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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Jener Verzicht des Fürsten war durch die Proklamationen des Kaisers
Alexander an die Bulgaren des Fürstenthums und Ostrumelien's gegeben,
namentlich durch die vom 22. April, die von den Bewohnern des letzteren mit
Bestimmtheit erwartete, sie würden keinen Anlaß zu Klagen geben, daß sie die
ruhige Entwickelung des benachbarten Fürstenthums zu stören beabsichtigten,
und die dann nach einem Hinweis auf die dem dortigen Volke zu Theil ge¬
wordene ausgedehnte Autonomie den unzufriedenen und revolutionären Elementen
dieser Provinz, welche, auf ungesetzlichen Wege vorgehend, nur neues Unglück
über das Land bringen könnten, entschieden die Mißbilligung des Czaren aus¬
sprach. Allerdings lautet die Ansprache des russischen Generals Obrntschew
einigermaßen anders. Die bulgarische Bevölkerung Ostrumelien's wird darin
zwar ermahnt, nach den Bestimmungen des Berliner Vertrags zu handeln, da
weder Rußland noch Europa für sie uoch Blut zu vergießen gewillt sei. Dann
aber wird die Möglichkeit betont, die Mohammedaner zu neuen Gewaltthaten
schreiten zu sehen, und dieser gegenüber auf die militärischen Mittel hingewiesen,
über welche die Bulgaren Dank der russischen Verwaltung seit dem Frieden
verfügen. Auch die Verkündigung, der Sultan habe darauf verzichtet, türkische
Truppen nach Ostrumelien zu senden, hat einen eigenthümlichen Beigeschmack;
denn erstens kann man aus ihr herauslesen, die Balkanpäsfe würden offen
und fo die Verbindung der staatsrechtlich getrennten Bulgarenländer faktisch
bestehen bleiben, dann aber unterläßt die Ansprache des russischen General¬
adjutanten, hinzuzufügen, daß die türkische Regierung zwar von der Besetzung
Jchtiman's mit ihren Soldaten absieht, aber auf der von Burgas besteht. Wir
begegnen also einem nicht unwesentlichen Unterschiede zwischen den Aeußerungen
des Czaren und denen des von ihm beauftragten bisherigen Gouverneurs von
Ostrumelien, und das Doppelgesicht der russischen Politik zeigt sich auch hier.

Es ist gar nicht unmöglich, ja wahrscheinlich, daß die Einheitspartei in
den Bulgarenlündern, wenn, wie es kaum ausbleiben kann, das Ueberwiegen
des bulgarischen Elements zur Bedrückung der im Lande wohnenden Türken
und Griechen, zu Mißhandlungen derselben und zu Verletzungen ihrer Rechte
führt, und wenn die Türken dann einschreiten, dem Winke, den ihr General
Obrutschew gegeben, folgt und die Fahne des Aufstandes erhebt. Die Mittel
zu einem Versuche, die türkische Herrschaft abzuschütteln, hat sie in der Hand,
und sie können ihr zu Erfolgen hinreichend erscheinen, wenn auch Andere diese
Meinung nicht entfernt theilen werden. Die ostrmnelische Miliz, bisher mit
der bulgarischen vereinigt, besteht im ersten Aufgebot aus 9 Bataillonen In¬
fanterie, 3 Schwadronen Reiterei und 16 Geschützen, einer Truppenmacht, die
großentheils von russischen Offizieren befehligt wird und im Ganzen etwa
10000 Manu stark ist. Dazu kommt das ebenso starke, zwar nicht uniformirte,


Jener Verzicht des Fürsten war durch die Proklamationen des Kaisers
Alexander an die Bulgaren des Fürstenthums und Ostrumelien's gegeben,
namentlich durch die vom 22. April, die von den Bewohnern des letzteren mit
Bestimmtheit erwartete, sie würden keinen Anlaß zu Klagen geben, daß sie die
ruhige Entwickelung des benachbarten Fürstenthums zu stören beabsichtigten,
und die dann nach einem Hinweis auf die dem dortigen Volke zu Theil ge¬
wordene ausgedehnte Autonomie den unzufriedenen und revolutionären Elementen
dieser Provinz, welche, auf ungesetzlichen Wege vorgehend, nur neues Unglück
über das Land bringen könnten, entschieden die Mißbilligung des Czaren aus¬
sprach. Allerdings lautet die Ansprache des russischen Generals Obrntschew
einigermaßen anders. Die bulgarische Bevölkerung Ostrumelien's wird darin
zwar ermahnt, nach den Bestimmungen des Berliner Vertrags zu handeln, da
weder Rußland noch Europa für sie uoch Blut zu vergießen gewillt sei. Dann
aber wird die Möglichkeit betont, die Mohammedaner zu neuen Gewaltthaten
schreiten zu sehen, und dieser gegenüber auf die militärischen Mittel hingewiesen,
über welche die Bulgaren Dank der russischen Verwaltung seit dem Frieden
verfügen. Auch die Verkündigung, der Sultan habe darauf verzichtet, türkische
Truppen nach Ostrumelien zu senden, hat einen eigenthümlichen Beigeschmack;
denn erstens kann man aus ihr herauslesen, die Balkanpäsfe würden offen
und fo die Verbindung der staatsrechtlich getrennten Bulgarenländer faktisch
bestehen bleiben, dann aber unterläßt die Ansprache des russischen General¬
adjutanten, hinzuzufügen, daß die türkische Regierung zwar von der Besetzung
Jchtiman's mit ihren Soldaten absieht, aber auf der von Burgas besteht. Wir
begegnen also einem nicht unwesentlichen Unterschiede zwischen den Aeußerungen
des Czaren und denen des von ihm beauftragten bisherigen Gouverneurs von
Ostrumelien, und das Doppelgesicht der russischen Politik zeigt sich auch hier.

Es ist gar nicht unmöglich, ja wahrscheinlich, daß die Einheitspartei in
den Bulgarenlündern, wenn, wie es kaum ausbleiben kann, das Ueberwiegen
des bulgarischen Elements zur Bedrückung der im Lande wohnenden Türken
und Griechen, zu Mißhandlungen derselben und zu Verletzungen ihrer Rechte
führt, und wenn die Türken dann einschreiten, dem Winke, den ihr General
Obrutschew gegeben, folgt und die Fahne des Aufstandes erhebt. Die Mittel
zu einem Versuche, die türkische Herrschaft abzuschütteln, hat sie in der Hand,
und sie können ihr zu Erfolgen hinreichend erscheinen, wenn auch Andere diese
Meinung nicht entfernt theilen werden. Die ostrmnelische Miliz, bisher mit
der bulgarischen vereinigt, besteht im ersten Aufgebot aus 9 Bataillonen In¬
fanterie, 3 Schwadronen Reiterei und 16 Geschützen, einer Truppenmacht, die
großentheils von russischen Offizieren befehligt wird und im Ganzen etwa
10000 Manu stark ist. Dazu kommt das ebenso starke, zwar nicht uniformirte,


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[0451] Jener Verzicht des Fürsten war durch die Proklamationen des Kaisers Alexander an die Bulgaren des Fürstenthums und Ostrumelien's gegeben, namentlich durch die vom 22. April, die von den Bewohnern des letzteren mit Bestimmtheit erwartete, sie würden keinen Anlaß zu Klagen geben, daß sie die ruhige Entwickelung des benachbarten Fürstenthums zu stören beabsichtigten, und die dann nach einem Hinweis auf die dem dortigen Volke zu Theil ge¬ wordene ausgedehnte Autonomie den unzufriedenen und revolutionären Elementen dieser Provinz, welche, auf ungesetzlichen Wege vorgehend, nur neues Unglück über das Land bringen könnten, entschieden die Mißbilligung des Czaren aus¬ sprach. Allerdings lautet die Ansprache des russischen Generals Obrntschew einigermaßen anders. Die bulgarische Bevölkerung Ostrumelien's wird darin zwar ermahnt, nach den Bestimmungen des Berliner Vertrags zu handeln, da weder Rußland noch Europa für sie uoch Blut zu vergießen gewillt sei. Dann aber wird die Möglichkeit betont, die Mohammedaner zu neuen Gewaltthaten schreiten zu sehen, und dieser gegenüber auf die militärischen Mittel hingewiesen, über welche die Bulgaren Dank der russischen Verwaltung seit dem Frieden verfügen. Auch die Verkündigung, der Sultan habe darauf verzichtet, türkische Truppen nach Ostrumelien zu senden, hat einen eigenthümlichen Beigeschmack; denn erstens kann man aus ihr herauslesen, die Balkanpäsfe würden offen und fo die Verbindung der staatsrechtlich getrennten Bulgarenländer faktisch bestehen bleiben, dann aber unterläßt die Ansprache des russischen General¬ adjutanten, hinzuzufügen, daß die türkische Regierung zwar von der Besetzung Jchtiman's mit ihren Soldaten absieht, aber auf der von Burgas besteht. Wir begegnen also einem nicht unwesentlichen Unterschiede zwischen den Aeußerungen des Czaren und denen des von ihm beauftragten bisherigen Gouverneurs von Ostrumelien, und das Doppelgesicht der russischen Politik zeigt sich auch hier. Es ist gar nicht unmöglich, ja wahrscheinlich, daß die Einheitspartei in den Bulgarenlündern, wenn, wie es kaum ausbleiben kann, das Ueberwiegen des bulgarischen Elements zur Bedrückung der im Lande wohnenden Türken und Griechen, zu Mißhandlungen derselben und zu Verletzungen ihrer Rechte führt, und wenn die Türken dann einschreiten, dem Winke, den ihr General Obrutschew gegeben, folgt und die Fahne des Aufstandes erhebt. Die Mittel zu einem Versuche, die türkische Herrschaft abzuschütteln, hat sie in der Hand, und sie können ihr zu Erfolgen hinreichend erscheinen, wenn auch Andere diese Meinung nicht entfernt theilen werden. Die ostrmnelische Miliz, bisher mit der bulgarischen vereinigt, besteht im ersten Aufgebot aus 9 Bataillonen In¬ fanterie, 3 Schwadronen Reiterei und 16 Geschützen, einer Truppenmacht, die großentheils von russischen Offizieren befehligt wird und im Ganzen etwa 10000 Manu stark ist. Dazu kommt das ebenso starke, zwar nicht uniformirte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/451>, abgerufen am 27.09.2024.