen, welches die Kunst hervorbringt, kann aber schlechterdings nur durch moralische Mittel erreicht werden, und die Kunst muß — um das Vergnügen zu erreichen - dnrch die Moralität ihren Weg nehmen. Dies thut sie, indem sie die moralische Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Be¬ wußtsein bringt, und das Vergnügen an tragischen Gegenständen beruht eben darauf, daß wir uus über deu Sieg der hohem moralischen Zweckmäßigkeit gegenüber der bloßen Natnrzweckmäßigkeit ergötzen. Es ist hier nicht der Ort. ans die Erklärung der genannten technischen Ausdrücke sowie überhaupt auf die tiefere Begründung der Schillerschen Lehre von der Wirkung der tragischen Kunst einzugehen. Es genügt vielmehr hervorzu¬ heben, wie nahe sich Schiller sowohl in der Betonung wie in der Begründung des sittlichen Werthes der Tragödie mit Lessing berührt. In diesem einen Punkte stehen beide Dichter dem Goethischen Standpunkte gleich fern, und sie kommen auch darin wieder überein, daß sie die ethische Wirkung nicht aus dem jedesmaligen Stoffe, souderu aus dem Charakter der Gattung ableiten. Aber >" einem sehr wesentlichen Punkte unterscheidet sich Schiller von Lessing. „Für die Natur - sagt er in der Abhandlung über die tragische Kunst — mag das Vergnügen nur ein mittelbarer Zweck sein; für die Kunst ist eS der höchste." Zu der Höhe dieser rein ästhetischen Anschauung hat Lessing sich nie empor- gerungen, er nähert sich ihr nur von ferne, wenn er zugiebt, daß Nutzen und Vergilt'nM beim Trauerspiel nicht zu trennen, ja daß die ganze Hälfte des Mitleids und des Lachens Vergnügen sei. (Lessing an Nicolai, 13. Nov. 17S6.) V^l, hin>t' Abhnndlum, über die ton>M,o Kunst (17!>2),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/247>, abgerufen am 27.12.2024.