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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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kommen können. Sie ist denn auch von den Anhängern Darwin's skeptisch
beurtheilt worden.

Der weiteren Entwickelung des Darwinismus sind die folgenden Kapitel
gewidmet. Hier ist es zuerst auch vor allem die Anwendung der Theorieen
Darwin's auf den Menschen, die uns interessirt. Nicht von Darwin selbst,
fondern von anderen Forschern wurde diese Erweiterung seiner Hypothese voll¬
zogen. So von Huxley, der die anatomischen Verschiedenheiten, welche den
Menschen vom Gorilla und Schimpanse scheiden, nicht so groß fand wie die,
welche den Gorilla von den niederen Affen trennen; von K. Vogt, der sich
beistimmend dahin äußerte, daß der Mensch der Repräsentant einer mit den
Affen gleichwerthigen Ordnung sei, aber mit den Affen selbst zu einem gemein¬
schaftlichen Typus, zu einer Reihe innerhalb der Säugethiere gehöre; von den
verschiedenen Hauptarten der Affen seien die Hauptinenschenarten entstammt,
von den amerikanischen Affen die amerikanische Menschheit, von den afrikanischen
die Neger. Die Mikrokephalen als Produkte eines Rückschlages oder Atavismus
wurden ebenfalls herangezogen; eine Argumentation, deren Nichtigkeit übrigens
Vogt selbst später anerkannt und zurückgenommen hat. Auch Lyell, Schleiden,
Snell und Perty, die letzteren beiden unter gewissen Beschränkungen zu Gunsten
einer idealen Auffassung des Menschen, traten bei, vor allen Häckel, der die
Darwinische Theorie als unumstößliches Dogma verkündete. Wallace bildete
sie durch supranaturalistische Elemente um; eine höhere göttliche Zuchtwahl habe
dem Menschen zum Dasein verholfen, eine überlegene Intelligenz seine Ent¬
wickelung zu einem bestimmten Zwecke und nach einer bestimmten Richtung
hin geleitet; höhere Geisteswesen, dienende Mittelsmächte Gottes, ausgestattet
mit jener Intelligenz und Willenskraft, womit man sich ohnehin den ganzen
Raum erfüllt zu denken habe, müßten hier gewaltet haben. Der große Anatom
Owen, im Allgemeinen mit der Deszendenzlehre einverstanden, lehnte doch ihre
Anwendung auf deu Ursprung des Menschen ab, ebenso John Herschel, Page und
Broca. Untergeordnete Naturforscher dagegen, wie Tuttle, Büchner, Thomassen,
Spiller leisteten der Deszendenzlehre ohne Vorbehalt Heerfolge. 1871 erschien
Darwin selbst als Vertreter der Anwendung derselben ans den Menschen in
der Schrift: "Die Abstammung des Menschen u. s. w.", der als Ergänzung
1872 das Werk: "Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen beim Menschen und
bei den Thieren"i folgte. Drei Detailarbeiten zur Befestigung des Systemes
aus den Jahren 1875, 76, 78 übergehen wir. Es sind wesentlich die An¬
schauungen Häckel's, zu denen sich hier Darwin bekennt; alle Erscheinungen
des menschlichen Leibes- und Seelenlebens werden mechanisch erklärt, der
Gegensatz zwischen Thier und Mensch wird aus einem spezifischen zu einem
graduellen herabgesetzt, auch das ethische Leben des Meuscheu wird feinen An-


kommen können. Sie ist denn auch von den Anhängern Darwin's skeptisch
beurtheilt worden.

Der weiteren Entwickelung des Darwinismus sind die folgenden Kapitel
gewidmet. Hier ist es zuerst auch vor allem die Anwendung der Theorieen
Darwin's auf den Menschen, die uns interessirt. Nicht von Darwin selbst,
fondern von anderen Forschern wurde diese Erweiterung seiner Hypothese voll¬
zogen. So von Huxley, der die anatomischen Verschiedenheiten, welche den
Menschen vom Gorilla und Schimpanse scheiden, nicht so groß fand wie die,
welche den Gorilla von den niederen Affen trennen; von K. Vogt, der sich
beistimmend dahin äußerte, daß der Mensch der Repräsentant einer mit den
Affen gleichwerthigen Ordnung sei, aber mit den Affen selbst zu einem gemein¬
schaftlichen Typus, zu einer Reihe innerhalb der Säugethiere gehöre; von den
verschiedenen Hauptarten der Affen seien die Hauptinenschenarten entstammt,
von den amerikanischen Affen die amerikanische Menschheit, von den afrikanischen
die Neger. Die Mikrokephalen als Produkte eines Rückschlages oder Atavismus
wurden ebenfalls herangezogen; eine Argumentation, deren Nichtigkeit übrigens
Vogt selbst später anerkannt und zurückgenommen hat. Auch Lyell, Schleiden,
Snell und Perty, die letzteren beiden unter gewissen Beschränkungen zu Gunsten
einer idealen Auffassung des Menschen, traten bei, vor allen Häckel, der die
Darwinische Theorie als unumstößliches Dogma verkündete. Wallace bildete
sie durch supranaturalistische Elemente um; eine höhere göttliche Zuchtwahl habe
dem Menschen zum Dasein verholfen, eine überlegene Intelligenz seine Ent¬
wickelung zu einem bestimmten Zwecke und nach einer bestimmten Richtung
hin geleitet; höhere Geisteswesen, dienende Mittelsmächte Gottes, ausgestattet
mit jener Intelligenz und Willenskraft, womit man sich ohnehin den ganzen
Raum erfüllt zu denken habe, müßten hier gewaltet haben. Der große Anatom
Owen, im Allgemeinen mit der Deszendenzlehre einverstanden, lehnte doch ihre
Anwendung auf deu Ursprung des Menschen ab, ebenso John Herschel, Page und
Broca. Untergeordnete Naturforscher dagegen, wie Tuttle, Büchner, Thomassen,
Spiller leisteten der Deszendenzlehre ohne Vorbehalt Heerfolge. 1871 erschien
Darwin selbst als Vertreter der Anwendung derselben ans den Menschen in
der Schrift: „Die Abstammung des Menschen u. s. w.", der als Ergänzung
1872 das Werk: „Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen beim Menschen und
bei den Thieren"i folgte. Drei Detailarbeiten zur Befestigung des Systemes
aus den Jahren 1875, 76, 78 übergehen wir. Es sind wesentlich die An¬
schauungen Häckel's, zu denen sich hier Darwin bekennt; alle Erscheinungen
des menschlichen Leibes- und Seelenlebens werden mechanisch erklärt, der
Gegensatz zwischen Thier und Mensch wird aus einem spezifischen zu einem
graduellen herabgesetzt, auch das ethische Leben des Meuscheu wird feinen An-


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[0147] kommen können. Sie ist denn auch von den Anhängern Darwin's skeptisch beurtheilt worden. Der weiteren Entwickelung des Darwinismus sind die folgenden Kapitel gewidmet. Hier ist es zuerst auch vor allem die Anwendung der Theorieen Darwin's auf den Menschen, die uns interessirt. Nicht von Darwin selbst, fondern von anderen Forschern wurde diese Erweiterung seiner Hypothese voll¬ zogen. So von Huxley, der die anatomischen Verschiedenheiten, welche den Menschen vom Gorilla und Schimpanse scheiden, nicht so groß fand wie die, welche den Gorilla von den niederen Affen trennen; von K. Vogt, der sich beistimmend dahin äußerte, daß der Mensch der Repräsentant einer mit den Affen gleichwerthigen Ordnung sei, aber mit den Affen selbst zu einem gemein¬ schaftlichen Typus, zu einer Reihe innerhalb der Säugethiere gehöre; von den verschiedenen Hauptarten der Affen seien die Hauptinenschenarten entstammt, von den amerikanischen Affen die amerikanische Menschheit, von den afrikanischen die Neger. Die Mikrokephalen als Produkte eines Rückschlages oder Atavismus wurden ebenfalls herangezogen; eine Argumentation, deren Nichtigkeit übrigens Vogt selbst später anerkannt und zurückgenommen hat. Auch Lyell, Schleiden, Snell und Perty, die letzteren beiden unter gewissen Beschränkungen zu Gunsten einer idealen Auffassung des Menschen, traten bei, vor allen Häckel, der die Darwinische Theorie als unumstößliches Dogma verkündete. Wallace bildete sie durch supranaturalistische Elemente um; eine höhere göttliche Zuchtwahl habe dem Menschen zum Dasein verholfen, eine überlegene Intelligenz seine Ent¬ wickelung zu einem bestimmten Zwecke und nach einer bestimmten Richtung hin geleitet; höhere Geisteswesen, dienende Mittelsmächte Gottes, ausgestattet mit jener Intelligenz und Willenskraft, womit man sich ohnehin den ganzen Raum erfüllt zu denken habe, müßten hier gewaltet haben. Der große Anatom Owen, im Allgemeinen mit der Deszendenzlehre einverstanden, lehnte doch ihre Anwendung auf deu Ursprung des Menschen ab, ebenso John Herschel, Page und Broca. Untergeordnete Naturforscher dagegen, wie Tuttle, Büchner, Thomassen, Spiller leisteten der Deszendenzlehre ohne Vorbehalt Heerfolge. 1871 erschien Darwin selbst als Vertreter der Anwendung derselben ans den Menschen in der Schrift: „Die Abstammung des Menschen u. s. w.", der als Ergänzung 1872 das Werk: „Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen beim Menschen und bei den Thieren"i folgte. Drei Detailarbeiten zur Befestigung des Systemes aus den Jahren 1875, 76, 78 übergehen wir. Es sind wesentlich die An¬ schauungen Häckel's, zu denen sich hier Darwin bekennt; alle Erscheinungen des menschlichen Leibes- und Seelenlebens werden mechanisch erklärt, der Gegensatz zwischen Thier und Mensch wird aus einem spezifischen zu einem graduellen herabgesetzt, auch das ethische Leben des Meuscheu wird feinen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/147>, abgerufen am 27.09.2024.