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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Lokalgeschichte es so jämmerlich bestellt wäre, wie um die Leipziger --, aber
auch in den Schriften zur Geschichte des Buchdruckes fehlt es an sicheren und
begründeten Nachrichten. Ueberblicken wir in Kürze das Material, das für
die Beantwortung der Frage in Betracht kommt, so läßt sich dasselbe etwa
in Folgendem zusammenfassen.*)

Nach der gewöhnlichen Annahme wäre der Buchdruck im Jahre 1479
durch Andreas Frisner von Nürnberg nach Leipzig gebracht worden. Gerade
diese Nachricht aber scheint auf schwachen Füßen zu stehen. Andreas Frisner
stammte aus Wunsiedel im Fichtelgebirge -- dem Geburtsorte Jean Paul's --
und war der Sohn des dortigen Rathsherrn Johann Frisner. Nachdem er
von 1465 an in Leipzig studirt hatte, war er in den siebziger Jahren in Nürn¬
berg in der Druckerei von Johann Sensenschmidt als "Korrektor" thätig --
eine Stellung, die damals etwas wesentlich anderes besagen wollte als gegen¬
wärtig. Obgleich es auch heutzutage nicht an tüchtigen, kenntnißreichen Kor¬
rektoren fehlt, deren Thätigkeit den Manuskripten gegenüber eine halb und halb
redaktionelle ist, und die sich keineswegs blos um die orthographische und inter-
punktionelle, sondern auch um die stilistische und sachliche Korrektheit von
Büchern wie von Zeitschriften oft größere Verdienste erwerben, als das Publi¬
kum ahnt (notabene das Publikum, welches überhaupt die Fähigkeit hat, der¬
gleichen zu würdigen), so beschränkt sich doch die eigentliche Aufgabe des
Korrektors heutzutage darauf, die Versehen des Schriftsetzers, nicht die des
Schriftstellers gutzumachen. Anders im 15. und 16. Jahrhundert. Da¬
mals war der Korrektor der gelehrte Kompagnon des in der Regel ungelehrten,
handwerksmäßigen Druckers, und wo es sich um Neudrucke älterer Texte, im
humanistischen Zeitalter namentlich um die Texte der alten Klassiker handelte,
vertrat er durchaus die Stelle des heutigen "Herausgebers". Und wie sich
jetzt auf den Büchern der Herausgeber, der Verleger und der Drucker nennen,
so nannte sich damals der Drucker, welcher Anfangs mit dem Verleger in der
Regel identisch war, und -- der Korrektor. Eine ganze Reihe von Nürnberger
Drucken aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts sind in dieser
Weise von Sensenschmidt und Frisner gemeinsam unterzeichnet. In der
Schlußschrift einer Ausgabe des Thomas von Aquino vom Jahre 1474 rühmt
sich Frisner ausdrücklich, daß es sein Bestreben sei, die lateinische Orthographie
aus der bisherigen Verwilderung wieder zu den Regeln der alten Grammatiker
zurückzuführen.



*) Vgl. das zur diesjährigen Kantate-Versammlung der deutschen Buchhändler aus--
gegebene Schriftchen: Die Anfänge des Leipziger Bücherwesens. Zur vierten
Säkularfeier der Einführung des Buchdruckes in Leipzig (1479) von Dr. G, Wustmann.
Leipzig, Verlag des Börsenvereins der deutschen Buchhändler, 1379.

Lokalgeschichte es so jämmerlich bestellt wäre, wie um die Leipziger —, aber
auch in den Schriften zur Geschichte des Buchdruckes fehlt es an sicheren und
begründeten Nachrichten. Ueberblicken wir in Kürze das Material, das für
die Beantwortung der Frage in Betracht kommt, so läßt sich dasselbe etwa
in Folgendem zusammenfassen.*)

Nach der gewöhnlichen Annahme wäre der Buchdruck im Jahre 1479
durch Andreas Frisner von Nürnberg nach Leipzig gebracht worden. Gerade
diese Nachricht aber scheint auf schwachen Füßen zu stehen. Andreas Frisner
stammte aus Wunsiedel im Fichtelgebirge — dem Geburtsorte Jean Paul's —
und war der Sohn des dortigen Rathsherrn Johann Frisner. Nachdem er
von 1465 an in Leipzig studirt hatte, war er in den siebziger Jahren in Nürn¬
berg in der Druckerei von Johann Sensenschmidt als „Korrektor" thätig —
eine Stellung, die damals etwas wesentlich anderes besagen wollte als gegen¬
wärtig. Obgleich es auch heutzutage nicht an tüchtigen, kenntnißreichen Kor¬
rektoren fehlt, deren Thätigkeit den Manuskripten gegenüber eine halb und halb
redaktionelle ist, und die sich keineswegs blos um die orthographische und inter-
punktionelle, sondern auch um die stilistische und sachliche Korrektheit von
Büchern wie von Zeitschriften oft größere Verdienste erwerben, als das Publi¬
kum ahnt (notabene das Publikum, welches überhaupt die Fähigkeit hat, der¬
gleichen zu würdigen), so beschränkt sich doch die eigentliche Aufgabe des
Korrektors heutzutage darauf, die Versehen des Schriftsetzers, nicht die des
Schriftstellers gutzumachen. Anders im 15. und 16. Jahrhundert. Da¬
mals war der Korrektor der gelehrte Kompagnon des in der Regel ungelehrten,
handwerksmäßigen Druckers, und wo es sich um Neudrucke älterer Texte, im
humanistischen Zeitalter namentlich um die Texte der alten Klassiker handelte,
vertrat er durchaus die Stelle des heutigen „Herausgebers". Und wie sich
jetzt auf den Büchern der Herausgeber, der Verleger und der Drucker nennen,
so nannte sich damals der Drucker, welcher Anfangs mit dem Verleger in der
Regel identisch war, und — der Korrektor. Eine ganze Reihe von Nürnberger
Drucken aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts sind in dieser
Weise von Sensenschmidt und Frisner gemeinsam unterzeichnet. In der
Schlußschrift einer Ausgabe des Thomas von Aquino vom Jahre 1474 rühmt
sich Frisner ausdrücklich, daß es sein Bestreben sei, die lateinische Orthographie
aus der bisherigen Verwilderung wieder zu den Regeln der alten Grammatiker
zurückzuführen.



*) Vgl. das zur diesjährigen Kantate-Versammlung der deutschen Buchhändler aus--
gegebene Schriftchen: Die Anfänge des Leipziger Bücherwesens. Zur vierten
Säkularfeier der Einführung des Buchdruckes in Leipzig (1479) von Dr. G, Wustmann.
Leipzig, Verlag des Börsenvereins der deutschen Buchhändler, 1379.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/250>, abgerufen am 27.09.2024.