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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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"Meine übrigen Freunde meinen, ich wende zu viel Zeit bei ihr auf; und ich
meine, man kann nicht zu viel Zeit aufwenden, um glücklich zu sein." Den
23. September: "Ich liebe Julie, und mich dünkt, die äußere Schönheit aus¬
genommen, vereinige sie alle Qualitäten in sich, die ich an meinen übrigen
Freundinnen vertheilt bewundert habe . . . Niemals habe ich ein Frauen¬
zimmer gesehen, das mehr Ressourcen im Umgang hätte. ... Ich will und
kann kein Gemälde meiner Julie vorführen: Farben, die Ihnen zu glänzend vor¬
kämen, würden mir matt erscheinen . . . Eine Composition von Weib, Genie
und Philosophie ist eine Erscheinung, die alle unsre Systeme umwerfen kann...
Julie scheint in vollem Ernst weder Idee noch Empfindung von der Liebe zu
haben, die in den Romanen herrscht. Sie will nur Freunde haben, und haßt
alles, was den Schein einer überspannten Leidenschaft trägt. Wir haben über
diese Motive ebenso naive als lächerliche Dispute gehabt. Ich selbst bin, wie
ich glaube, in Absicht der Liebe der Einzige meiner Art, und ich bin stolz
genug zu glauben, daß meine Art zu lieben der Liebe der Geister so nahe
kommt, als es unter dem Mond möglich ist. . . Juliens Besitz würde mich
unaussprechlich glücklich macheu, aber ich sehe keine Möglichkeit: ich müßte auf
eine sehr anständige Weise etablirt sein, wenn ich berechtigt sein sollte, eine
solche Prätension zu machen."

Wieland hielt sich nur ein Jahr in Bern auf; das Verhältniß zu Julie
dauerte etwa vier Jahre zwischen Hangen und Langen; zugethan blieb er
ihr immer.

"Freuen Sie sich mit mir!" schreibt Lessing im Oktober 1759 in den
"Literaturbriefen", "Herr Wieland hat die ätherischen Sphären verlassen und
wandelt wieder unter den Menschenkindern." Freilich hat er von dort ein
Idealbild der Vollkommenheit mitgebracht, nach dem alle seine Figuren gleich
farblos und unbedeutend aussehen: "Der Mann, der sich solange unter lauter
Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzigen Fehler, auch unter
uns schwachen Menschen eine Menge von Cherubim und Seraphim, besonders
weiblichen Geschlechts zu finden. -- Lassen Sie es gut sein! wenn er wieder
lange genug wird unter den Menschen gewesen sein, wird sich dieser Fehler
seines Gesichts schon verlieren!" -- Was er bisher geleistet, wird allerdings
mit grausamem Hohn besprochen.

Nicht viel besser kam Klop stock weg, obgleich Lessing sich alle Mühe
gab, seinem Verdienste gerecht zu werden. Ueber seine Sprache sagte er am
22. Februar 1759 viel Schönes und Gründliches. Seine Abhandlung "von
der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen" wurde gerühmt;
seine stilistischen Verbesserungen mit Aufmerksamkeit verfolgt: "man studirt in
ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu be-


„Meine übrigen Freunde meinen, ich wende zu viel Zeit bei ihr auf; und ich
meine, man kann nicht zu viel Zeit aufwenden, um glücklich zu sein." Den
23. September: „Ich liebe Julie, und mich dünkt, die äußere Schönheit aus¬
genommen, vereinige sie alle Qualitäten in sich, die ich an meinen übrigen
Freundinnen vertheilt bewundert habe . . . Niemals habe ich ein Frauen¬
zimmer gesehen, das mehr Ressourcen im Umgang hätte. ... Ich will und
kann kein Gemälde meiner Julie vorführen: Farben, die Ihnen zu glänzend vor¬
kämen, würden mir matt erscheinen . . . Eine Composition von Weib, Genie
und Philosophie ist eine Erscheinung, die alle unsre Systeme umwerfen kann...
Julie scheint in vollem Ernst weder Idee noch Empfindung von der Liebe zu
haben, die in den Romanen herrscht. Sie will nur Freunde haben, und haßt
alles, was den Schein einer überspannten Leidenschaft trägt. Wir haben über
diese Motive ebenso naive als lächerliche Dispute gehabt. Ich selbst bin, wie
ich glaube, in Absicht der Liebe der Einzige meiner Art, und ich bin stolz
genug zu glauben, daß meine Art zu lieben der Liebe der Geister so nahe
kommt, als es unter dem Mond möglich ist. . . Juliens Besitz würde mich
unaussprechlich glücklich macheu, aber ich sehe keine Möglichkeit: ich müßte auf
eine sehr anständige Weise etablirt sein, wenn ich berechtigt sein sollte, eine
solche Prätension zu machen."

Wieland hielt sich nur ein Jahr in Bern auf; das Verhältniß zu Julie
dauerte etwa vier Jahre zwischen Hangen und Langen; zugethan blieb er
ihr immer.

„Freuen Sie sich mit mir!" schreibt Lessing im Oktober 1759 in den
„Literaturbriefen", „Herr Wieland hat die ätherischen Sphären verlassen und
wandelt wieder unter den Menschenkindern." Freilich hat er von dort ein
Idealbild der Vollkommenheit mitgebracht, nach dem alle seine Figuren gleich
farblos und unbedeutend aussehen: „Der Mann, der sich solange unter lauter
Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzigen Fehler, auch unter
uns schwachen Menschen eine Menge von Cherubim und Seraphim, besonders
weiblichen Geschlechts zu finden. — Lassen Sie es gut sein! wenn er wieder
lange genug wird unter den Menschen gewesen sein, wird sich dieser Fehler
seines Gesichts schon verlieren!" — Was er bisher geleistet, wird allerdings
mit grausamem Hohn besprochen.

Nicht viel besser kam Klop stock weg, obgleich Lessing sich alle Mühe
gab, seinem Verdienste gerecht zu werden. Ueber seine Sprache sagte er am
22. Februar 1759 viel Schönes und Gründliches. Seine Abhandlung „von
der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen" wurde gerühmt;
seine stilistischen Verbesserungen mit Aufmerksamkeit verfolgt: „man studirt in
ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu be-


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[0308] „Meine übrigen Freunde meinen, ich wende zu viel Zeit bei ihr auf; und ich meine, man kann nicht zu viel Zeit aufwenden, um glücklich zu sein." Den 23. September: „Ich liebe Julie, und mich dünkt, die äußere Schönheit aus¬ genommen, vereinige sie alle Qualitäten in sich, die ich an meinen übrigen Freundinnen vertheilt bewundert habe . . . Niemals habe ich ein Frauen¬ zimmer gesehen, das mehr Ressourcen im Umgang hätte. ... Ich will und kann kein Gemälde meiner Julie vorführen: Farben, die Ihnen zu glänzend vor¬ kämen, würden mir matt erscheinen . . . Eine Composition von Weib, Genie und Philosophie ist eine Erscheinung, die alle unsre Systeme umwerfen kann... Julie scheint in vollem Ernst weder Idee noch Empfindung von der Liebe zu haben, die in den Romanen herrscht. Sie will nur Freunde haben, und haßt alles, was den Schein einer überspannten Leidenschaft trägt. Wir haben über diese Motive ebenso naive als lächerliche Dispute gehabt. Ich selbst bin, wie ich glaube, in Absicht der Liebe der Einzige meiner Art, und ich bin stolz genug zu glauben, daß meine Art zu lieben der Liebe der Geister so nahe kommt, als es unter dem Mond möglich ist. . . Juliens Besitz würde mich unaussprechlich glücklich macheu, aber ich sehe keine Möglichkeit: ich müßte auf eine sehr anständige Weise etablirt sein, wenn ich berechtigt sein sollte, eine solche Prätension zu machen." Wieland hielt sich nur ein Jahr in Bern auf; das Verhältniß zu Julie dauerte etwa vier Jahre zwischen Hangen und Langen; zugethan blieb er ihr immer. „Freuen Sie sich mit mir!" schreibt Lessing im Oktober 1759 in den „Literaturbriefen", „Herr Wieland hat die ätherischen Sphären verlassen und wandelt wieder unter den Menschenkindern." Freilich hat er von dort ein Idealbild der Vollkommenheit mitgebracht, nach dem alle seine Figuren gleich farblos und unbedeutend aussehen: „Der Mann, der sich solange unter lauter Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzigen Fehler, auch unter uns schwachen Menschen eine Menge von Cherubim und Seraphim, besonders weiblichen Geschlechts zu finden. — Lassen Sie es gut sein! wenn er wieder lange genug wird unter den Menschen gewesen sein, wird sich dieser Fehler seines Gesichts schon verlieren!" — Was er bisher geleistet, wird allerdings mit grausamem Hohn besprochen. Nicht viel besser kam Klop stock weg, obgleich Lessing sich alle Mühe gab, seinem Verdienste gerecht zu werden. Ueber seine Sprache sagte er am 22. Februar 1759 viel Schönes und Gründliches. Seine Abhandlung „von der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen" wurde gerühmt; seine stilistischen Verbesserungen mit Aufmerksamkeit verfolgt: „man studirt in ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/308>, abgerufen am 27.09.2024.