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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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praktischen Politik, bekundete dennoch beim unmittelbaren Anfassen und-Be¬
handeln der an ihn herantretenden Fragen sofort eine in die Augen fallende
Meisterschaft, die ihn alsbald in der Reihe der hervorragenderen europäischen
Staatsmänner würde haben Platz nehmen lassen, wenn er minder empfänglich
für den berauschenden Einfluß erster Erfolge gewesen wäre. Sein Hauptver¬
dienst in der Anfangs-Epoche seines hiesigen Auftretens dürfte darauf zurück¬
zuführen sein, daß er, durch die Auffassung, von der sich seine Chefs in Paris
damals beherrschen ließen, unbeirrt, mit scharfem Blick die Schwäche der bri¬
tischen Position im Orient heraus erkannte und -- allerdings ohne dafür sofort
die verdiente Beachtung zu finden -- die Mittel vorschlug, durch welche derselben
beizukommen sei. Namentlich wußte er es hervorzuheben und nachdrücklichst
zu betonen, daß innerhalb der Leere, welche die ehrgeizigen und herrschafts¬
lüsternen Pläne des englischen Kabinettes zwischen diesem und der Pforte er¬
zeugt hatten, der Raum für Frankreich sich bieten dürfte, um sich zwischen
beide trennend einzuschieben und die vorwiegenden Sympathieen des Sultans
und seiner Räthe für eine Macht zu gewinnen, die besser als England den
türkischen Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen und sie zu schonen verstände.

Sein eigentliches diplomatisches Debüt leitete Herr Fournier im Monat
Juli des vorigen Jahres ein unter Benutzung der soeben erwähnten vor¬
theilhaften Umstünde, und unter gleichzeitiger Verwerthung der Kenntniß hiesiger
Verhältnisse, die er sich seit Januar 1878 zu verschaffen verstanden hatte, ohne daß
irgend Jemand vorher seine Absichten zu errathen vermochte. Ueber manche
Vorfälle, die der bezeichneten Periode angehören, und die man im Allgemeinen
geneigt sein möchte, mit den Plänen des französischen Botschafters in Ver¬
bindung zu bringen, ist, auch bis zum gegenwärtigen Augenblick, noch kein
klares Licht verbreitet worden. Diese Bemerkung bezieht sich namentlich auf
die bereits um jene Zeit sich vorbereitende Berufung des ehemaligen Premier-
Ministers des Beys von Tunis, Khaireddin Pascha, nach Konstantinopel. Ging
die Anregung dazu von Frankreich aus? War es namentlich der Einfluß
seines unternehmenden Botschafters, der die bezügliche Entschließung des Sul¬
tans zu Wege brachte? Es sind dies Fragen, auf welche eine sichere Antwort
heute noch nicht gegeben werden kann. Mit mehr Aussicht, nicht in Irrthum
zu verfallen, kann man andere damalige Vorgänge beurtheilen. Ende Sep¬
tember erschien hier in Konstantinopel ein ehemaliger Ordonnanz-Offizier des
Kaisers Napoleon III., der französische Ingenieur-Major Dreyssö (der Name
ist genau der des Erfinders der preußischen Zündnadelgewehre), der vor 11 Jahren
1867, als der jetzt regierende Sultan, und zwar damals noch als Prinz und
im Gefolge seines Oheims, des Sultans Abdul Assiz, sich in Paris befand,
dort demselben als Ordonnanz-Offizier beigegeben worden war. Er nahm


praktischen Politik, bekundete dennoch beim unmittelbaren Anfassen und-Be¬
handeln der an ihn herantretenden Fragen sofort eine in die Augen fallende
Meisterschaft, die ihn alsbald in der Reihe der hervorragenderen europäischen
Staatsmänner würde haben Platz nehmen lassen, wenn er minder empfänglich
für den berauschenden Einfluß erster Erfolge gewesen wäre. Sein Hauptver¬
dienst in der Anfangs-Epoche seines hiesigen Auftretens dürfte darauf zurück¬
zuführen sein, daß er, durch die Auffassung, von der sich seine Chefs in Paris
damals beherrschen ließen, unbeirrt, mit scharfem Blick die Schwäche der bri¬
tischen Position im Orient heraus erkannte und — allerdings ohne dafür sofort
die verdiente Beachtung zu finden — die Mittel vorschlug, durch welche derselben
beizukommen sei. Namentlich wußte er es hervorzuheben und nachdrücklichst
zu betonen, daß innerhalb der Leere, welche die ehrgeizigen und herrschafts¬
lüsternen Pläne des englischen Kabinettes zwischen diesem und der Pforte er¬
zeugt hatten, der Raum für Frankreich sich bieten dürfte, um sich zwischen
beide trennend einzuschieben und die vorwiegenden Sympathieen des Sultans
und seiner Räthe für eine Macht zu gewinnen, die besser als England den
türkischen Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen und sie zu schonen verstände.

Sein eigentliches diplomatisches Debüt leitete Herr Fournier im Monat
Juli des vorigen Jahres ein unter Benutzung der soeben erwähnten vor¬
theilhaften Umstünde, und unter gleichzeitiger Verwerthung der Kenntniß hiesiger
Verhältnisse, die er sich seit Januar 1878 zu verschaffen verstanden hatte, ohne daß
irgend Jemand vorher seine Absichten zu errathen vermochte. Ueber manche
Vorfälle, die der bezeichneten Periode angehören, und die man im Allgemeinen
geneigt sein möchte, mit den Plänen des französischen Botschafters in Ver¬
bindung zu bringen, ist, auch bis zum gegenwärtigen Augenblick, noch kein
klares Licht verbreitet worden. Diese Bemerkung bezieht sich namentlich auf
die bereits um jene Zeit sich vorbereitende Berufung des ehemaligen Premier-
Ministers des Beys von Tunis, Khaireddin Pascha, nach Konstantinopel. Ging
die Anregung dazu von Frankreich aus? War es namentlich der Einfluß
seines unternehmenden Botschafters, der die bezügliche Entschließung des Sul¬
tans zu Wege brachte? Es sind dies Fragen, auf welche eine sichere Antwort
heute noch nicht gegeben werden kann. Mit mehr Aussicht, nicht in Irrthum
zu verfallen, kann man andere damalige Vorgänge beurtheilen. Ende Sep¬
tember erschien hier in Konstantinopel ein ehemaliger Ordonnanz-Offizier des
Kaisers Napoleon III., der französische Ingenieur-Major Dreyssö (der Name
ist genau der des Erfinders der preußischen Zündnadelgewehre), der vor 11 Jahren
1867, als der jetzt regierende Sultan, und zwar damals noch als Prinz und
im Gefolge seines Oheims, des Sultans Abdul Assiz, sich in Paris befand,
dort demselben als Ordonnanz-Offizier beigegeben worden war. Er nahm


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[0296] praktischen Politik, bekundete dennoch beim unmittelbaren Anfassen und-Be¬ handeln der an ihn herantretenden Fragen sofort eine in die Augen fallende Meisterschaft, die ihn alsbald in der Reihe der hervorragenderen europäischen Staatsmänner würde haben Platz nehmen lassen, wenn er minder empfänglich für den berauschenden Einfluß erster Erfolge gewesen wäre. Sein Hauptver¬ dienst in der Anfangs-Epoche seines hiesigen Auftretens dürfte darauf zurück¬ zuführen sein, daß er, durch die Auffassung, von der sich seine Chefs in Paris damals beherrschen ließen, unbeirrt, mit scharfem Blick die Schwäche der bri¬ tischen Position im Orient heraus erkannte und — allerdings ohne dafür sofort die verdiente Beachtung zu finden — die Mittel vorschlug, durch welche derselben beizukommen sei. Namentlich wußte er es hervorzuheben und nachdrücklichst zu betonen, daß innerhalb der Leere, welche die ehrgeizigen und herrschafts¬ lüsternen Pläne des englischen Kabinettes zwischen diesem und der Pforte er¬ zeugt hatten, der Raum für Frankreich sich bieten dürfte, um sich zwischen beide trennend einzuschieben und die vorwiegenden Sympathieen des Sultans und seiner Räthe für eine Macht zu gewinnen, die besser als England den türkischen Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen und sie zu schonen verstände. Sein eigentliches diplomatisches Debüt leitete Herr Fournier im Monat Juli des vorigen Jahres ein unter Benutzung der soeben erwähnten vor¬ theilhaften Umstünde, und unter gleichzeitiger Verwerthung der Kenntniß hiesiger Verhältnisse, die er sich seit Januar 1878 zu verschaffen verstanden hatte, ohne daß irgend Jemand vorher seine Absichten zu errathen vermochte. Ueber manche Vorfälle, die der bezeichneten Periode angehören, und die man im Allgemeinen geneigt sein möchte, mit den Plänen des französischen Botschafters in Ver¬ bindung zu bringen, ist, auch bis zum gegenwärtigen Augenblick, noch kein klares Licht verbreitet worden. Diese Bemerkung bezieht sich namentlich auf die bereits um jene Zeit sich vorbereitende Berufung des ehemaligen Premier- Ministers des Beys von Tunis, Khaireddin Pascha, nach Konstantinopel. Ging die Anregung dazu von Frankreich aus? War es namentlich der Einfluß seines unternehmenden Botschafters, der die bezügliche Entschließung des Sul¬ tans zu Wege brachte? Es sind dies Fragen, auf welche eine sichere Antwort heute noch nicht gegeben werden kann. Mit mehr Aussicht, nicht in Irrthum zu verfallen, kann man andere damalige Vorgänge beurtheilen. Ende Sep¬ tember erschien hier in Konstantinopel ein ehemaliger Ordonnanz-Offizier des Kaisers Napoleon III., der französische Ingenieur-Major Dreyssö (der Name ist genau der des Erfinders der preußischen Zündnadelgewehre), der vor 11 Jahren 1867, als der jetzt regierende Sultan, und zwar damals noch als Prinz und im Gefolge seines Oheims, des Sultans Abdul Assiz, sich in Paris befand, dort demselben als Ordonnanz-Offizier beigegeben worden war. Er nahm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/296>, abgerufen am 27.09.2024.