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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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in Breslau durch Anwendung von Wasserdämpfen und nahezu siedendem
Wasser verschiedene Vegetabilien, schwarze Wollenstoffe u. dergl. binnen zwei
Jahren in Braunkohle und binnen sechs Jahren in glänzend schwarze Stein¬
kohle zu verwandeln vermocht. Fehlt es doch in der Gegenwart nicht an Er¬
scheinungen, deren Analogie es nahe legt, beschleunigende Katastrophen als
bedingend für das Entwickelnngstempo der Urzeit vorauszusetzen. Die vielbe¬
sprochene Fischerhütte zu Svderfelgte am Mälar-See, aus deren allmählichem
Versunkensein man ein 80000jähriges Alter der frühesten Bewohner Schweden's
folgern zu dürfen glaubte, gilt jetzt ziemlich allgemein als durch einen einstigen
Bergrutsch verschüttet. Dem Niagara hat man früher gewisse Anhaltepunkte
für chronologische Bestimmungen abzugewinnen versucht, indem man ein jähr¬
liches Zurückweichen seines berühmten Falles um 1 Fuß, wegen Abspüluug
seiner Felsgrundlage, als feste Thatsache konstatiren zu können meinte. Allein
in dem einen Winter 1868/69 betrug dieses Zurückweichen des Niagarafalles
in Folge eines mächtigen Gesteins - Einsturzes mehr als 30 Fuß auf einmal.
Und ähnliche Belege finden sich auch sonst noch.

Den Gegenstand des zweiten Kapitels berühren wir nur kurz; es betrifft
den Großvater Darwin's, Erasmus Darwin, dessen Naturanschauung an die
seines Enkels anklingt, und Goethe, der bekanntlich Häckel u. A. als Vorläufer
Darwin's gilt, schwerlich mit Recht, da Goethe wohl für einen Grundtypus
aller Organismen, eine ideale Einheit eintritt, nicht aber für eine reale, durch
Deszendenz vermittelte. Auch über den Inhalt der folgenden Abschnitte gehen
wir rasch hinweg, es sind zuerst die französischen Naturphilosophen der Revolu¬
tionszeit, die uns hier vorgeführt werden, darunter Lamarck, der wie kein
anderer als Darwin's Vorläufer zu bezeichnen ist; sodann die Naturphilosophen
aus der Schelling'schen Schule, die ihre pantheistische Gesammtanschauung zur
Evolutionstheorie hinziehen mußte, und unter denen Link in einigermaßen
wissenschaftlicher Gestalt seine Ideen dargestellt hat; es ist ferner eine Anzahl
exakt wissenschaftlicher Forscher, die sich mit Darwin berühren, unter denen
namentlich E. K. v. Baer hervorragt. Baer kommt hier insofern in Betracht,
als er ein Durchlaufenwerden ähnlicher Daseinsformen wie die der niederen
Thierstufeu durch die Embryonen der höheren Thiere als Ergebniß seiner Be¬
obachtungen feststellte, und insofern ex eine gewisse Wandelbarkeit der organi¬
schen Formen, freilich nur innerhalb beschränkter Grenzen und zugleich mit der
Annahme eines ursprünglich verschiedenen Geschaffenseins vieler Arten, behaup¬
tete. Endlich werden wir auf die unmittelbaren Vorläufer Darwin's hinge¬
wiesen, die in großer Zahl seit den vierziger Jahren erstehen, deren bedeutendster
der englische Philosoph Herbert Spencer ist, zu welchem Darwin nach seinem
eigenen Bekenntniß in einem Abhängigkeitsverhältniß steht.


in Breslau durch Anwendung von Wasserdämpfen und nahezu siedendem
Wasser verschiedene Vegetabilien, schwarze Wollenstoffe u. dergl. binnen zwei
Jahren in Braunkohle und binnen sechs Jahren in glänzend schwarze Stein¬
kohle zu verwandeln vermocht. Fehlt es doch in der Gegenwart nicht an Er¬
scheinungen, deren Analogie es nahe legt, beschleunigende Katastrophen als
bedingend für das Entwickelnngstempo der Urzeit vorauszusetzen. Die vielbe¬
sprochene Fischerhütte zu Svderfelgte am Mälar-See, aus deren allmählichem
Versunkensein man ein 80000jähriges Alter der frühesten Bewohner Schweden's
folgern zu dürfen glaubte, gilt jetzt ziemlich allgemein als durch einen einstigen
Bergrutsch verschüttet. Dem Niagara hat man früher gewisse Anhaltepunkte
für chronologische Bestimmungen abzugewinnen versucht, indem man ein jähr¬
liches Zurückweichen seines berühmten Falles um 1 Fuß, wegen Abspüluug
seiner Felsgrundlage, als feste Thatsache konstatiren zu können meinte. Allein
in dem einen Winter 1868/69 betrug dieses Zurückweichen des Niagarafalles
in Folge eines mächtigen Gesteins - Einsturzes mehr als 30 Fuß auf einmal.
Und ähnliche Belege finden sich auch sonst noch.

Den Gegenstand des zweiten Kapitels berühren wir nur kurz; es betrifft
den Großvater Darwin's, Erasmus Darwin, dessen Naturanschauung an die
seines Enkels anklingt, und Goethe, der bekanntlich Häckel u. A. als Vorläufer
Darwin's gilt, schwerlich mit Recht, da Goethe wohl für einen Grundtypus
aller Organismen, eine ideale Einheit eintritt, nicht aber für eine reale, durch
Deszendenz vermittelte. Auch über den Inhalt der folgenden Abschnitte gehen
wir rasch hinweg, es sind zuerst die französischen Naturphilosophen der Revolu¬
tionszeit, die uns hier vorgeführt werden, darunter Lamarck, der wie kein
anderer als Darwin's Vorläufer zu bezeichnen ist; sodann die Naturphilosophen
aus der Schelling'schen Schule, die ihre pantheistische Gesammtanschauung zur
Evolutionstheorie hinziehen mußte, und unter denen Link in einigermaßen
wissenschaftlicher Gestalt seine Ideen dargestellt hat; es ist ferner eine Anzahl
exakt wissenschaftlicher Forscher, die sich mit Darwin berühren, unter denen
namentlich E. K. v. Baer hervorragt. Baer kommt hier insofern in Betracht,
als er ein Durchlaufenwerden ähnlicher Daseinsformen wie die der niederen
Thierstufeu durch die Embryonen der höheren Thiere als Ergebniß seiner Be¬
obachtungen feststellte, und insofern ex eine gewisse Wandelbarkeit der organi¬
schen Formen, freilich nur innerhalb beschränkter Grenzen und zugleich mit der
Annahme eines ursprünglich verschiedenen Geschaffenseins vieler Arten, behaup¬
tete. Endlich werden wir auf die unmittelbaren Vorläufer Darwin's hinge¬
wiesen, die in großer Zahl seit den vierziger Jahren erstehen, deren bedeutendster
der englische Philosoph Herbert Spencer ist, zu welchem Darwin nach seinem
eigenen Bekenntniß in einem Abhängigkeitsverhältniß steht.


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[0145] in Breslau durch Anwendung von Wasserdämpfen und nahezu siedendem Wasser verschiedene Vegetabilien, schwarze Wollenstoffe u. dergl. binnen zwei Jahren in Braunkohle und binnen sechs Jahren in glänzend schwarze Stein¬ kohle zu verwandeln vermocht. Fehlt es doch in der Gegenwart nicht an Er¬ scheinungen, deren Analogie es nahe legt, beschleunigende Katastrophen als bedingend für das Entwickelnngstempo der Urzeit vorauszusetzen. Die vielbe¬ sprochene Fischerhütte zu Svderfelgte am Mälar-See, aus deren allmählichem Versunkensein man ein 80000jähriges Alter der frühesten Bewohner Schweden's folgern zu dürfen glaubte, gilt jetzt ziemlich allgemein als durch einen einstigen Bergrutsch verschüttet. Dem Niagara hat man früher gewisse Anhaltepunkte für chronologische Bestimmungen abzugewinnen versucht, indem man ein jähr¬ liches Zurückweichen seines berühmten Falles um 1 Fuß, wegen Abspüluug seiner Felsgrundlage, als feste Thatsache konstatiren zu können meinte. Allein in dem einen Winter 1868/69 betrug dieses Zurückweichen des Niagarafalles in Folge eines mächtigen Gesteins - Einsturzes mehr als 30 Fuß auf einmal. Und ähnliche Belege finden sich auch sonst noch. Den Gegenstand des zweiten Kapitels berühren wir nur kurz; es betrifft den Großvater Darwin's, Erasmus Darwin, dessen Naturanschauung an die seines Enkels anklingt, und Goethe, der bekanntlich Häckel u. A. als Vorläufer Darwin's gilt, schwerlich mit Recht, da Goethe wohl für einen Grundtypus aller Organismen, eine ideale Einheit eintritt, nicht aber für eine reale, durch Deszendenz vermittelte. Auch über den Inhalt der folgenden Abschnitte gehen wir rasch hinweg, es sind zuerst die französischen Naturphilosophen der Revolu¬ tionszeit, die uns hier vorgeführt werden, darunter Lamarck, der wie kein anderer als Darwin's Vorläufer zu bezeichnen ist; sodann die Naturphilosophen aus der Schelling'schen Schule, die ihre pantheistische Gesammtanschauung zur Evolutionstheorie hinziehen mußte, und unter denen Link in einigermaßen wissenschaftlicher Gestalt seine Ideen dargestellt hat; es ist ferner eine Anzahl exakt wissenschaftlicher Forscher, die sich mit Darwin berühren, unter denen namentlich E. K. v. Baer hervorragt. Baer kommt hier insofern in Betracht, als er ein Durchlaufenwerden ähnlicher Daseinsformen wie die der niederen Thierstufeu durch die Embryonen der höheren Thiere als Ergebniß seiner Be¬ obachtungen feststellte, und insofern ex eine gewisse Wandelbarkeit der organi¬ schen Formen, freilich nur innerhalb beschränkter Grenzen und zugleich mit der Annahme eines ursprünglich verschiedenen Geschaffenseins vieler Arten, behaup¬ tete. Endlich werden wir auf die unmittelbaren Vorläufer Darwin's hinge¬ wiesen, die in großer Zahl seit den vierziger Jahren erstehen, deren bedeutendster der englische Philosoph Herbert Spencer ist, zu welchem Darwin nach seinem eigenen Bekenntniß in einem Abhängigkeitsverhältniß steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/145>, abgerufen am 27.09.2024.