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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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sie schließlich doch nicht den gehegten Erwartungen, und die ganze Arbeit drohte
verloren zu gehen. Noch dachten beide an eine musikalische Umarbeitung. Goethe
wünschte die Weglassung der Rezitative; "mögen," schreibt er, "die prosaischen
Deutschen den sanglosen Dialog deklamiren".

Vielleicht hätte die Verbindung beider sich noch fortgesetzt, Kayser wäre
nach Goethe's Wunsch an die Umarbeitung der Oper im Laufe des Winters
herangetreten, wenn er nicht dnrch die Mittheilung überrascht worden wäre,
daß Reichardt sich Goethen durch die Komposition von "Claudine" zu nähern
strebte; eine Verbindung, die wesentlich dazu beitrug, daß Kayser sich mehr und
mehr zurückzog, und Goethe ihn bald kaum noch einer Erwähnung würdigte.
Dagegen soll Kayser trotz seiner Spannung mit Goethe nur mit der größten
Hochachtung von diesem gesprochen haben und nie haben merken lassen, daß das
frühere freundschaftliche Verhältniß gestört worden sei.

Erst nach langen Jahren, als Goethe feine italienische Reise bearbeitete,
dachte er des alten Freundes und wandte sich an Zelter, um von diesem ein
eingehendes Urtheil über Kayser's Komposition der Oper "Scherz, List und
Rache" zu erhalten und über seine Kunst ebenso in's Klare zu kommen, wie er
es über seine Studien und seinen Charakter war. Vielleicht bezeichnet das,
was Goethe in der italienischen Reise selbst sagt, das erbetene Urtheil Zelter's.
..Ich selbst -- schreibt Goethe als Bekenntniß -- war schon über das Maß
des Intermezzo hinausgegangen und das kleinlich scheinende Sujet hatte sich
in so viele Singstücke entfaltet, daß selbst bei einer vorübergehenden sparsamen
Musik drei Personen kaum mit der Darstellung zu Ende gekommen wären.
Nun hatte Kayser die Arien ausführlich nach altem Schnitt behandelt und
Man darf sagen, stellenweise glücklich genug, wie nicht ohne Anmuth des Ganzen.
Allein wie und wo sollte das zur Erscheinung kommen? Unglücklicher Weise
litt es nach früheren Müßigkeitsprincipien an einer Stimmenmagerkeit, es stieg
nicht weiter als bis zum Terzett und man hätte zuletzt die Theriaksbüchse des
Doctors gern beleben mögen, um einen Chor zu gewinnen. Alles unser Be¬
mühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren,
als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles
nieder und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück
niemals die Rede gewesen."

Dies Geständniß zeigt klar, daß die Bestrebungen Goethe's aus dem musi¬
kalisch-theatralischen Gebiete nicht glücklich waren, daß aber auch Kayser nicht
die Vorbedingungen in sich vereinigte, um sich eine Lebensstellung zu ver¬
schaffen, die seinen hohen Talenten und sonstigen persönlichen Eigenschaften
entsprach. Er blieb Musiklehrer in Zürich bis an das Ende seines Lebens.

Was Goethe vergebens versucht hatte, das unternahmen 1789, als sich


Grenzboten II. 1879. 8

sie schließlich doch nicht den gehegten Erwartungen, und die ganze Arbeit drohte
verloren zu gehen. Noch dachten beide an eine musikalische Umarbeitung. Goethe
wünschte die Weglassung der Rezitative; „mögen," schreibt er, „die prosaischen
Deutschen den sanglosen Dialog deklamiren".

Vielleicht hätte die Verbindung beider sich noch fortgesetzt, Kayser wäre
nach Goethe's Wunsch an die Umarbeitung der Oper im Laufe des Winters
herangetreten, wenn er nicht dnrch die Mittheilung überrascht worden wäre,
daß Reichardt sich Goethen durch die Komposition von „Claudine" zu nähern
strebte; eine Verbindung, die wesentlich dazu beitrug, daß Kayser sich mehr und
mehr zurückzog, und Goethe ihn bald kaum noch einer Erwähnung würdigte.
Dagegen soll Kayser trotz seiner Spannung mit Goethe nur mit der größten
Hochachtung von diesem gesprochen haben und nie haben merken lassen, daß das
frühere freundschaftliche Verhältniß gestört worden sei.

Erst nach langen Jahren, als Goethe feine italienische Reise bearbeitete,
dachte er des alten Freundes und wandte sich an Zelter, um von diesem ein
eingehendes Urtheil über Kayser's Komposition der Oper „Scherz, List und
Rache" zu erhalten und über seine Kunst ebenso in's Klare zu kommen, wie er
es über seine Studien und seinen Charakter war. Vielleicht bezeichnet das,
was Goethe in der italienischen Reise selbst sagt, das erbetene Urtheil Zelter's.
..Ich selbst — schreibt Goethe als Bekenntniß — war schon über das Maß
des Intermezzo hinausgegangen und das kleinlich scheinende Sujet hatte sich
in so viele Singstücke entfaltet, daß selbst bei einer vorübergehenden sparsamen
Musik drei Personen kaum mit der Darstellung zu Ende gekommen wären.
Nun hatte Kayser die Arien ausführlich nach altem Schnitt behandelt und
Man darf sagen, stellenweise glücklich genug, wie nicht ohne Anmuth des Ganzen.
Allein wie und wo sollte das zur Erscheinung kommen? Unglücklicher Weise
litt es nach früheren Müßigkeitsprincipien an einer Stimmenmagerkeit, es stieg
nicht weiter als bis zum Terzett und man hätte zuletzt die Theriaksbüchse des
Doctors gern beleben mögen, um einen Chor zu gewinnen. Alles unser Be¬
mühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren,
als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles
nieder und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück
niemals die Rede gewesen."

Dies Geständniß zeigt klar, daß die Bestrebungen Goethe's aus dem musi¬
kalisch-theatralischen Gebiete nicht glücklich waren, daß aber auch Kayser nicht
die Vorbedingungen in sich vereinigte, um sich eine Lebensstellung zu ver¬
schaffen, die seinen hohen Talenten und sonstigen persönlichen Eigenschaften
entsprach. Er blieb Musiklehrer in Zürich bis an das Ende seines Lebens.

Was Goethe vergebens versucht hatte, das unternahmen 1789, als sich


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[0061] sie schließlich doch nicht den gehegten Erwartungen, und die ganze Arbeit drohte verloren zu gehen. Noch dachten beide an eine musikalische Umarbeitung. Goethe wünschte die Weglassung der Rezitative; „mögen," schreibt er, „die prosaischen Deutschen den sanglosen Dialog deklamiren". Vielleicht hätte die Verbindung beider sich noch fortgesetzt, Kayser wäre nach Goethe's Wunsch an die Umarbeitung der Oper im Laufe des Winters herangetreten, wenn er nicht dnrch die Mittheilung überrascht worden wäre, daß Reichardt sich Goethen durch die Komposition von „Claudine" zu nähern strebte; eine Verbindung, die wesentlich dazu beitrug, daß Kayser sich mehr und mehr zurückzog, und Goethe ihn bald kaum noch einer Erwähnung würdigte. Dagegen soll Kayser trotz seiner Spannung mit Goethe nur mit der größten Hochachtung von diesem gesprochen haben und nie haben merken lassen, daß das frühere freundschaftliche Verhältniß gestört worden sei. Erst nach langen Jahren, als Goethe feine italienische Reise bearbeitete, dachte er des alten Freundes und wandte sich an Zelter, um von diesem ein eingehendes Urtheil über Kayser's Komposition der Oper „Scherz, List und Rache" zu erhalten und über seine Kunst ebenso in's Klare zu kommen, wie er es über seine Studien und seinen Charakter war. Vielleicht bezeichnet das, was Goethe in der italienischen Reise selbst sagt, das erbetene Urtheil Zelter's. ..Ich selbst — schreibt Goethe als Bekenntniß — war schon über das Maß des Intermezzo hinausgegangen und das kleinlich scheinende Sujet hatte sich in so viele Singstücke entfaltet, daß selbst bei einer vorübergehenden sparsamen Musik drei Personen kaum mit der Darstellung zu Ende gekommen wären. Nun hatte Kayser die Arien ausführlich nach altem Schnitt behandelt und Man darf sagen, stellenweise glücklich genug, wie nicht ohne Anmuth des Ganzen. Allein wie und wo sollte das zur Erscheinung kommen? Unglücklicher Weise litt es nach früheren Müßigkeitsprincipien an einer Stimmenmagerkeit, es stieg nicht weiter als bis zum Terzett und man hätte zuletzt die Theriaksbüchse des Doctors gern beleben mögen, um einen Chor zu gewinnen. Alles unser Be¬ mühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück niemals die Rede gewesen." Dies Geständniß zeigt klar, daß die Bestrebungen Goethe's aus dem musi¬ kalisch-theatralischen Gebiete nicht glücklich waren, daß aber auch Kayser nicht die Vorbedingungen in sich vereinigte, um sich eine Lebensstellung zu ver¬ schaffen, die seinen hohen Talenten und sonstigen persönlichen Eigenschaften entsprach. Er blieb Musiklehrer in Zürich bis an das Ende seines Lebens. Was Goethe vergebens versucht hatte, das unternahmen 1789, als sich Grenzboten II. 1879. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/61>, abgerufen am 27.09.2024.