Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.dummer Wille in plumper Zufälligkeit zugezogen? Ist dies nicht ein empörend Es ist indeß nöthig, sich noch tiefer in die letzten Grundlagen dieser dummer Wille in plumper Zufälligkeit zugezogen? Ist dies nicht ein empörend Es ist indeß nöthig, sich noch tiefer in die letzten Grundlagen dieser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142063"/> <p xml:id="ID_329" prev="#ID_328"> dummer Wille in plumper Zufälligkeit zugezogen? Ist dies nicht ein empörend<lb/> grausamer Egoismus? Ist dies nicht ein tief unsittlicher Gott, der auf der unter¬<lb/> sten Stufe der „Pseudomoral" stehen geblieben? Doch unser Autor bemerkt den<lb/> selbstischen Charakter seines Gottes gar wohl; diesmal sollen diejenigen die<lb/> Irrenden sein, welche sich daran stoßen. Wie können wir nur nicht einsehen,<lb/> daß sür Gott der Egoismus kein Vorwurf ist! Gott — so belehrt uns Hart¬<lb/> mann — hat ja kein höheres Dasein über sich, hat keine übergeordnete Ge¬<lb/> meinschaft zu respektiren; wen sollte er durch Selbstsucht verletzen? Daß wir<lb/> so etwas übersehen konnten! Aber warum und woher dann der Groll gegen<lb/> den Theismus, gegen den „unsittlichen" Theismus Anderer? Warum ist dann<lb/> ein Gott so unsittlich, der zu seiner „Ehre" schafft, wenn ein Gott frei sein<lb/> soll von Vorwurf, der durch leidende Geschöpfe seine eigenen Schmerzen heilt?<lb/> Die Klagen der Gequälten soll es verstummen machen, daß sie die kahle Be¬<lb/> trachtung anstellen dürfen, ihr Wesen sei doch eigentlich Gottes eigenes Wesen,<lb/> und so sei ihr Leiden doch nicht Mittel für fremdes, sondern für eigenes Heil.<lb/> So wäre doch wohl zu wünschen, daß ihnen auch dieses Heil als eigenes em¬<lb/> pfindbar würde, und nicht nur die Qual. Aber die Seligkeit der Erlösung gilt<lb/> nicht ihnen, sie ist Gottes Seligkeit allein; ihr Theil ist die Qual. Diese göttliche<lb/> Selbstsucht — so belehrt man uns weiter — ist gänzlich unvermeidlich; aller Zweck<lb/> ist „Eudämonie", also ist Gottes Zweck nothwendig — seine eigene Eudümonie, seine<lb/> eigene Beseligung; alles andere ist Täuschung unlogischen Denkens. Auch die<lb/> Liebe Gottes zu Geschöpfen, deren Glück er wollte, wäre nichts als göttliche<lb/> Selbstsucht: „wenn Gott die Welt aus Liebe zu den Geschöpfen, d. h. um<lb/> Geschöpfe glückselig zu machen, geschaffen hat, so dient der Weltprozeß zur<lb/> Vermehrung der göttlichen Glückseligkeit" — und „immer ist die Erhöhung der<lb/> Glückseligkeit des Absoluten als das letzte Ergebniß gedacht, auf das es bei<lb/> diesem Prozesse eigentlich ankommt". M43 f.) Höher kann die Verwirrung<lb/> nicht steigen. Der göttliche Egoismus, lehrt Hartmann, ist unvermeidlich; auch<lb/> Liebe, die das Wohl der Geschöpfe will, ist Egoismus; ebenso ist Selbsterlösung<lb/> vom Schmerz durch Qual der Geschöpfe —Egoismus; aber nur eine Gottes¬<lb/> lehre, die deu letzteren, den grausamsten Egoismus, vorzieht, ist sittlich, jeder<lb/> andere theistische Gottesglaube ist tief unsittlich, verwerflich, mit Haß und Hohn<lb/> verfolgungswerth. Damit dieser Haß und Hohn Recht behalte, wird auch die<lb/> hingebende Liebe heruntergezerrt — zum Egoismus, und doch, der Egoismus<lb/> ist ja bei Gott unvermeidlich und kein Vorwurf! Wir können uns nicht mehr<lb/> verwundern, zu lesen, mit wie geringem Verständniß Hartmann dem Christen¬<lb/> thum und dem historischen Lebensbilde seines Stifters gegenübersteht, nachdem<lb/> wir gesehen, wie wenig er die Liebe versteht, die „nicht das Ihre sucht".</p><lb/> <p xml:id="ID_330" next="#ID_331"> Es ist indeß nöthig, sich noch tiefer in die letzten Grundlagen dieser</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
dummer Wille in plumper Zufälligkeit zugezogen? Ist dies nicht ein empörend
grausamer Egoismus? Ist dies nicht ein tief unsittlicher Gott, der auf der unter¬
sten Stufe der „Pseudomoral" stehen geblieben? Doch unser Autor bemerkt den
selbstischen Charakter seines Gottes gar wohl; diesmal sollen diejenigen die
Irrenden sein, welche sich daran stoßen. Wie können wir nur nicht einsehen,
daß sür Gott der Egoismus kein Vorwurf ist! Gott — so belehrt uns Hart¬
mann — hat ja kein höheres Dasein über sich, hat keine übergeordnete Ge¬
meinschaft zu respektiren; wen sollte er durch Selbstsucht verletzen? Daß wir
so etwas übersehen konnten! Aber warum und woher dann der Groll gegen
den Theismus, gegen den „unsittlichen" Theismus Anderer? Warum ist dann
ein Gott so unsittlich, der zu seiner „Ehre" schafft, wenn ein Gott frei sein
soll von Vorwurf, der durch leidende Geschöpfe seine eigenen Schmerzen heilt?
Die Klagen der Gequälten soll es verstummen machen, daß sie die kahle Be¬
trachtung anstellen dürfen, ihr Wesen sei doch eigentlich Gottes eigenes Wesen,
und so sei ihr Leiden doch nicht Mittel für fremdes, sondern für eigenes Heil.
So wäre doch wohl zu wünschen, daß ihnen auch dieses Heil als eigenes em¬
pfindbar würde, und nicht nur die Qual. Aber die Seligkeit der Erlösung gilt
nicht ihnen, sie ist Gottes Seligkeit allein; ihr Theil ist die Qual. Diese göttliche
Selbstsucht — so belehrt man uns weiter — ist gänzlich unvermeidlich; aller Zweck
ist „Eudämonie", also ist Gottes Zweck nothwendig — seine eigene Eudümonie, seine
eigene Beseligung; alles andere ist Täuschung unlogischen Denkens. Auch die
Liebe Gottes zu Geschöpfen, deren Glück er wollte, wäre nichts als göttliche
Selbstsucht: „wenn Gott die Welt aus Liebe zu den Geschöpfen, d. h. um
Geschöpfe glückselig zu machen, geschaffen hat, so dient der Weltprozeß zur
Vermehrung der göttlichen Glückseligkeit" — und „immer ist die Erhöhung der
Glückseligkeit des Absoluten als das letzte Ergebniß gedacht, auf das es bei
diesem Prozesse eigentlich ankommt". M43 f.) Höher kann die Verwirrung
nicht steigen. Der göttliche Egoismus, lehrt Hartmann, ist unvermeidlich; auch
Liebe, die das Wohl der Geschöpfe will, ist Egoismus; ebenso ist Selbsterlösung
vom Schmerz durch Qual der Geschöpfe —Egoismus; aber nur eine Gottes¬
lehre, die deu letzteren, den grausamsten Egoismus, vorzieht, ist sittlich, jeder
andere theistische Gottesglaube ist tief unsittlich, verwerflich, mit Haß und Hohn
verfolgungswerth. Damit dieser Haß und Hohn Recht behalte, wird auch die
hingebende Liebe heruntergezerrt — zum Egoismus, und doch, der Egoismus
ist ja bei Gott unvermeidlich und kein Vorwurf! Wir können uns nicht mehr
verwundern, zu lesen, mit wie geringem Verständniß Hartmann dem Christen¬
thum und dem historischen Lebensbilde seines Stifters gegenübersteht, nachdem
wir gesehen, wie wenig er die Liebe versteht, die „nicht das Ihre sucht".
Es ist indeß nöthig, sich noch tiefer in die letzten Grundlagen dieser
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